An einem heißen Sommertag flog eine durstige Taube an einen kleinen,
rieselnden Bach. Sie girrte vor Verlangen, neigte ihren Kopf und tauchte den
Schnabel in das klare Wasser. Hastig saugte sie den kühlen Trunk.
Doch plötzlich hielt sie inne. Sie sah, wie eine Ameise heftig mit ihren
winzigen Beinchen strampelte und sich verzweifelt bemühte, wieder an Land
zu paddeln.
Die Taube überlegte nicht lange, knickte einen dicken, langen Grasstengel
ab und warf ihn der Ameise zu. Flink kletterte diese auf den Halm und krabbelte
über die Rettungsbrücke an Land.
Die Taube brummelte zufrieden, schlurfte noch ein wenig Wasser und sonnte sich
danach auf einem dicken, dürren Ast, den der Blitz von einem mächtigen
Baum abgespalten hatte und der nahe am Bach lag.
Ein junger Bursch patschte barfüßig durch die Wiesen zum Wasser.
Er trug einen selbstgeschnitzten Pfeil und Bogen. Als er die Taube erblickte,
blitzten seine Augen auf. "Gebratene Tauben sind meine Lieblingsspeise",
lachte er und spannte siegesgewiß seinen Bogen.
Erbost über dieses unerhörte Vorhaben gegen ihren gefiederten Wohltäter
kroch die Ameise behende auf seinen Fuß und zwickte ihn voller Zorn.
Der Taugenichts zuckte zusammen und schlug mit seiner Hand kräftig nach
dem kleinen Quälgeist. Das klatschende Geräusch schreckte die Taube
aus ihren sonnigen Träumen auf, und eilig flog sie davon.
Aus Freude, daß sie ihrem Retter danken konnte, biß die Ameise noch
einmal kräftig zu und kroch dann wohlgelaunt in einen Maulwurfshügel.