4. Die deutsche Aufklärung (1720-1785)

Wie eine riesige Welle erfaßte eine philosophisch-gesellschaftliche Bewegung das Europa des 17. und 18. Jahrhunderts; sie veränderte das Bewußtsein des einzelnenen ebenso wie die politischen Strukturen, löste ein altes, von religiösen Vorstellungen bestimmtes durch ein neues, naturwissenschaftlich geprägtes Weltbild ab. Die Aufklärung ist der entscheidende Entwicklungsschritt in der Geschichte der Neuzeit: sie ist das wesentliche Moment für die Überwindung von Feudalismus und Absolutismus sowie die Erhebung der Ratio zum obersten Prinzip jeglichen Handelns. Die Aufklärung bildet den Abschluß einer Tradition abendländischen Denkens und kann als Geburtsstunde unserer modernen Welt angesehen werden - mit all ihren Vorzügen und Schattenseiten. Mit ihr und durch sie vollzieht sich die in Humanismus und Renaissance begonnene Emanzipation des Individuums, gewinnt aber auch eine mechanistisch-empiristische Realitäts- und Weltauffassung die Oberhand.
Als literarische Epoche erscheint die Aufklärung in Deutschland im Gegensatz zu ihrer allgemeinen Bedeutung eher arm an hervorragenden Werken und Autoren. Das hat verschiedene Gründe: zum einen kamen die Hauptimpulse aus England und Frankreich, wo Schriftsteller und Denker wie Bacon, Hobbes, Newton, Locke, Hume, Descartes, Montesquieu, Voltaire, Diderot etc. ein System begründet hatten, das auf dem Primat von Vernunft und Erfahrung basierte und zugleich das Selbstbewußtsein des Bürgertums ausdrückte, das sich von politischen und ideologischen Bevormundungen löste. In Deutschland war diese Entwicklung längst nicht so weit vorangeschritten; so gab es hier zwischen Leibniz und Kant auch kaum bedeutende Philosophen, die eigenständige Ansätze entwickelt hätten; der Beitrag der einflußreichen Professoren Christian Wolff und Christian Thomasius bestand in der Hauptsache in der Popularisierung des Leibniz'schen Gedankengutes, das z. T. einseitig oder verzerrt wiedergegeben wurde.
Zum anderen liegt die literarische Dürftigkeit auch in der Natur der Sache selbst: je mehr die Dichtung lediglich als Vehikel zur Vermittlung der Ideale des gesunden Menschenverstands und des Tugendstrebens dienen mußte und ihr jeglicher Selbstzweck strikt untersagt war, desto weniger konnte sie sich als spontaner Ausdruck seelischer Regungen oder unmittelbaren Erlebens entfalten. Folgerichtig ist ein wesentliches Merkmal der Literatur der Aufklärungszeit das Programmatische, das sich als befruchtendes, die Reflexion über Literatur förderndes Element in den zahlreichen theoretischen Schriften erwies, sich aber oft auch als Konstruiertheit und Trockenheit in Drama und Prosa bemerkbar machte.
Entsprechend gestaltete sich die literarische Landschaft, wo die moralischen Wochenschriften einen triumphalen Einzug einhielten. Nach den englischen Vorbildern von Addison und Steele (The Tatler, The Spectator, The Guardian) begann 1713 mit Der Vernünftler von Mattheson eine explosionsartige Entwicklung, die bis zum Ende des Jahrhunderts über 500 allerdings meist sehr kurzlebige Titel erscheinen ließ. Diese Periodika bestanden aus Essays und fingierten Briefen, die auf populärem Niveau ein breites Spektrum von Themen erörterten, sowohl Fragen des Alltags als auch solche der Politik und Philosophie. Hier konnte man Gedanken zum Kaffeegenuß oder zur Kleidermode ebenso finden wie Auseinandersetzungen mit Problemen der Pädagogik und der Ästhetik, alles mit dem Ziel, das Publikum zu einem vernünftig-tugendhaften und dadurch letztlich glücklichen Leben zu erziehen.
Mit demselben Anspruch behandelten die damals ebenfalls aufkommenden Gelehrten- und wissenschaftlichen Zeitschriften immer häufiger auch Fragen des literarischen Geschmacks. Als zentrale Figur legte Johann Christoph Gottsched u. a. mit seinem Versuch einer critischen Dichtkunst (1729) die Poetik der Epoche fest. Klarheit und Deutlichkeit wurden nun an erster Stelle von der Literatur gefordert, die nach dem Motto prodesse et delectare ('nützen und erfreuen') das Vernünftige der Tugendhaftigkeit und die Lächerlichkeit des Lasters vor Augen führen sollte.
Gottsched, der sich auch um die Vereinheitlichung und Pflege der deutschen Sprache bemühte (Deutsche Sprachkunst von 1748) und auf diesem Gebiet neben seinem Lehrer Christian Wolff, vor allem was die wissenschaftliche und philosophische Terminologie angeht, bleibende Wirkung hatte, verfocht das Ideal einer reinen Verstandesdichtung. Diese sollte durch schnörkellosen Stil und übersichtlichen Aufbau, mit festen Gattungsnormen nach antikem und französisch-klassizistischem Muster sowie unter Auslassung alles Unwahrscheinlichen und Phantastischen dem Leser moralisch-sittliche Einsichten vermitteln; in seinem Drama Der Sterbende Cato (1731), das - heute schwer nachvollziehbar - über Jahrzehnte ein Erfolgsstück war, hat Gottsched seine theoretische Position in die Praxis umgesetzt.
Doch selbst in den Reihen der Aufklärer regte sich bald Widerstand gegen die Starrheit dieser Postulate. Gottscheds Frau, Luise Adelgunde Viktorie Kulmus, »die Gottschedin«, wich in ihren erfolgreichen Komödien z. T. vom Regelwerk ihres Mannes ab, indem sie komische Figuren ohne unmittelbaren didaktischen Zweck einführte. So ist z. B. ihre Pietisterey im Fischbein-Rocke (1736) - eine Abrechnung mit der Leichtgläubigkeit und dem Frömmlertum in den damals weit verbreiteten pietistischen Kreisen - eine durchaus heute noch witzige Satire geblieben.
Ein berühmter Literaturstreit entwickelte sich zwischen Gottsched und den Schweizern Johann Jacob Bodmer und Johann Jakob Breitinger (Herausgeber der Zeitschrift Die Discourse der Mahlern), die - obwohl in ihrer Grundhaltung überzeugte Aufklärer - die Auffassung vertraten, daß das Wunderbare in der Dichtung sehr wohl zulässig sei und sich diese nicht ausschließlich nach empirischen Wahrscheinlichkeiten richten müsse.
Ebenfalls aus der Schweiz, die sich erst mit der Aufklärung als literarische Landschaft etablierte, stammte Albrecht von Haller. Dieser innerlich von religiösen Zweifeln geplagte, nach Leibniz vielleicht letzte Universalgelehrte schuf mit dem Poem Die Alpen (1733) eine Hymne auf das Leben im Einklang mit der Natur. Wenn auch im Gedankengut der Aufklärung verankert, trägt dieses Werk bereits deutlich zivilisationskritische Züge, die es als poetische Vorwegnahme der Position von J. J. Rousseau erscheinen lassen. Ein betulicheres Bild des Bürgertums gab der Züricher Salomon Geßner in seinen Idyllen (1756), die Themen seiner Zeit aus naturverbundener Perspektive in mythologischem Gewand zum Gegenstand hatten.
Überhaupt nimmt die Natur eine neue Rolle im Denken und Dichten ein, die im deutlichen Gegensatz zur jenseitsgewandten Weltbetrachtung des Barock steht. Natur gilt nun als vernünftiger Gottesbeweis, wie etwa in Barthold Heinrich Brockes' Irdisches Vergnügen in Gott (1721-1748), der zwar noch einen biblischen Gott voraussetzt, aber bereits die Entwicklung zum Deismus vorzeichnet: schließlich wird Gott nur noch als logischer Ursprung der Schöpfung, jedoch nicht mehr als darin waltendes Wesen angenommen.
Die Zuwendung zur Natur, die Bejahung des Diesseits erhielt vor allem in der sogenannten anakreontischen Dichtung Ausdruck, der hauptsächlich Friedrich von Hagedorn, Johann Peter Uz und Johann Wilhelm Ludwig Gleim zugerechnet werden. Ihre Lyrik besingt das Leben und seine Freuden, preist Wein und Geselligkeit und enthält zahlreiche erotische Anspielungen. Heiterkeit, Leichtigkeit und Eleganz zeichnen diese meist in einer idealisierten Schäferlandschaft spielenden Texte aus, die poetische Zeugnisse des Rokoko sind.
In diesen literarischen Zusammenhang wird - oft einseitig reduzierend - auch Christoph Martin Wieland gestellt, einer der bedeutendsten deutschen Autoren des 18. Jahrhunderts. Von den Stürmern und Drängern wegen seiner weltmännischen, Frivolitäten nicht scheuenden Art zum Erzfeind erklärt, war Wieland ein vielseitiger, im Geiste der Aufklärung gereifter, jedoch eigenständiger und origineller Schriftsteller. Der von ihm herausgegebene Teutsche Merkur als die literarische Zeitschrift seiner Epoche, seine Shakespeare- und Lukian-Übersetzungen haben das literarische Leben der zweiten Jahrhunderthälfte entscheidend mitbestimmt. Vor allem aber seine Romane machen ihn zum wichtigsten deutschen Prosaisten des 18. Jahrhunderts. Mit der Geschichte des Agathon (zuerst 1766), die mit ironischer Distanz und scharfer Beobachtungsgabe die Entwicklung eines jungen Menschen schildert und leider noch von vielen als vermeintlich lästige Pflichtlektüre ungelesen ins Regal gestellt wird, schrieb er nicht nur den wichtigsten narrativen Text seit Grimmelshausens Simplicissimus, sondern begründete damit auch eine für das folgende Jahrhundert zentrale Textsorte: den Bildungsroman.
Ironie und Tiefsinn kennzeichnen auch einen anderen Vertreter der Aufklärung, der seiner literarischen Produktion allerdings eine diametral entgegengesetzte Form gab: der Physiker und Publizist Georg Christoph Lichtenberg hinterließ mit seinen Aphorismen (erst posthum, 1902-1908 [!] erschienen) Dokumente eines freien, kritischen Geistes, dessen unkonventionelle Einstellung und präziser Sprachwitz heute noch aktuell sind und selbst von Satirikern unserer Tage, wie z. B. Eckhard Henscheid, als Vorbild angesehen werden.
Daß Kürze und Prägnanz für die Aufklärer besonders willkommen und erstrebenswert sein mußten, erklärt sich aus ihrem moralisch-didaktischen Anspruch (der allerdings oft auch zu Langatmigkeit und pedantischer Erklärungswut führte), und so lieferte die Fabel als traditionelle Kurzform mit lehrhaftem Inhalt ein ideales Genre, dessen sich fast alle Schriftsteller der Zeit annahmen. Den größten Erfolg hatten die Fabeln und Erzählungen Christian Fürchtegott Gellerts (1746 und 1748), die, nach dem Vorbild von La Fontaine konzipiert, durch ihren ungekünstelten Volkston in breiten Bevölkerungsschichten beliebt und über die Grenzen Deutschlands bekannt wurden.
Drei Bücher Fabeln veröffentlichte 1759 auch Gotthold Ephraim Lessing, sowie im selben Jahr eine Abhandlung vom Wesen der Fabel, in der er für Knappheit und Pointiertheit in dieser Gattung eintrat. Diese Eigenschaften kennzeichnen auf noch konzentriertere Weise das Epigramm, eine Kurzform, die seit der Antike als Mittel zur satirischen Gedankenäußerung gebraucht wurde und dem aufklärerischen Geist besonders entgegen kam. Vor allem Christian Wernicke (1660-1725), ein Vorläufer der Aufklärung und scharfer Bekämpfer des barocken Schwulstes, hinterließ ein umfangreiches epigrammatisches Werk. Lessing griff dieses Genre auf und brachte es zu einem Höhepunkt, indem er neben einer Sammlung eigener Sinngedichte 1771 auch Zerstreute Anmerkungen über das Epigramm veröffentlichte.
Lessing, der ähnlich wie Kant als großer Geist am Ende der Aufklärung deren rigiden Rationalismus teilweise überwand, war der einzige Schriftsteller, der in gleichem Maße auf literaturtheoretischem und -kritischem Gebiet sowie in der dichterischen Praxis hervorragende Bedeutung erlangte. In den Briefe[n], die neueste Literatur betreffend (1759-1765), die er stilistisch und formal prägte, setzte er sich kompromißlos mit der zeitgenössischen Literatur auseinander, wobei er vor allem die damalige Neigung zur Schwärmerei unerbittlich angriff; die Hamburgische Dramaturgie (1767-69) wurde zur grundlegenden Poetik des bürgerlichen Dramas, sie bezog nicht nur die Prinzipien der französischen Klassik ein, sondern erschloß auch den Deutschen das englische, spanische und italienische Theater.
Mindestens ebenso einflußreich waren seine Bühnenwerke: Miss Sara Sampson (1755), Minna von Barnhelm (1767), eines der wenigen deutschen Lustspiele, das bis heute Gültigkeit behalten hat, das politisch brisante und an der antiken Tragödie orientierte Trauerspiel Emilia Galotti (1772), das die Stürmer und Dränger begeisterte, und das dramatisierte philosophische Lehrgedicht Nathan der Weise (1779), ein Manifest der Toleranz, das bis in unsere Tage an Aktualität nichts eingebüßt hat.
Toleranz und der unbedingte Wille, vorurteilslos nach der Wahrheit zu suchen, waren Lessings Ideale, die er mit seinen Freunden Moses Mendelssohn und Friedrich Nicolai teilte. Mendelssohn, dem im Nathan ein literarisches Denkmal gesetzt wurde, sah im Judentum die Vernunftreligion der Aufklärung und hat entscheidend zur Integration der deutschen Juden beigetragen, einer Integration, welcher jene von ihm bekämpften Kräfte später ein brutales Ende bereiteten. Der Berliner Verleger Nicolai machte sich durch die Herausgabe von Zeitschriften wie die schon erwähnten Briefe, die Bibliothek der schönen Wissenschaften und freien Künste (1757-60) und die Allgemeine Deutschen Bibliothek um die Aufklärung verdient. In seinen späteren Jahren polemisierte er immer schärfer gegen alle irrationalistischen Tendenzen und wurde dadurch (und durch den Umstand, daß ihm ein langes Leben und Wirken - er starb 1811 - beschert waren) zur heftig angegriffenen und sogar noch von Eichendorff verspotteten Symbolfigur eines verknöcherten Rationalismus. Der ernsthafte Vorkämpfer für Fortschritt und Toleranz wurde paradoxerweise zu einem wegen seiner Intoleranz belächelten Anachronismus.
Diese Dialektik wohnt der Aufklärung von Anfang an inne und ist bis zum heutigen Tag nicht aufgelöst worden. Als »Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit« (Kant) hat sie, längerfristig gesehen, die abendländische Welt aus den Banden von Feudalismus und Absolutismus, von Aberglaube und kirchlicher Dogmatik befreit. Die Aufklärung der Aufklärung aber, die Rückführung der Ratio auf eine Bedeutung, die dem ganzen Menschen in seiner Einheit von Körper, Geist und Seele gemäß wäre, steht noch aus; ihr Ausbleiben hat die abendländische Welt in der Polarisierung der Gesellschaft, wie sie besonders unser Jahrhundert geprägt hat, bitter zu spüren bekommen.
Das neue Weltbild: - Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. (Kant) / - Glaube an die Vernunft (z.T. durch naturwissenschaftliche Erfolge) nach innerer Zerrissenheit des Barocks, Optimismus, Wiederkehr der Humanität / - Kritik an kirchlichen Autoritäten / - Rationalismus, Pietismus und Empfindsamkeit / - strenge Forderung nach Einhaltung literarischer Regeln und Abgrenzung literarischer Gattungen
Europa war im 17. Jh. politisch weit gehend durch den Absolutismus geprägt, der uneingeschränkten Herrschaft eines Königs oder Fürsten. Der absolute Staat stand über einer Gesellschaft, in der jeder in einen bestimmten Stand hineingeboren wurde, den er nicht verlassen konnte. An der Spitze dieser Ständegesellschaft befand sich der Adel, der zwar vom absolutistischen Herrscher politisch entmachtet worden war, aber dafür die Privilegien der Steuerfreiheit und der Grundherrschaft besaß. Das Bürgertum war einerseits Träger und Nutznießer der staatlich gelenkten Wirtschaft (Merkantilismus), hatte aber wie der Adel keinen politischen Einfluss - und zudem keine Privilegien. Die größte Last mussten die Bauern tragen: Steuern für den Staat, Abgaben für den Grundherrn, auf dessen Land sie arbeiteten. Die katholische wie die protestantische Kirche war mit den Königen und Fürsten verbunden und predigte der meist ländlichen Bevölkerung (noch um 1800 lebten in Deutschland 75% der Bevölkerung von der Landwirtschaft) Ergebenheit in ihr angeblich gottgewolltes Schicksal. Unwissenheit, Aberglaube (z.B. Hexenwahn), Vorurteile, ein tiefer Pessimismus waren weit verbreitet.
In Deutschland kam noch dessen Zersplitterung in viele z.T. recht kleine Länder hinzu (Partikularismus). Der so entstandene Provinzialismus verhinderte zusätzlich eine fortschrittliche Entwicklung.
Im 18. Jh. begannen nun Teile des Bürgertums (v.a. Akademiker) und auch einige Adlige zunächst in Frankreich diese Zustände zu kritisieren. Man maß sie an dem, was man für ein Gebot des vernünftigen Denkens hielt. Der menschliche Verstand wurde zum Maßstab aller Dinge gemacht. Freiheit statt Absolutismus, Gleichheit statt Ständeordnung, Erfahrung, wissenschaftliche Erkenntnis statt Vorurteil und Aberglauben, Toleranz statt Dogmatismus - so lauteten die neuen Ideen. Statt auf ein Jenseits zu hoffen, sollten die Menschen voller Optimismus ihren Lebenssinn im Diesseits sehen; sie sollten Gutes tun, ihre Tugenden entfalten aus Einsicht in deren Richtigkeit und Nützlichkeit, nicht aus Furcht vor späteren Strafen (Fegefeuer, Hölle), wie es die Kirchen predigten. Die Menschen sollten über ihre politische, soziale und geistige Unterdrückung "aufgeklärt" werden. Wüssten sie erst um die Ursachen dieser Unterdrückung - so meinten die Aufklärer -, halte man ihnen die richtigen Ziele vor Augen, dann würden sie es einsehen und sich selbst befreien. Dabei ging die Aufklärung von der Annahme aus, dass der Mensch von Natur aus gut sei und man ihm das Richtige nur zeigen müsse, damit er es tut. Die Erziehung des Einzelnen galt als erster Schritt zu einer Veränderung der Gesellschaft; die aufgeklärten Menschen würden schließlich eine aufgeklärte Welt schaffen.
Die Aufklärung fand zunächst nur in kleinen Zirkeln von Adligen, reichen und gebildeten Bürgern Verbreitung, den so genannten "Salons", regelmäßigen Treffen in den Stadtwohnungen reicher und gebildeter Damen aus Adel und Bürgertum. Später bildeten sich in den Städten Lesegesellschaften, an den Universitäten lehrten Philosophen der Aufklärung. Außerdem wurde der literarische Markt, der im Barock nur eine Nebenerscheinung war, zum Regelfall. Der Schriftsteller lebte nicht mehr von adligen oder kirchlichen Auftraggebern, sondern produzierte für den Verleger, der die Werke an Menschen verkaufte, die der Künstler gar nicht kannte. Allerdings konnten die wenigsten Autoren von ihren Werken leben, sie mussten "Nebentätigkeiten" suchen und arbeiteten in der Regel als Privaterzieher, Fürstenberater, Privatsekretäre u.ä.
Historischer Hintergrund: - erster (1740-42) und zweiter (1744-45) schlesischer Krieg / - Siebenjähriger Krieg (1756-63), Preußen wird Großmacht / - amerikanischer Unabhängigkeitskrieg (1775-83) / - Erfindung der Dampfmaschine durch James Watt (1765)
Literarische Formen: - Lehrgedicht, oft Naturbetrachtungen im Mittelpunkt, Fabel / - bürgerliches Trauerspiel / - Roman (aufklärerisch, empfindsam, moralisch), Verserzählungen
Vertreter - Bedeutende Autoren und Werke
- Albrecht von Haller (Die Alpen), Ewald von Kleist (Der Frühling)
- Salomon Geßner (Idyllen), Christian Fürchtegott Gellert (Fabeln und Erzählungen)
- Friedrich Gottlieb Klopstock (Messias)
- Johann Christoph Gottsched (Literaturtheoretiker, Poetik ähnlich Opitz)
- Daniel Defoe (Reiseroman Robinson Crusoe)
- Sophie von La Roche (erste Romanschriftstellerin, Geschichte des Fräuleins von Sternheim)
- Christoph Martin Wieland (erster großer Entwicklungsroman Geschichte des Agathon)
- Johann Joachim Winkelmann (prägte die Griechenbegeisterung der deutschen Klassik)
Französische Aufklärer: Voltaire (1694-1778) / Jean-Jacques Rousseau (1712-1778)
Philosophen der deutschen Aufklärung: Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) (vertrat den für die Aufklärung typischen Optimismus, die Welt sei die "beste aller Welten")
- Immanuel Kant (1724-1804): Kritik der reinen Vernunft (1781) / Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? (1784) / Zum ewigen Frieden (1795)
Dichter der deutschen Aufklärung: Von Bedeutung sind v.a. die dramatische, epische und theoretische Literatur.
- Gotthold Ephraim Lessing (bedeutendster Vertreter der Aufklärung, Theaterkritiken Hamburgische Dramaturgie, bürgerliches Trauerspiel Miß Sara Sampson, Lustspiel Minna von Barnhelm, Humanitätsdrama Nathan der Weise): Miß Sara Sampson (1752) / Minna von Barnhelm (1767) / Emilia Galotti (1772) / Nathan der Weise (1779)
- Johann Christoph Gottsched (1700-1766) : Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen (1730)
- Christoph Martin Wieland (1733-1813) : Geschichte des Agathon (1794) (erster deutscher Bildungsroman, der die Erziehung eines jungen Mannes erzählt, der vom schwärmerischen Jüngling nach vielen Irrtümern zum Mitglied einer utopischen, von der Aufklärung geprägten Gesellschaft wird)
Die Rolle der Kunst - Um die neuen Ideen zu verbreiten, bediente man sich der damals entstehenden Presse als erstes "Massenmedium" (Wochenschriften) und der Kunst, die bisher im Dienst der Kirchen und des Fürstenhofes gestanden hatte (s. Barock). Die Kunst galt für die Verbreitung der Aufklärung als besonders geeignet. Man mochte nämlich die Lehren der Aufklärung für noch so vernünftig und heilsam halten - die Unmündigen, die man befreien wollte, empfanden die geistige Selbständigkeit als unbequem und hatten sich oft an ihre Unmündigkeit gewöhnt. Die Ideen der Aufklärung waren für sie zunächst einmal eine bittere Medizin. Hier konnte die Kunst helfen. Da sie neben dem Verstand die Sinne anspricht und Genuss bereitet, sollte sie gleichsam die unangenehm schmeckende Pille "verzuckern" und die Aufnahme der aufklärerischen Ideen erleichtern. Mit dieser Auffassung griffen die Aufklärer auf einen Topos (Gemeinplatz) der Dichtungstheorie zurück, der in der Antike entstanden ist: Aufgabe der Kunst sei es, heißt es etwa bei dem römischen Dichter Horaz, zu nutzen und zu erfreuen (prodesse et delectare).
Was die Formen und Gattungen der Literatur betrifft, so hielt man sich einerseits an die Tradition, die - wie schon im Barock - von der Antike geprägt war. Man verband aber die alten Formen mit neuen Inhalten. Vor allem der damals namhafte Literaturprofessor Gottsched ordnete und definierte in seiner Poetik "Versuch einer Critischen Dichtkunst" die traditionellen Gattungen und stellte feste Regeln auf. Er unterschied sich damit auf den ersten Blick nicht von den normativen Poetiken des Barock. Gottsched durchforstete allerdings (daher "Critische" Dichtkunst) die althergebrachten Vorschriften und Muster daraufhin, inwieweit sie dem Ziel dienstbar zu machen seien, moralische Lehren zu vermitteln.Auch Lessing griff traditionelle Gattungen auf, er veränderte sie aber, wenn sie zu seinen Absichten in Widerspruch gerieten. Um die Bedeutung bürgerlicher Tugendhaftigkeit zu zeigen, ließ er etwa in einer Tragödie, einer Gattung hohen Stils, Personen aus dem Bürgerstand auftreten und ein "tragisches" Schicksal erleiden ("Miß Sara Sampson"), obwohl Tragödien traditionellerweise in der Sphäre des Adels und der Großen Politik spielten; bürgerliche Personen durften nur in der Komödie vorkommen (mittlerer Stil).
Ein Beispiel: Lessings "Nathan der Weise" - Lessing war nicht nur Dichter, sondern setzte sich auch mit theologisch-kirchlichen Fragen auseinander. Man fing damals an, die Bibel kritisch zu lesen, d.h. die Maximen der Aufklärung auf die Theologie anzuwenden. Von den biblischen Berichten wollte man nur das gelten lassen, was man als "vernünftig" ansah. Die Wunder Christi etwa wurden geleugnet und als fromme Erfindungen betrachtet. V.a.die protestantische Kirche verurteilte solche Versuche und hielt am traditionellen Glauben fest (Orthodoxie [wörtlich: Rechtgläubigkeit]).
Lessing hatte nun 1777 die Schriften eines aufklärerischen Wissenschaftlers (Moses Mendelssohn) veröffent-licht, der die Auferstehung Christi leugnete. Um diese Veröffentlichungen entstand ein großer Streit, u.a. polemisierte der Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Goeze gegen den Wissenschaftler und Lessing, der die Schriften herausgegeben hatte. Lessing verteidigte den Wissenschaftler und die Herausgabe seiner Schriften, obwohl er die darin vertretenen Ansichten nicht teilte (Lessings Schrift "Anti-Goeze" 1778). Lessing war nämlich der Meinung, dass man über solche Ansichten frei diskutieren können müsste. Er stand aber damals im Dienst des Herzogs Karl von Braunschweig, er war dessen Bibliothekar. Der Herzog verbot Lessing die öffent-liche Auseinandersetzung. Daraufhin behandelte Lessing das Problem in dem Drama "Nathan der Weise" (1779). In dem Stück treffen zur Zeit der Kreuzzüge drei Vertreter der großen monotheistischen Weltreligionen in Jerusalem aufeinander, der moslemische Sultan Saladin, der jüdische Händler Nathan und ein christlicher Tempelritter. Die drei geraten in Konflikt miteinander, der Konflikt wird aber gelöst, da alle Beteiligten sich letztlich "vernünftig" verhalten. An zentraler Stelle des Dramas stellt Saladin dem Juden Nathan eine Fangfrage. Er will wissen, welche Religion Nathan für die richtige hält. Nathan antwortet darauf mit der so genannten "Ringparabel". Durch Nathans Mund verkündet Lessing damit seine aufklärerische Einstellung zu dem Streit der Religionen. Es komme nicht auf die Lehrsätze der Religionen an, auf ihre Dogmen. Es gehe vielmehr um die Verwirklichung der religiösen Lehren im Leben, um die Praxis. Statt sich also zu streiten und zu bekriegen im Namen der Religion, solle jeder Gläubige nach den Maximen seiner Religion Gutes tun, denn Gutes zu tun, sei der Inhalt jeder der drei Religionen. Untereinander aber sollten die Religionen Toleranz üben. Übrigens missachtete Lessing auch bei diesem Werk die traditionellen Regeln. "Nathan der Weise" ist ein "dramatisches Gedicht", passte also nicht in die herkömmliche Einteilung in Tragödie und Komödie. Er mischte diese beiden Gattungen, indem er einen ernsten Gegenstand (Religionsstreit), der zur Katastrophe führen könnte (Tragödie) mit einem Happy-End (Komödie) verband.