Der alte Löwe und
der Fuchs
Ein Löwe lag alt und schwach in seiner Höhle und war nicht mehr fähig,
selbst auf die Jagd zu gehen. Er wäre elend zugrundegegangen. Doch in seiner
Not ließ er in seinem Reich die Botschaft von seinem nahen Tode verbreiten
und allen Untertanen befehlen, an den königlichen Hof zu kommen. Er wolle
von jedem persönlich Abschied nehmen.
Nacheinander trudelten die Tiere vor der Höhle des Löwen ein, und
der König der Tiere rief jeden zu sich. Mit kleinen Geschenken gingen sie
einzeln zu ihm hinein, denn sie erhofften sich alle großen Vorteil davon.
Ein gerissener Fuchs hatte eine Zeitlang in der Nähe der Höhle verbracht
und das Kommen beobachtet. "Seltsam", dachte er, "alle Tiere
gehen in die Höhle hinein, aber niemand kehrt daraus zurück. Die Burg
des Königs ist zwar geräumig, so groß ist sie nun auch nicht,
daß sie alle Untertanen aufnehmen kann. Eigentlich müßte sie
schon lange überfüllt sein.
Vorsichtig trat der Fuchs vor den Eingang und rief höflich: "Herr
König, ich wünsche Euch ewige Gesundheit und einen guten Abend."
"Ha, Rotpelz, du kommst sehr spät", ächzte der Löwe,
als läge er wirklich schon in den letzten Zügen, "hättest
du noch einen Tag länger gezögert, so wärest du nur noch einem
toten König begegnet. Sei mir trotzdem herzlich willkommen und erleichtere
mir meine letzten Stunden mit deinen heitern Geschichten."
"Seid Ihr denn allein?" erkundigte der Fuchs sich mit gespieltem Erstaunen.
Der Löwe antwortete grimmig: "Bisher kamen schon einige meiner Untertanen,
aber sie haben mich alle gelangweilt, darum habe ich sie wieder fortgeschickt.
Jedoch du, Rotpelz, bist lustig und immer voll pfiffiger Einfälle. Tritt
näher, ich befehle es dir."
"Edler König", sprach der Fuchs demütig, "Ihr gebt
mir ein schweres Rätsel auf. Unzählige Spuren im Sand führen
in Eure Burg hinein, aber keine einzige wieder heraus, und Eure Festung hat
nur einen Eingang. Mein Gebieter, Ihr seid mir zu klug. Ich will Euch nicht
mit meiner Dummheit beleidigen und lieber wieder fortgehen. Eines aber will
ich für Euch tun, ich werde dieses Rätsel für mich behalten."
Der Fuchs verabschiedete sich und ließ den Löwen allein.
Der Mensch und das Rebhuhn
Ein Mensch wollte ein Rebhuhn schlachten, als dieses aufs kläglichste
bat, sein Leben zu schonen; es wolle, versprach es, aus Erkenntlichkeit eine
Menge Rebhühner in seine Netze locken.
"Oh, wie schlecht ist das von dir", antwortete der Mensch, "und
um so mehr will ich dich umbringen, weil du niederträchtig genug bist,
um dich zu retten, deine Freunde ins Verderben zu stürzen."
Ein edler Mensch wird nie, um sich herauszuziehen, andern Verderben bereiten.