9. Biedermeier (1815 - 1848)

Noch heute bieten Möbelhäuser in ihren Prospekten und Verkaufsausstellungen ganze Wohnzimmereinrichtungen im »Biedermeier-Stil« an. Diese Erzeugnisse mit Werken der deutschen Literatur in Zusammenhang zu bringen, fällt nicht ganz leicht, zumal das ästhetische Urteil, wollte man eine direkte Analogie zwischen Texten und besagten Kommoden herstellen, verheerend wäre. Und doch ist diese Verbindung nicht zufällig. Die Bezeichnung stammt von einer Parodie auf das Spießbürgertum von Ludwig Eichrodt, der in den Münchener Fliegenden Blättern von 1855-1857 die (fingierten) kreuzbraven Gedichte des schwäbischen Schullehrers Gottlieb Biedermaier und seines Freundes Horatius Treuherz veröffentlichte. Biedermeier verband sich bald mit allem Betulich-Hausbackenen, besonders in bezug auf Wohnkultur und Malerei. Erst nach und nach wurde es zum Schlagwort für die unpolitische Restaurationszeit (1815-1848) und ihr Bürgertum, und schließlich, im Bereich der Literatur, für diejenigen Schriftsteller nach der Romantik, die im Gegensatz zu den revolutionär eingestellten Literaten des Vormärz in ihren Werken keine politische Botschaft vermittelten.
Das abfällige Werturteil, das im Terminus Biedermeier unweigerlich mitklingt, hat wohl nicht unwesentlich dazu geführt, daß die Schriftsteller, die dieser Teil-Epoche (ca. 1830-50) zugeordnet werden, oft pauschal als harmlos, minderwertig, suspekt und jedenfalls uninteressant angesehen werden. Wie ungerecht diese Behandlung ist, wird erst in den letzten Jahren durch ein vermehrtes wissenschaftliches Augenmerk allmählich deutlich gemacht.
Einer, dessen Name fast automatisch mit dem Biedermeier der Beschaulichkeit assoziiert wird, ist Eduard Mörike. Daß er sich - allerdings keineswegs ausschließlich - unspektakulären Themen widmete und sich nicht zu schade war, auf einen Turmhahn oder eine Lampe ein Gedicht zu schreiben, scheint ihm zum Verhängnis geworden zu sein. Dabei steckt selbst in den eher idyllischen Texten stets eine gute Portion Ironie, aber es überwiegen ohnehin solche, die alles andere als betulich sind. Sein Roman Maler Nolten (1832) legt die seelischen Abgründe eines jungen Künstlers offen und ist von geradezu anti-biedermeierlicher Zerrissenheit und Aufgewühltheit gekennzeichnet. Mit formaler Strenge und leisen, eindringlichen Tönen gibt dagegen die Novelle Mozart auf der Reise nach Prag (1855) eine scheinbar unbeschwerte Anekdote aus dem Leben des Komponisten wieder - und doch wird dem Leser dabei ein beklemmender Einblick in die Tragik des sich verzehrenden Genies gewährt.
Mörikes Lyrik ist von einer erstaunlichen stilistischen und thematischen Vielfalt. Texte von klassischer Strenge (darunter Auf eine Lampe mit der berühmten Schlußzeile: »Was aber schön ist, selig scheint es in ihm selbst«) stehen neben anderen voller romantisch entfesselter Leidenschaft (Peregrina-Zyklus, Ein Stündlein wohl vor Tag); mythisch-geheimnisvolle (Gesang Weylas) neben Liedern und Balladen im echten Volkston (Er ists [»Frühling läßt sein blaues Band ...«], Der Feuerreiter), heiter-besinnliche (Scherz, Jedem das Seine) neben ausgesprochen modernen Nonsense-Texten (den Wispeliaden oder Sommersprossen von Liebmund Maria Wispel, 1837).
Das Musikalische seiner Gedichte - nicht umsonst ist Mörike einer der meistvertonten deutschen Dichter - und die eigenständige, präzise Handhabung des traditionsbeladenen Sprachmaterials verleihen seinem poetischen Werk einen über das Epochale hinausweisenden Wert; Texte wie Um Mitternacht, An einem Wintermorgen, vor Sonnenaufgang, Ein Tännlein grünet wo oder An eine Äolsharfe gehören zu den unumstrittenen Höhepunkten deutschsprachiger Lyrik.
Mörikes Lyrik ist von einer erstaunlichen stilistischen und thematischen Vielfalt. Texte von klassischer Strenge (darunter Auf eine Lampe mit der berühmten Schlußzeile: »Was aber schön ist, selig scheint es in ihm selbst«) stehen neben anderen voller romantisch entfesselter Leidenschaft (Peregrina-Zyklus, Ein Stündlein wohl vor Tag); mythisch-geheimnisvolle (Gesang Weylas) neben Liedern und Balladen im echten Volkston (Er ists [»Frühling läßt sein blaues Band ...«], Der Feuerreiter), heiter-besinnliche (Scherz, Jedem das Seine) neben ausgesprochen modernen Nonsense-Texten (den Wispeliaden oder Sommersprossen von Liebmund Maria Wispel, 1837). Das Musikalische seiner Gedichte - nicht umsonst ist Mörike einer der meistvertonten deutschen Dichter - und die eigenständige, präzise Handhabung des traditionsbeladenen Sprachmaterials verleihen seinem poetischen Werk einen über das Epochale hinausweisenden Wert; Texte wie Um Mitternacht, An einem Wintermorgen, vor Sonnenaufgang, Ein Tännlein grünet wo oder An eine Äolsharfe gehören zu den unumstrittenen Höhepunkten deutschsprachiger Lyrik.
Mindestens im gleichen Maße wie Mörike ist Franz Grillparzer mit dem Biedermeier-Stigma belastet. Wegen seiner Formstrenge als Goethe- und/oder Schiller-Epigone verkannt, wegen seiner pessimistisch-resignativen Grundhaltung in der Behandlung der Macht-Thematik zum Dichter der Metternich-Ära abgestempelt, trug sicher sein Märchenspiel Der Traum ein Leben (1834) dazu bei, sein Werk als Aufruf zur tatenlosen Innerlichkeit zu mißverstehen, vor allem durch die Zeilen: Eines nur ist Glück hienieden, / Eins: des Innern stiller Frieden / Und die schuldbefreite Brust. / Und die Größe ist gefährlich, / Und der Ruhm ein leeres Spiel, / Was sie gibt, sind nicht'ge Schatten, / Was sie nimmt, es ist so viel.
Freilich, aus dem Zusammenhang gerissen mag hieraus eine Aufforderung zu stiller Häuslichkeit abgeleitet werden, aber Grillparzer deswegen zum Vertreter biedermeierlicher Genügsamkeit auszurufen, grenzt an üble Nachrede. Sein Fatalismus ist alles andere als ängstlicher Schicksalsglaube, sondern rührt von seiner tiefen, gewiß auch leidvollen Welterfahrung her. Grillparzer kannte die ungeheure Macht, welche die - zumal verborgenen - seelischen Kräfte auf den Menschen ausüben, und so hat er in seinen Dramen nicht das Fatum walten lassen, sondern das Geschehen aus der - meisterhaft gezeichneten - tiefenpsychologischen Struktur seiner Figuren entwickelt.
Ob in König Ottokars Glück und Ende (1825) oder Ein treuer Diener seines Herrn (1828): es gibt in seiner Bühnenwelt ebenso wenig wirkliche Bösewichte wie strahlende Helden; alle Personen agieren aus der inneren Logik ihrer seelischen Beschaffenheit und geraten dadurch, gleichzeitig Opfer und Verursacher, in tragischen Konflikt. Das ist sein Wesenszug seiner den Schillerschen durchaus ebenbürtigen Geschichtsdramen, deren sentenzhafte Sprache ebenfalls an den Klassiker erinnert, ohne ihn jemals nachzuahmen (neben den schon erwähnten die Alterswerke Die Jüdin von Toledo, 1850-1860 entstanden, 1872 uraufgeführt, und Ein Bruderzwist in Habsburg, 1848/1872). Aber ebenso werden uns in der Bearbeitung antik-mythischer Stoffe (Sappho, 1818, die Trilogie Das goldene Vlies, 1821, Des Meeres und der Liebe Wellen, d. i. die Sage von Hero und Leander, 1831, sowie Libussa, 1848/1874) stets Menschen vorgeführt, die, auf der Suche nach dem persönlichen Glück, im Zwiespalt zwischen Erkenntnis und Tat an die von innen wie von außen gesetzten Grenzen geraten.
Wenn Grillparzer »der Dichter der skeptischen Reflexion und der resignierenden Weisheit« (Wolfgang Müller) genannt worden ist, so heißt das nicht, daß in seinen Dramen der Handelnde sich schuldig macht, während der Leidende seine Reinheit bewahrt. Das Zögern und Zweifeln ist ein Charakteristikum aller Grillparzerschen Figuren, durch die das Wissen des Autors um die Bedingtheit menschlichen Tuns und Strebens zum Ausdruck kommt.
Gefangen in ihrer von Milieu, materieller Not und archaisch-triebhaftem Denken und Fühlen bestimmten Welt, sind die Personen in Annette von Droste-Hülshoffs Meisternovelle Die Judenbuche. Ein Sittengemälde aus dem gebirgichten Westfalen (1842) nur in geringem Maße wirklich Handelnde; vielmehr kann ihr Verhalten als bloßes, fast instinktives Reagieren auf äußere, von Gesellschaft und Natur gesetzte Umstände aufgefaßt werden. In diesem Prosawerk nimmt die Autorin (eigentlich Anna Elisabeth Freiin Droste zu Hülshoff) Züge des Naturalismus voraus, so wie sie auch in anderen Erzählungen (Bei uns zu Lande auf dem Lande, 1840, Bilder aus Westfalen, 1842), wenn auch nicht mit derselben Intensität, einen besonderen Schwerpunkt auf die möglichst detaillierte und atmosphärisch dichte Schilderung der Lebensumstände des Landadels wie des einfachen Volkes legt.
Doch in die um Objektivität bemühte Darstellungsweise der Judenbuche flicht sich eine auf eigentümliche Art divergierende und doch organisch verbundene Thematisierung von Natur, die über das rein Deskriptive weit hinausgeht und Moor und Wald, Gewitter und Nebel etwas Unheimliches und Bedrohliches verleiht. Dieser Aspekt, der in den Versepen der Droste-Hülshoff überspitzt wirkt, läßt sich in ihrer Lyrik reiner und 'stimmiger' wiederfinden.
Unter den Begriff Naturlyrik, zu der viele ihrer Gedichte zweifelsohne zu rechnen sind, lassen sich im Prinzip alle Texte subsummieren, die eben Natur auf die eine oder andere Weise zum Gegenstand haben - das Kennzeichnende an Drostes Lyrik ist die magische Dimension, die Bäume, Vögel, Wolken, vor allem auch Formen und Geräusche erhalten. Ob düster oder freundlich: in Gedichten wie Der Knabe im Moor, Der Weiher, Durchwachte Nacht oder Im Grase ist stets etwas Dämonisches zu spüren; die Erscheinungen der Natur sind nie bloßer Hintergrund, nie bloße Träger von Stimmungen, andererseits auch nie reine Symbole: sie sind wesenhaft, sind am Weltgeschehen beteiligt, besitzen geheimnisvolle Macht.
Eine mindestens ebenso zentrale Rolle spielt die Natur auch bei Adalbert Stifter, allerdings mit völlig anderer Funktion. Denn wenn bei einem Autor tatsächlich und ganz wertfrei von Biedermeier im Sinne von 'Rückzug ins Private, Abgewandheit von der (sozial geprägten) Welt' gesprochen werden kann, dann ist dies bei ihm der Fall. Stifter, dem das »Wehen der Luft, das Rieseln des Wassers« mehr galten als der »Blitz, welcher Häuser spaltet« und der »Sturm, der die Brandung treibt« hat die in seiner Prosa allgegenwärtige Natur zum Zeugen und Mitbeteiligten am menschlichen Schicksal gemacht. Im Grunde thematisieren alle seine Werke (darunter Der Hochwald, 1842, Brigitta, 1843, Der Waldsteig, 1845, Bunte Steine, 1854, Nachsommer, 1857, Die Mappe meines Urgroßvaters, vier Fassungen von 1841 bis 1867) die Entsagung und die Zuwendung zum Kleinen, Alltäglichen als Kern wahrer Humanität, die sich dem »sanften Gesetz« der sittlichen Ordnung unterwirft.
Und noch bei einem weiteren Autor, der allerdings eher aus Mangel an Gegenbeweisen dem Biedermeier zugeordnet wird, steht die Natur im Vordergrund seines vorwiegend lyrischen Schaffens: Nikolaus Lenau (eigentlich Nikolaus Franz Niembsch, Edler von Strehlenau). In seiner von Melancholie geprägten, äußerst melodiösen Lyrik spiegelt die Landschaft - oft die Steppen seiner ungarischen Heimat - die düsteren Stimmungen der Seele. Zerrissenheit ist auch formal und thematisch das Kennzeichen seiner Verserzählungen und -dramen (Faust, 1836/40, Savonarola, 1837, Die Albigenser, 1840 und Don Juan, ein Fragment aus dem Nachlaß).
Als bedeutender Lyriker dieser Zeit muß auch Friedrich Rückert genannt werden. Die große Anzahl seiner Gedichte, deren ästhetischer Rang fast zwangsläufig sehr unterschiedlich ausfällt, hat zu einer pauschalen Unterschätzung seines Werks geführt. Möge ihm - durchaus nicht unberechtigt - virtuose Oberflächlichkeit in vielen seiner Texte vorgeworfen werden, so weist sein Ouvre doch Aspekte auf, die Rückert große Aktualität verleihen. Nicht nur die Kindertotenlieder (1872, aus dem Nachlaß), die Gustav Mahler zur genialen Vertonung bewegten, sind ein Beispiel hierfür; auch seine Hinwendung zum Gegenständlichen und zu manchmal skurrilen Motiven enthält Parallelen zur Lyrik des 20. Jahrhunderts (z. B. Günter Eich). Darüber hinaus ist Rückert der bedeutendste deutschsprachige Übersetzer und Nachdichter orientalischer Poesie: er übertrug Texte u. a. aus dem Arabischen, Hebräischen, Persischen und Sanskrit und verwendete zahlreiche fremde Strophenformen (Ghaselen, Makamen etc.) zum ersten Mal in der deutschen Lyrik.
Wenn von Zerrissenheit die Rede war, so kann dieses Attribut wohl selten treffender verwendet werden als in bezug auf das Leben und Werk Christian Dietrich Grabbes. Aus seiner nihilistischen Perspektive war die Welt nichts als ein »mittelmäßiges Lustspiel«; entsprechend dieser Grundhaltung gestaltete er historische Dramen (Napoleon oder die hundert Tage, 1831, Hannibal, 1835) als groteske Bilderbücher, in denen das Scheitern alles Großen an der Übermacht des Gemeinen und Banalen zynisch dargestellt wird. Grabbes radikale Skepsis und Illusionslosigkeit rückt ihn in die Nähe moderner Dramatiker wie Valle-Inclán, Ionesco und Beckett. Als frühes Werk des absurden Theaters kann seine Komödie Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung (1827) angesehen werden; eine erste Ahnung der Postmoderne vermittelt der gigantische Versuch, in Don Juan und Faust (1829) zwei Stoffe der Weltliteratur mit einer eigenwilligen Zitat-Technik zu einer aus dem Widerspruch generierten Synthese zusammenzuführen.
Allgemeines: - aufgrund der Restaurationspolitik sehr unpolitisch, unrevolutionär
- Heimatverbundenheit, Religion, Pflege des Althergebrachten, schlichte Genügsamkeit
- Quietismus, Bändigung der Leidenschaften, mitunter Schwermut
Das "Biedermeier" Die meisten deutschen Schriftsteller zwischen 1820 und 1848 teilten die konservative Beurteilung der politischen Lage. Sie standen im Allgemeinen dem Liberalismus kritischer gegenüber als dem fürsorglichen Absolutismus ihrer Herrscher und den Polizeitstaat-Methoden des Metternich-Regimes. Sie bedauerten das politische Engagement ihrer jüngeren Zeitgenossen (s.u.) und standen neuen politischen Ideen mit Misstrauen gegenüber, weil sie dahinter umstürzlerische Bestrebungen witterten. Dennoch waren sie keineswegs begeistert von der neuen Ordnung.
Zur Namensgebung Die Bezeichnung "Biedermeier" geht auf die deutschen Schriftsteller Ludwig Eichrodt und Adolf Kußmaul zurück, die für die Münchener "Fliegenden Blätter" von 1855­1857 die Gestalt des schwäbischen Dorflehrers Gottlieb Biedermaier erfanden - einen Menschen, dem nach ihrer Charakterisierung "seine kleine Stube, sein enger Garten, sein unansehnlicher Flecken und das dürftige Los eines verachteten Dorfschulmeisters zu irdischer Glückseligkeit verhelfen." Während Eichrodt und Kußmaul mit dieser Figur und dessen Freund Horatius Treuherz eine Parodie auf das Spießbürgertum abliefern wollten, begann man gegen Ende des 19. Jahrhunderts, das Biedermeier mit der "guten, alten Zeit" gleichzusetzen und verwendete diesen Begriff als Synonym für Behaglichkeit, Häuslichkeit, Geselligkeit in Familie und im Freundeskreis, für den (auch geistigen) Rückzug ins Private. Ab 1906 wurde der Begriff für Mode und Möbel aus der Zeit zwischen 1815 und 1848 verwendet, dann auch für einen Malstil.
Merkmale und Strömungen des Biedermeier Die Einstellung, von der die Literatur und das geistige Leben bis ungefähr 1840 gekennzeichnet wurden, hieß Anpassung an die Wirklichkeit: Man fügte sich ohne Aufbegehren in eine unvollkommene Welt. Die politischen Enttäuschungen, die die Literaten des Biedermeier in ihrer Jugend erlebt hatten (Napoleon; Wiener Kongress), erzeugten in ihnen ein allgemeines Misstrauen gegen die große Politik. Sie hatten daher die Tendenz, sich nach den Befreiungskriegen in ihrem Heim oder in engsten Kreisen abzukapseln. Ihre Welt, die sie auch in ihren Werken darstellten, war gekennzeichnet durch eine konservative Grundhaltung, durch Selbstgenügsamkeit und Hingabe an eine Arbeit, die um ihrer selbst willen und nicht wegen eines materiellen Vorteils gut getan wurde. Die Wohnung wurde so zum Mittelpunkt des Lebens. Dennoch gewannen Kaffeehäuser und Theater, als wichtige Treffpunkte in den Städten, an Bedeutung.
Denn andererseits maß man der Kunst durchaus eine soziale Bedeutung bei. Man war davon überzeugt, dass sowohl das künstlerische Schaffen als auch das Erlebnis der Kunst die Menschen verbinde und ihr Gemeinschaftsgefühl stärke. Die bevorzugten Gattungen waren in diesen Jahren die Idylle - ein episches Gedicht, an dem man sich im Familienkreis erfreute - und das Drama, das öffentlich aufgeführt wurde. Der gesellige Charakter der Biedermeier-Literatur zeigt sich ferner in der Beliebtheit gewisser Gattungen wie der Satire, des Epigramms, der Reiseberichte sowie v.a. der Tagebücher, Briefe und Lebenserinnerungen, die im Familienkreis oder vor Freunden vorgelesen wurden. Trotz dieser Gemeinsamkeiten zerfällt die Biedermeier-Zeit in eine verwirrende Vielfalt literarischer Stile und Vorlieben, die sich manchmal sogar in ein und demselben Werk zeigen:
Historischer Hintergrund:
- Leitung des Wiener Kongreßes vom österreichischen Monarchen Fürst von Metternich
- Gründung des Deutschen Bundes (1815), Karlsbader Beschlüsse (1819)
- Restaurationspolitik (1815-48) mit gravierenden Folgen für die Literatur
- einsetzende Industrialisierung, Massenelend
Literarische Formen: - »Andacht zum Kleinen« (Stifter), demnach Bevorzugung kleiner literarischer Formen wie Kurzgeschichten, Stimmungsbildern, literarischen Skizzen, Studien
- die Alt-Wiener Komödie (beeinflußt von der italienischen »Commedia dell'arte«)
- das Wiener Volksstück mit singspielhaften Einlagen

Vertreter:
Franz Grillparzer (1791-1872): In seinen Dramen ist der grüblerische Weltschmerz des beginnenden 19. Jahrhunderts ein Grundmotiv: Ausdruck des Unglaubens an sich selbst, des Zweifels, der in die Ruhe der Idylle, des reinen Herzens, der stillen Innerlichkeit flieht. Hauptwerke: "König Ottokars Glück und Ende" (1825), "Ein Bruderzwist in Habsburg", "Die Jüdin von Toledo", "Libussa", (Schicksalstragödie Die Ahnfrau, äußerlich klassizistische Dramen Sappho, Das Goldene Vlies, Trauerspiel Ein treuer Diener seines Herrn, dramatisches Märchen Der Traum im Leben, rührende Novelle Der arme Spielmann)
Ferdinand Raimund (1790-1836): Er blieb trotz seiner unglücklichen Liebe zur Tragödie der barock-wienerischen Volkstradition verhaftet und führte sie mit seinen Zauberspielen und Besserungsstücken auf den Gipfel der Vollendung. Hauptwerke: "Der Verschwender", Der Alpenkönig und der Menschenfeind mit Gestalten der volkstümlichen Mythologie, "Der Bauer als Millionär", "Der Barometermacher auf der Zauberinsel", "Der Diamant des Geisterkönigs", "Die gefesselte Fantasie" und "Die Unheil bringende Zauberkrone". (Possen Das Mädchen aus der Feenwelt, Der Verschwender)
Johann Nepomuk Nestroy (1801-1862): Bei ihm wandelt sich das Altwiener Volksstück zur sozialkritischen Komödie: Die Zaubermaschinerie einer übersinnlichen Welt vermag die Personen nicht mehr aus ihren Bedingtheiten zu reißen. Hauptwerke: "Der konfuse Zauberer", "Lumpazivagabundus", "Der Zerrissene", "Das Haus der Temperamente". (zeitgenössische Stücke Der Talisman, Die Launen des Glücks, Einen Jux will er sich machen, Der Zerrissene, satirische Kritik am System, kritischer Rückblick auf die Märzrevolution in Freiheit in Krähwinkel)
Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848): Gefangen in ihrer von Milieu, materieller Not und triebhaftem Denken und Fühlen bestimmten Welt, sind die Personen in ihrer Meisternovelle Die Judenbuche mit realistischen und naturalistischen Tendenzen, atmosphärische Gedichte. Ein Sittengemälde aus dem gebirgichten Westfalen" (1842) nur in geringem Maße wirklich Handelnde; vielmehr kann ihr Verhalten als bloßes, fast instinktives Reagieren auf äußere, von Gesellschaft und Natur gesetzte Umstände aufgefasst werden. In diesem Prosawerk nimmt die Autorin Züge des Realismus und des Naturalismus vorweg, so wie sie auch in anderen Erzählungen einen besonderen Schwerpunkt auf die möglichst detaillierte und atmosphärisch dichte Schilderung der Lebensumstände des Landadels wie des einfachen Volkes legt. Bekannt wurden außerdem Annette von Droste-Hülshoffs Balladen und Gedichte, etwa die Sammlung "Heidebilder", zu der auch die bekannte Ballade "Der Knabe im Moor" (1842) zählt. Weniger bekannt sind heute die Versepen der Dichterin ("Das Hospiz auf dem großen St. Bernhard", "Die Schlacht im Loener Bruch").
Adalbert Stifter (1805-1868): Eine mindestens ebenso zentrale Rolle spielt die Natur auch bei Stifter, allerdings mit völlig anderer Funktion. Denn wenn bei einem Autor tatsächlich und ganz wertfrei von Biedermeier im Sinne von 'Rückzug ins Private, Abgewandheit von der (sozial geprägten) Welt' gesprochen werden kann, dann ist dies bei ihm der Fall. Stifter hat die in seiner Prosa allgegenwärtige Natur zum Zeugen und Mitbeteiligten am menschlichen Schicksal gemacht. Im Grunde thematisieren alle seine Werke die Entsagung und die Zuwendung zum Kleinen, Alltäglichen als Kern wahrer Humanität, die sich dem »sanften Gesetz« der sittlichen Ordnung unterwirft.
Sein Erzählwerk umfasst sechs Novellenbände, unter anderem "Studien" (1844-50; darin "Der Hochwald"), "Bunte Steine" (1835; darin "Bergkristall") sowie den Bildungs- und Erziehungsroman "Nachsommer" (1857) und den historischen Roman "Witiko" (1865-67). - Weitere Werke: "Nachkommenschaften", "Brigitta", "Der Hagestolz". (kleine Erzählungen Studien, Bunte Steine mit programmatischer Vorrede, Darstellung einer utopisch wohlgeordneten Welt in Der Nachsommer)
Eduard Mörike (1804-1875): Ein Name, der fast automatisch mit dem Biedermeier in Zusammenhang gebracht wird. Dass er sich ­ allerdings keineswegs ausschließlich ­ unspektakulären Themen widmete und sich nicht zu schade war, auf einen Turmhahn oder eine Lampe ein Gedicht zu schreiben, scheint ihm zum Verhängnis geworden zu sein. Dabei steckt selbst in den eher idyllischen Texten stets eine gute Portion Ironie, aber es überwiegen ohnehin solche, die alles andere als betulich sind. Seine bildhafte, rhythmisch und formal vollendete Lyrik, die Volksliedhaftes, Balladeskes, Idyllisches und streng gefügte antikisierende Formen umfasst, stellt ein Bindeglied zwischen Goethe und der modernen Dichtung dar.
Hauptwerke: Schilderung Mozarts Reise zur Uraufführung Don Juans in der Novelle Mozart auf der Reise nach Prag (1856), "Das Stuttgarter Hutzelmännlein" (1852). Teils schwermütige Naturgedichte Septembermorgen, Im Frühling, Märchen Das Stuttgarter Hutzelmännlein, stimmungsvoller Roman Maler Nolten.
Christian Dietrich Grabbe (1801-1836): Aus seiner nihilistischen Perspektive war die Welt nichts als ein »mittelmäßiges Lustspiel«; entsprechend dieser Grundhaltung gestaltete er historische Dramen (Napoleon oder die hundert Tage, 1831, Hannibal, 1835) als groteske Bilderbücher, in denen das Scheitern alles Großen an der Übermacht des Gemeinen und Banalen zynisch dargestellt wird. Hauptwerke: "Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung", "Marius und Sulla", "Die Hohenstaufen", "Die Hermannsschlacht", "Cid", "Don Juan und Faust".
Friedrich Rückert (1788-1866): Er schrieb unter anderem patriotische Befreiungslyrik [gegen Napoleon] in "Deutsche Gedichte" (1814), politisch-satirische Lustspiele auf Napoleon (1815-18) und biedermeierliche "Haus- und Jahrespoesie". Seine eigentliche Leistung ist die Erschließung der persisch-arabischen Dichtung durch sein ungewöhnliches Sprach-, Reim- und Übersetzertalent. Hauptwerke: Zyklus "Liebesfrühling" (1844), "Die Weisheit des Brahmanen" (1836-1839), "Kindertotenlieder" (1872 aus dem Nachlass, vertont durch Gustav Mahler), "Geharnischte Sonette" (1814).
Karl Leberecht Immermann (kritischer Zeitroman Die Epigonen)

Zeitalter der Restauration: Biedermeier, Junges Deutschland und Vormärz (1815-1848)
Geschichtliche Hintergründe Die Zeit der Restauration beginnt 1815 mit dem Ende der napoleonischen Herrschaft in Europa und dem Wiener Kongress und endet mit der bürgerlichen Revolution, der so genannten "Märzrevolution" von 1848; deshalb wird diese Epoche auch Vormärz genannt. Kennzeichen für diese Epoche ist die äußere Sicherheit und die innere Unterdrückung aller aufkeimenden Ideen des Liberalismus, des Nationalismus und der Demokratie.
Die deutschen Patrioten und liberalen Reformer mussten erleben, wie ihre Hoffnungen auf dem Wiener Kongress und noch brutaler durch die Karlsbader Beschlüsse 1819 (Verbot der Burschenschaften; Verfolgung von 'Demagogen'; Pressezensur) zuschanden gemacht wurden. Es gab jedoch erstaunlich wenig Auflehnung gegen diese Entwicklung. Der Hauptgrund für die politische Gefügigkeit vieler Deutscher in den Jahren der Reaktion zwischen 1815 und 1848 lag darin, dass die Behörden und die Masse des Volkes die Stabilität und Sicherheit begrüßten, wie sie durch die Rückkehr zur politischen Vorkriegsordnung erreicht wurde. Das Leben in Preußen, Bayern, Baden und Sachsen war vor den napoleonischen Kriegen jahrzehntelang friedlich verlaufen. Die Kriege, die sich mit Unterbrechnungen von 1792 bis 1815 hinzogen, die tief greifenden Umwälzungen, die sie einem nicht an Veränderungen gewohnten Volk aufzwangen, die Zerstörung des Heiligen Römischen Reiches brachten dagegen keinerlei erkennbaren Gewinn für das Volk mit sich - wenn man einmal von den linksrheinischen Gebieten absieht, die während der französischen Besatzung die Segnungen einer liberalen Verwaltung erfahren hatten. Die stürmische Unruhe und die Entbehrungen, unter denen die Deutschen in den anderen Teilen des Reiches litten, ließen die Menschen mit Wehmut an die 'guten alten Tage' vor 1789 denken.
Die Deutschen führten ihre Beschwerden und Verluste weniger auf den Krieg und den von vielen bewunderten Napoleon zurück als auf das Phänomen der Revolution. Die Französische Revolution 1789 war schließlich dafür verantwortlich, dass ein König hingerichtet wurde und zahlreiche Adlige starben oder ins Exil gingen. Man war der Ansicht, dass diese Revolution die Massen dazu aufgestachelt hatte, nach Dingen zu greifen, die ihnen nicht zustanden. Die französische Nation hatte in ihrem maßlosen Ehrgeiz lange Jahre hindurch Unruhe und Krieg über Europa gebracht und beinahe die ganze gesellschaftliche Ordnung umgestürzt. Die Deutschen wussten aber, dass ihr Land aufgrund seiner Lage in der Mitte Europas und seiner Uneinigkeit besonders anfällig für alle Störungen der europäischen Ordnung war. Somit war die Mehrheit des deutschen Volkes nicht unzufrieden mit dem Ergebnis des Wiener Kongresses und protestierte nicht dagegen, dass die Schlussakte keine Bestimmungen über die Sicherung individueller Rechte und Freiheiten enthielt. Die harten Maßnahmen, zu denen die staatlichen Behörden griffen, um die wiederhergestellte Ordnung zu sichern, gaben dem Bürger das beruhigende Gefühl, in einer festen Ordnung zu leben. Sowohl Preußen als auch Bayern, die beide später nach der Vorherrschaft in Deutschland streben sollten, begrüßten es, das Österreich 1815 seine alte Vormachtstellung in Deutschland wieder einnahm. Das war ein Unterpfand für Frieden in der Gegenwart und Sicherheit in der Zukunft.
Die unterschiedliche künstlerische Reaktion auf diese gesellschaftpolitischen Entwicklungen trennt die konservative Strömung des "Biedermeier" von der liberalen des "Jungen Deutschland" bzw. der radikaldemokratischen des literarischen "Vormärz":