Die Schwalbe und andere Vögel
Ein Vogel, weicher glaubte, daß er die Denk- und Handlungsweise der Menschen
genau kenne, versammelte eines Tages eine Menge Vögel um sich und sprach
zu ihnen: "Die Menschen säen den Hanf in keiner andern Absicht, als
um Schlingen daraus zu machen und uns einzufangen. Daher ist es unsere Pflicht,
diesen Samen beizeiten auszurotten."
Die Schwalbe, die auch zugegen war, entgegnete, daß sie es für weit
besser halte, die Freundschaft der Menschen zu suchen.
Als ihr Rat keine Zustimmung fand, so verließ sie ihre Waldgenossen, flog
in die Stadt und vertilgte die schädlichen Insekten.
Die Menschen sahen bald ihre Nützlichkeit ein und ließen sie ungestört
ihr Nest an den Häusern bauen. Die anderen Vögel schadeten den Menschen,
wo sie nur konnten, und wurden allerdings stark und oft fett dabei. Aber es
reifte auch der Hanf und wurde zu Schlingen verarbeitet, mit denen täglich
eine Menge Vögel gefangen wurde, welche mit den Menschen hätten in
Ruhe und Freundschaft leben können.
Besser wenigeres in Frieden und nützlicher Tätigkeit, als vielleicht
ein Wohlleben, aber mit Gefahr und auf unrechtem Weg.
Die Stadt- und die Landmaus
Eine Landmaus hatte ihre Freundin, eine Stadtmaus, zu sich eingeladen und empfing
sie in ihrer sehr bescheidenen Wohnung aufs freundlichste. Um ihren Mangel der
sehr verwöhnten Städterin nicht merken zu lassen, hatte sie alles,
was das Landleben Gutes bot, herbeigeschafft und aufgetischt. Da waren frische
Erbsen, getrocknete Traubenkerne, Hafer und auch ein Stückchen Speck, wovon
die Landmaus nur bei außergewöhnlichen Gelegenheiten aß.
Mit großer Genugtuung überschaute sie ihre Tafel und unterließ
nicht, ihrer Freundin unablässig zuzusprechen.
Aber die Stadtmaus, durch die vielen gewohnten Leckereien verwöhnt, beroch
und benagte die Speisen nur sehr wenig und stellte sich der Höflichkeit
halber so, als wenn es ihr schmecke, konnte aber doch nicht umhin die Gastgeberin
merken zu lassen, daß alles sehr wenig nach ihrem Geschmack gewesen sei.
"Du bist eine recht große Törin", sprach sie zu ihr, "daß
du hier so kümmerlich dein Leben fristest, während du es in der Stadt
so glänzend führen könntest wie ich. Gehe mit mir in die Stadt
unter Menschen, dort hast du Vergnügen und Überfluß." Die
Landmaus war bald entschlossen und machte sich zum Mitgehen bereit.
Schnell hatten sie die Stadt erreicht, und die Städterin führte sie
nun in einen Palast, in welchem sie sich hauptsächlich aufzuhalten pflegte;
sie gingen in den Speisesaal, wo sie noch die Überbleibsel eines herrlichen
Abendschmauses vorfanden.
Die Stadtmaus führte ihre Freundin nun zu einem prachtvollen, mit Damast
überzogenen Sessel, bat sie, Platz zu nehmen, und legte ihr von den leckeren
Speisen vor. Lange nötigen ließ sich die Landmaus nicht, sondern
verschlang mit Heißhunger die ihr dargereichten Leckerbissen.
Ganz entzückt war sie davon und wollte eben in Lobsprüche ausbrechen,
als sich plötzlich die Flügeltüren öffneten und eine Schar
Diener hereinstürzte. um die Reste des Mahles zu verzehren.
Bestürzt und zitternd flohen beide Freundinnen, und die Landmaus, unbekannt
in dem großen Hause, rettete sich noch mit Mühe in eine Ecke der
Stube.
Kaum hatte sich die Dienerschaft entfernt, als sie auch schon wieder hervorkroch
und noch vor Schrecken zitternd zu ihrer Freundin sprach:
"Lebe wohl! Einmal und nie wieder! Lieber will ich meine ärmliche
Nahrung in Frieden genießen, als hier bei den ausgesuchtesten Speisen
schwelgen und stets für mein Leben fürchten müssen."
Genügsamkeit und Zufriedenheit macht glücklicher als Reichtum und
Überfluß unter großen Sorgen.