9. Biedermeier (1815 - 1848)
Noch heute bieten Möbelhäuser in ihren Prospekten und Verkaufsausstellungen
ganze Wohnzimmereinrichtungen im »Biedermeier-Stil« an. Diese Erzeugnisse
mit Werken der deutschen Literatur in Zusammenhang zu bringen, fällt nicht
ganz leicht, zumal das ästhetische Urteil, wollte man eine direkte Analogie
zwischen Texten und besagten Kommoden herstellen, verheerend wäre. Und
doch ist diese Verbindung nicht zufällig. Die Bezeichnung stammt von einer
Parodie auf das Spießbürgertum von Ludwig Eichrodt, der in den Münchener
Fliegenden Blättern von 1855-1857 die (fingierten) kreuzbraven Gedichte
des schwäbischen Schullehrers Gottlieb Biedermaier und seines Freundes
Horatius Treuherz veröffentlichte. Biedermeier verband sich bald mit allem
Betulich-Hausbackenen, besonders in bezug auf Wohnkultur und Malerei. Erst nach
und nach wurde es zum Schlagwort für die unpolitische Restaurationszeit
(1815-1848) und ihr Bürgertum, und schließlich, im Bereich der Literatur,
für diejenigen Schriftsteller nach der Romantik, die im Gegensatz zu den
revolutionär eingestellten Literaten des Vormärz in ihren Werken keine
politische Botschaft vermittelten.
Das abfällige Werturteil, das im Terminus Biedermeier unweigerlich mitklingt,
hat wohl nicht unwesentlich dazu geführt, daß die Schriftsteller,
die dieser Teil-Epoche (ca. 1830-50) zugeordnet werden, oft pauschal als harmlos,
minderwertig, suspekt und jedenfalls uninteressant angesehen werden. Wie ungerecht
diese Behandlung ist, wird erst in den letzten Jahren durch ein vermehrtes wissenschaftliches
Augenmerk allmählich deutlich gemacht.
Einer, dessen Name fast automatisch mit dem Biedermeier der Beschaulichkeit
assoziiert wird, ist Eduard Mörike. Daß er sich - allerdings keineswegs
ausschließlich - unspektakulären Themen widmete und sich nicht zu
schade war, auf einen Turmhahn oder eine Lampe ein Gedicht zu schreiben, scheint
ihm zum Verhängnis geworden zu sein. Dabei steckt selbst in den eher idyllischen
Texten stets eine gute Portion Ironie, aber es überwiegen ohnehin solche,
die alles andere als betulich sind. Sein Roman Maler Nolten (1832) legt die
seelischen Abgründe eines jungen Künstlers offen und ist von geradezu
anti-biedermeierlicher Zerrissenheit und Aufgewühltheit gekennzeichnet.
Mit formaler Strenge und leisen, eindringlichen Tönen gibt dagegen die
Novelle Mozart auf der Reise nach Prag (1855) eine scheinbar unbeschwerte Anekdote
aus dem Leben des Komponisten wieder - und doch wird dem Leser dabei ein beklemmender
Einblick in die Tragik des sich verzehrenden Genies gewährt.
Mörikes Lyrik ist von einer erstaunlichen stilistischen und thematischen
Vielfalt. Texte von klassischer Strenge (darunter Auf eine Lampe mit der berühmten
Schlußzeile: »Was aber schön ist, selig scheint es in ihm selbst«)
stehen neben anderen voller romantisch entfesselter Leidenschaft (Peregrina-Zyklus,
Ein Stündlein wohl vor Tag); mythisch-geheimnisvolle (Gesang Weylas) neben
Liedern und Balladen im echten Volkston (Er ists [»Frühling läßt
sein blaues Band ...«], Der Feuerreiter), heiter-besinnliche (Scherz,
Jedem das Seine) neben ausgesprochen modernen Nonsense-Texten (den Wispeliaden
oder Sommersprossen von Liebmund Maria Wispel, 1837).
Das Musikalische seiner Gedichte - nicht umsonst ist Mörike einer der meistvertonten
deutschen Dichter - und die eigenständige, präzise Handhabung des
traditionsbeladenen Sprachmaterials verleihen seinem poetischen Werk einen über
das Epochale hinausweisenden Wert; Texte wie Um Mitternacht, An einem Wintermorgen,
vor Sonnenaufgang, Ein Tännlein grünet wo oder An eine Äolsharfe
gehören zu den unumstrittenen Höhepunkten deutschsprachiger Lyrik.
Mörikes Lyrik ist von einer erstaunlichen stilistischen und thematischen
Vielfalt. Texte von klassischer Strenge (darunter Auf eine Lampe mit der berühmten
Schlußzeile: »Was aber schön ist, selig scheint es in ihm selbst«)
stehen neben anderen voller romantisch entfesselter Leidenschaft (Peregrina-Zyklus,
Ein Stündlein wohl vor Tag); mythisch-geheimnisvolle (Gesang Weylas) neben
Liedern und Balladen im echten Volkston (Er ists [»Frühling läßt
sein blaues Band ...«], Der Feuerreiter), heiter-besinnliche (Scherz,
Jedem das Seine) neben ausgesprochen modernen Nonsense-Texten (den Wispeliaden
oder Sommersprossen von Liebmund Maria Wispel, 1837). Das Musikalische seiner
Gedichte - nicht umsonst ist Mörike einer der meistvertonten deutschen
Dichter - und die eigenständige, präzise Handhabung des traditionsbeladenen
Sprachmaterials verleihen seinem poetischen Werk einen über das Epochale
hinausweisenden Wert; Texte wie Um Mitternacht, An einem Wintermorgen, vor Sonnenaufgang,
Ein Tännlein grünet wo oder An eine Äolsharfe gehören zu
den unumstrittenen Höhepunkten deutschsprachiger Lyrik.
Mindestens im gleichen Maße wie Mörike ist Franz Grillparzer mit
dem Biedermeier-Stigma belastet. Wegen seiner Formstrenge als Goethe- und/oder
Schiller-Epigone verkannt, wegen seiner pessimistisch-resignativen Grundhaltung
in der Behandlung der Macht-Thematik zum Dichter der Metternich-Ära abgestempelt,
trug sicher sein Märchenspiel Der Traum ein Leben (1834) dazu bei, sein
Werk als Aufruf zur tatenlosen Innerlichkeit zu mißverstehen, vor allem
durch die Zeilen: Eines nur ist Glück hienieden, / Eins: des Innern stiller
Frieden / Und die schuldbefreite Brust. / Und die Größe ist gefährlich,
/ Und der Ruhm ein leeres Spiel, / Was sie gibt, sind nicht'ge Schatten, / Was
sie nimmt, es ist so viel.
Freilich, aus dem Zusammenhang gerissen mag hieraus eine Aufforderung zu stiller
Häuslichkeit abgeleitet werden, aber Grillparzer deswegen zum Vertreter
biedermeierlicher Genügsamkeit auszurufen, grenzt an üble Nachrede.
Sein Fatalismus ist alles andere als ängstlicher Schicksalsglaube, sondern
rührt von seiner tiefen, gewiß auch leidvollen Welterfahrung her.
Grillparzer kannte die ungeheure Macht, welche die - zumal verborgenen - seelischen
Kräfte auf den Menschen ausüben, und so hat er in seinen Dramen nicht
das Fatum walten lassen, sondern das Geschehen aus der - meisterhaft gezeichneten
- tiefenpsychologischen Struktur seiner Figuren entwickelt.
Ob in König Ottokars Glück und Ende (1825) oder Ein treuer Diener
seines Herrn (1828): es gibt in seiner Bühnenwelt ebenso wenig wirkliche
Bösewichte wie strahlende Helden; alle Personen agieren aus der inneren
Logik ihrer seelischen Beschaffenheit und geraten dadurch, gleichzeitig Opfer
und Verursacher, in tragischen Konflikt. Das ist sein Wesenszug seiner den Schillerschen
durchaus ebenbürtigen Geschichtsdramen, deren sentenzhafte Sprache ebenfalls
an den Klassiker erinnert, ohne ihn jemals nachzuahmen (neben den schon erwähnten
die Alterswerke Die Jüdin von Toledo, 1850-1860 entstanden, 1872 uraufgeführt,
und Ein Bruderzwist in Habsburg, 1848/1872). Aber ebenso werden uns in der Bearbeitung
antik-mythischer Stoffe (Sappho, 1818, die Trilogie Das goldene Vlies, 1821,
Des Meeres und der Liebe Wellen, d. i. die Sage von Hero und Leander, 1831,
sowie Libussa, 1848/1874) stets Menschen vorgeführt, die, auf der Suche
nach dem persönlichen Glück, im Zwiespalt zwischen Erkenntnis und
Tat an die von innen wie von außen gesetzten Grenzen geraten.
Wenn Grillparzer »der Dichter der skeptischen Reflexion und der resignierenden
Weisheit« (Wolfgang Müller) genannt worden ist, so heißt das
nicht, daß in seinen Dramen der Handelnde sich schuldig macht, während
der Leidende seine Reinheit bewahrt. Das Zögern und Zweifeln ist ein Charakteristikum
aller Grillparzerschen Figuren, durch die das Wissen des Autors um die Bedingtheit
menschlichen Tuns und Strebens zum Ausdruck kommt.
Gefangen in ihrer von Milieu, materieller Not und archaisch-triebhaftem Denken
und Fühlen bestimmten Welt, sind die Personen in Annette von Droste-Hülshoffs
Meisternovelle Die Judenbuche. Ein Sittengemälde aus dem gebirgichten Westfalen
(1842) nur in geringem Maße wirklich Handelnde; vielmehr kann ihr Verhalten
als bloßes, fast instinktives Reagieren auf äußere, von Gesellschaft
und Natur gesetzte Umstände aufgefaßt werden. In diesem Prosawerk
nimmt die Autorin (eigentlich Anna Elisabeth Freiin Droste zu Hülshoff)
Züge des Naturalismus voraus, so wie sie auch in anderen Erzählungen
(Bei uns zu Lande auf dem Lande, 1840, Bilder aus Westfalen, 1842), wenn auch
nicht mit derselben Intensität, einen besonderen Schwerpunkt auf die möglichst
detaillierte und atmosphärisch dichte Schilderung der Lebensumstände
des Landadels wie des einfachen Volkes legt.
Doch in die um Objektivität bemühte Darstellungsweise der Judenbuche
flicht sich eine auf eigentümliche Art divergierende und doch organisch
verbundene Thematisierung von Natur, die über das rein Deskriptive weit
hinausgeht und Moor und Wald, Gewitter und Nebel etwas Unheimliches und Bedrohliches
verleiht. Dieser Aspekt, der in den Versepen der Droste-Hülshoff überspitzt
wirkt, läßt sich in ihrer Lyrik reiner und 'stimmiger' wiederfinden.
Unter den Begriff Naturlyrik, zu der viele ihrer Gedichte zweifelsohne zu rechnen
sind, lassen sich im Prinzip alle Texte subsummieren, die eben Natur auf die
eine oder andere Weise zum Gegenstand haben - das Kennzeichnende an Drostes
Lyrik ist die magische Dimension, die Bäume, Vögel, Wolken, vor allem
auch Formen und Geräusche erhalten. Ob düster oder freundlich: in
Gedichten wie Der Knabe im Moor, Der Weiher, Durchwachte Nacht oder Im Grase
ist stets etwas Dämonisches zu spüren; die Erscheinungen der Natur
sind nie bloßer Hintergrund, nie bloße Träger von Stimmungen,
andererseits auch nie reine Symbole: sie sind wesenhaft, sind am Weltgeschehen
beteiligt, besitzen geheimnisvolle Macht.
Eine mindestens ebenso zentrale Rolle spielt die Natur auch bei Adalbert Stifter,
allerdings mit völlig anderer Funktion. Denn wenn bei einem Autor tatsächlich
und ganz wertfrei von Biedermeier im Sinne von 'Rückzug ins Private, Abgewandheit
von der (sozial geprägten) Welt' gesprochen werden kann, dann ist dies
bei ihm der Fall. Stifter, dem das »Wehen der Luft, das Rieseln des Wassers«
mehr galten als der »Blitz, welcher Häuser spaltet« und der
»Sturm, der die Brandung treibt« hat die in seiner Prosa allgegenwärtige
Natur zum Zeugen und Mitbeteiligten am menschlichen Schicksal gemacht. Im Grunde
thematisieren alle seine Werke (darunter Der Hochwald, 1842, Brigitta, 1843,
Der Waldsteig, 1845, Bunte Steine, 1854, Nachsommer, 1857, Die Mappe meines
Urgroßvaters, vier Fassungen von 1841 bis 1867) die Entsagung und die
Zuwendung zum Kleinen, Alltäglichen als Kern wahrer Humanität, die
sich dem »sanften Gesetz« der sittlichen Ordnung unterwirft.
Und noch bei einem weiteren Autor, der allerdings eher aus Mangel an Gegenbeweisen
dem Biedermeier zugeordnet wird, steht die Natur im Vordergrund seines vorwiegend
lyrischen Schaffens: Nikolaus Lenau (eigentlich Nikolaus Franz Niembsch, Edler
von Strehlenau). In seiner von Melancholie geprägten, äußerst
melodiösen Lyrik spiegelt die Landschaft - oft die Steppen seiner ungarischen
Heimat - die düsteren Stimmungen der Seele. Zerrissenheit ist auch formal
und thematisch das Kennzeichen seiner Verserzählungen und -dramen (Faust,
1836/40, Savonarola, 1837, Die Albigenser, 1840 und Don Juan, ein Fragment aus
dem Nachlaß).
Als bedeutender Lyriker dieser Zeit muß auch Friedrich Rückert genannt
werden. Die große Anzahl seiner Gedichte, deren ästhetischer Rang
fast zwangsläufig sehr unterschiedlich ausfällt, hat zu einer pauschalen
Unterschätzung seines Werks geführt. Möge ihm - durchaus nicht
unberechtigt - virtuose Oberflächlichkeit in vielen seiner Texte vorgeworfen
werden, so weist sein Ouvre doch Aspekte auf, die Rückert große Aktualität
verleihen. Nicht nur die Kindertotenlieder (1872, aus dem Nachlaß), die
Gustav Mahler zur genialen Vertonung bewegten, sind ein Beispiel hierfür;
auch seine Hinwendung zum Gegenständlichen und zu manchmal skurrilen Motiven
enthält Parallelen zur Lyrik des 20. Jahrhunderts (z. B. Günter Eich).
Darüber hinaus ist Rückert der bedeutendste deutschsprachige Übersetzer
und Nachdichter orientalischer Poesie: er übertrug Texte u. a. aus dem
Arabischen, Hebräischen, Persischen und Sanskrit und verwendete zahlreiche
fremde Strophenformen (Ghaselen, Makamen etc.) zum ersten Mal in der deutschen
Lyrik.
Wenn von Zerrissenheit die Rede war, so kann dieses Attribut wohl selten treffender
verwendet werden als in bezug auf das Leben und Werk Christian Dietrich Grabbes.
Aus seiner nihilistischen Perspektive war die Welt nichts als ein »mittelmäßiges
Lustspiel«; entsprechend dieser Grundhaltung gestaltete er historische
Dramen (Napoleon oder die hundert Tage, 1831, Hannibal, 1835) als groteske Bilderbücher,
in denen das Scheitern alles Großen an der Übermacht des Gemeinen
und Banalen zynisch dargestellt wird. Grabbes radikale Skepsis und Illusionslosigkeit
rückt ihn in die Nähe moderner Dramatiker wie Valle-Inclán,
Ionesco und Beckett. Als frühes Werk des absurden Theaters kann seine Komödie
Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung (1827) angesehen werden; eine erste
Ahnung der Postmoderne vermittelt der gigantische Versuch, in Don Juan und Faust
(1829) zwei Stoffe der Weltliteratur mit einer eigenwilligen Zitat-Technik zu
einer aus dem Widerspruch generierten Synthese zusammenzuführen.
Allgemeines: - aufgrund der Restaurationspolitik sehr unpolitisch,
unrevolutionär
- Heimatverbundenheit, Religion, Pflege des Althergebrachten, schlichte Genügsamkeit
- Quietismus, Bändigung der Leidenschaften, mitunter Schwermut
Das "Biedermeier" Die meisten deutschen Schriftsteller
zwischen 1820 und 1848 teilten die konservative Beurteilung der politischen
Lage. Sie standen im Allgemeinen dem Liberalismus kritischer gegenüber
als dem fürsorglichen Absolutismus ihrer Herrscher und den Polizeitstaat-Methoden
des Metternich-Regimes. Sie bedauerten das politische Engagement ihrer jüngeren
Zeitgenossen (s.u.) und standen neuen politischen Ideen mit Misstrauen gegenüber,
weil sie dahinter umstürzlerische Bestrebungen witterten. Dennoch waren
sie keineswegs begeistert von der neuen Ordnung.
Zur Namensgebung Die Bezeichnung "Biedermeier" geht auf die deutschen
Schriftsteller Ludwig Eichrodt und Adolf Kußmaul zurück, die für
die Münchener "Fliegenden Blätter" von 18551857 die
Gestalt des schwäbischen Dorflehrers Gottlieb Biedermaier erfanden - einen
Menschen, dem nach ihrer Charakterisierung "seine kleine Stube, sein enger
Garten, sein unansehnlicher Flecken und das dürftige Los eines verachteten
Dorfschulmeisters zu irdischer Glückseligkeit verhelfen." Während
Eichrodt und Kußmaul mit dieser Figur und dessen Freund Horatius Treuherz
eine Parodie auf das Spießbürgertum abliefern wollten, begann man
gegen Ende des 19. Jahrhunderts, das Biedermeier mit der "guten, alten
Zeit" gleichzusetzen und verwendete diesen Begriff als Synonym für
Behaglichkeit, Häuslichkeit, Geselligkeit in Familie und im Freundeskreis,
für den (auch geistigen) Rückzug ins Private. Ab 1906 wurde der Begriff
für Mode und Möbel aus der Zeit zwischen 1815 und 1848 verwendet,
dann auch für einen Malstil.
Merkmale und Strömungen des Biedermeier Die Einstellung,
von der die Literatur und das geistige Leben bis ungefähr 1840 gekennzeichnet
wurden, hieß Anpassung an die Wirklichkeit: Man fügte sich ohne Aufbegehren
in eine unvollkommene Welt. Die politischen Enttäuschungen, die die Literaten
des Biedermeier in ihrer Jugend erlebt hatten (Napoleon; Wiener Kongress), erzeugten
in ihnen ein allgemeines Misstrauen gegen die große Politik. Sie hatten
daher die Tendenz, sich nach den Befreiungskriegen in ihrem Heim oder in engsten
Kreisen abzukapseln. Ihre Welt, die sie auch in ihren Werken darstellten, war
gekennzeichnet durch eine konservative Grundhaltung, durch Selbstgenügsamkeit
und Hingabe an eine Arbeit, die um ihrer selbst willen und nicht wegen eines
materiellen Vorteils gut getan wurde. Die Wohnung wurde so zum Mittelpunkt des
Lebens. Dennoch gewannen Kaffeehäuser und Theater, als wichtige Treffpunkte
in den Städten, an Bedeutung.
Denn andererseits maß man der Kunst durchaus eine soziale Bedeutung bei.
Man war davon überzeugt, dass sowohl das künstlerische Schaffen als
auch das Erlebnis der Kunst die Menschen verbinde und ihr Gemeinschaftsgefühl
stärke. Die bevorzugten Gattungen waren in diesen Jahren die Idylle - ein
episches Gedicht, an dem man sich im Familienkreis erfreute - und das Drama,
das öffentlich aufgeführt wurde. Der gesellige Charakter der Biedermeier-Literatur
zeigt sich ferner in der Beliebtheit gewisser Gattungen wie der Satire, des
Epigramms, der Reiseberichte sowie v.a. der Tagebücher, Briefe und Lebenserinnerungen,
die im Familienkreis oder vor Freunden vorgelesen wurden. Trotz dieser Gemeinsamkeiten
zerfällt die Biedermeier-Zeit in eine verwirrende Vielfalt literarischer
Stile und Vorlieben, die sich manchmal sogar in ein und demselben Werk zeigen:
Historischer Hintergrund:
- Leitung des Wiener Kongreßes vom österreichischen Monarchen Fürst
von Metternich
- Gründung des Deutschen Bundes (1815), Karlsbader Beschlüsse (1819)
- Restaurationspolitik (1815-48) mit gravierenden Folgen für die Literatur
- einsetzende Industrialisierung, Massenelend
Literarische Formen: - »Andacht zum Kleinen« (Stifter),
demnach Bevorzugung kleiner literarischer Formen wie Kurzgeschichten, Stimmungsbildern,
literarischen Skizzen, Studien
- die Alt-Wiener Komödie (beeinflußt von der italienischen »Commedia
dell'arte«)
- das Wiener Volksstück mit singspielhaften Einlagen
Vertreter:
Franz Grillparzer (1791-1872): In seinen Dramen ist
der grüblerische Weltschmerz des beginnenden 19. Jahrhunderts ein Grundmotiv:
Ausdruck des Unglaubens an sich selbst, des Zweifels, der in die Ruhe der Idylle,
des reinen Herzens, der stillen Innerlichkeit flieht. Hauptwerke: "König
Ottokars Glück und Ende" (1825), "Ein Bruderzwist in Habsburg",
"Die Jüdin von Toledo", "Libussa", (Schicksalstragödie
Die Ahnfrau, äußerlich klassizistische Dramen Sappho, Das Goldene
Vlies, Trauerspiel Ein treuer Diener seines Herrn, dramatisches Märchen
Der Traum im Leben, rührende Novelle Der arme Spielmann)
Ferdinand Raimund (1790-1836): Er blieb trotz seiner
unglücklichen Liebe zur Tragödie der barock-wienerischen Volkstradition
verhaftet und führte sie mit seinen Zauberspielen und Besserungsstücken
auf den Gipfel der Vollendung. Hauptwerke: "Der Verschwender", Der
Alpenkönig und der Menschenfeind mit Gestalten der volkstümlichen
Mythologie, "Der Bauer als Millionär", "Der Barometermacher
auf der Zauberinsel", "Der Diamant des Geisterkönigs", "Die
gefesselte Fantasie" und "Die Unheil bringende Zauberkrone".
(Possen Das Mädchen aus der Feenwelt, Der Verschwender)
Johann Nepomuk Nestroy (1801-1862): Bei ihm wandelt
sich das Altwiener Volksstück zur sozialkritischen Komödie: Die Zaubermaschinerie
einer übersinnlichen Welt vermag die Personen nicht mehr aus ihren Bedingtheiten
zu reißen. Hauptwerke: "Der konfuse Zauberer", "Lumpazivagabundus",
"Der Zerrissene", "Das Haus der Temperamente". (zeitgenössische
Stücke Der Talisman, Die Launen des Glücks, Einen Jux will er sich
machen, Der Zerrissene, satirische Kritik am System, kritischer Rückblick
auf die Märzrevolution in Freiheit in Krähwinkel)
Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848): Gefangen
in ihrer von Milieu, materieller Not und triebhaftem Denken und Fühlen
bestimmten Welt, sind die Personen in ihrer Meisternovelle Die Judenbuche mit
realistischen und naturalistischen Tendenzen, atmosphärische Gedichte.
Ein Sittengemälde aus dem gebirgichten Westfalen" (1842) nur in geringem
Maße wirklich Handelnde; vielmehr kann ihr Verhalten als bloßes,
fast instinktives Reagieren auf äußere, von Gesellschaft und Natur
gesetzte Umstände aufgefasst werden. In diesem Prosawerk nimmt die Autorin
Züge des Realismus und des Naturalismus vorweg, so wie sie auch in anderen
Erzählungen einen besonderen Schwerpunkt auf die möglichst detaillierte
und atmosphärisch dichte Schilderung der Lebensumstände des Landadels
wie des einfachen Volkes legt. Bekannt wurden außerdem Annette von Droste-Hülshoffs
Balladen und Gedichte, etwa die Sammlung "Heidebilder", zu der auch
die bekannte Ballade "Der Knabe im Moor" (1842) zählt. Weniger
bekannt sind heute die Versepen der Dichterin ("Das Hospiz auf dem großen
St. Bernhard", "Die Schlacht im Loener Bruch").
Adalbert Stifter (1805-1868): Eine mindestens ebenso
zentrale Rolle spielt die Natur auch bei Stifter, allerdings mit völlig
anderer Funktion. Denn wenn bei einem Autor tatsächlich und ganz wertfrei
von Biedermeier im Sinne von 'Rückzug ins Private, Abgewandheit von der
(sozial geprägten) Welt' gesprochen werden kann, dann ist dies bei ihm
der Fall. Stifter hat die in seiner Prosa allgegenwärtige Natur zum Zeugen
und Mitbeteiligten am menschlichen Schicksal gemacht. Im Grunde thematisieren
alle seine Werke die Entsagung und die Zuwendung zum Kleinen, Alltäglichen
als Kern wahrer Humanität, die sich dem »sanften Gesetz« der
sittlichen Ordnung unterwirft.
Sein Erzählwerk umfasst sechs Novellenbände, unter anderem "Studien"
(1844-50; darin "Der Hochwald"), "Bunte Steine" (1835; darin
"Bergkristall") sowie den Bildungs- und Erziehungsroman "Nachsommer"
(1857) und den historischen Roman "Witiko" (1865-67). - Weitere Werke:
"Nachkommenschaften", "Brigitta", "Der Hagestolz".
(kleine Erzählungen Studien, Bunte Steine mit programmatischer Vorrede,
Darstellung einer utopisch wohlgeordneten Welt in Der Nachsommer)
Eduard Mörike (1804-1875): Ein Name, der fast
automatisch mit dem Biedermeier in Zusammenhang gebracht wird. Dass er sich
allerdings keineswegs ausschließlich unspektakulären
Themen widmete und sich nicht zu schade war, auf einen Turmhahn oder eine Lampe
ein Gedicht zu schreiben, scheint ihm zum Verhängnis geworden zu sein.
Dabei steckt selbst in den eher idyllischen Texten stets eine gute Portion Ironie,
aber es überwiegen ohnehin solche, die alles andere als betulich sind.
Seine bildhafte, rhythmisch und formal vollendete Lyrik, die Volksliedhaftes,
Balladeskes, Idyllisches und streng gefügte antikisierende Formen umfasst,
stellt ein Bindeglied zwischen Goethe und der modernen Dichtung dar.
Hauptwerke: Schilderung Mozarts Reise zur Uraufführung Don Juans in der
Novelle Mozart auf der Reise nach Prag (1856), "Das Stuttgarter Hutzelmännlein"
(1852). Teils schwermütige Naturgedichte Septembermorgen, Im Frühling,
Märchen Das Stuttgarter Hutzelmännlein, stimmungsvoller Roman Maler
Nolten.
Christian Dietrich Grabbe (1801-1836): Aus seiner
nihilistischen Perspektive war die Welt nichts als ein »mittelmäßiges
Lustspiel«; entsprechend dieser Grundhaltung gestaltete er historische
Dramen (Napoleon oder die hundert Tage, 1831, Hannibal, 1835) als groteske Bilderbücher,
in denen das Scheitern alles Großen an der Übermacht des Gemeinen
und Banalen zynisch dargestellt wird. Hauptwerke: "Scherz, Satire, Ironie
und tiefere Bedeutung", "Marius und Sulla", "Die Hohenstaufen",
"Die Hermannsschlacht", "Cid", "Don Juan und Faust".
Friedrich Rückert (1788-1866): Er schrieb unter
anderem patriotische Befreiungslyrik [gegen Napoleon] in "Deutsche Gedichte"
(1814), politisch-satirische Lustspiele auf Napoleon (1815-18) und biedermeierliche
"Haus- und Jahrespoesie". Seine eigentliche Leistung ist die Erschließung
der persisch-arabischen Dichtung durch sein ungewöhnliches Sprach-, Reim-
und Übersetzertalent. Hauptwerke: Zyklus "Liebesfrühling"
(1844), "Die Weisheit des Brahmanen" (1836-1839), "Kindertotenlieder"
(1872 aus dem Nachlass, vertont durch Gustav Mahler), "Geharnischte Sonette"
(1814).
Karl Leberecht Immermann (kritischer Zeitroman Die
Epigonen)
Zeitalter der Restauration: Biedermeier, Junges
Deutschland und Vormärz (1815-1848)
Geschichtliche Hintergründe Die Zeit der Restauration
beginnt 1815 mit dem Ende der napoleonischen Herrschaft in Europa und dem Wiener
Kongress und endet mit der bürgerlichen Revolution, der so genannten "Märzrevolution"
von 1848; deshalb wird diese Epoche auch Vormärz genannt. Kennzeichen für
diese Epoche ist die äußere Sicherheit und die innere Unterdrückung
aller aufkeimenden Ideen des Liberalismus, des Nationalismus und der Demokratie.
Die deutschen Patrioten und liberalen Reformer mussten erleben, wie ihre Hoffnungen
auf dem Wiener Kongress und noch brutaler durch die Karlsbader Beschlüsse
1819 (Verbot der Burschenschaften; Verfolgung von 'Demagogen'; Pressezensur)
zuschanden gemacht wurden. Es gab jedoch erstaunlich wenig Auflehnung gegen
diese Entwicklung. Der Hauptgrund für die politische Gefügigkeit vieler
Deutscher in den Jahren der Reaktion zwischen 1815 und 1848 lag darin, dass
die Behörden und die Masse des Volkes die Stabilität und Sicherheit
begrüßten, wie sie durch die Rückkehr zur politischen Vorkriegsordnung
erreicht wurde. Das Leben in Preußen, Bayern, Baden und Sachsen war vor
den napoleonischen Kriegen jahrzehntelang friedlich verlaufen. Die Kriege, die
sich mit Unterbrechnungen von 1792 bis 1815 hinzogen, die tief greifenden Umwälzungen,
die sie einem nicht an Veränderungen gewohnten Volk aufzwangen, die Zerstörung
des Heiligen Römischen Reiches brachten dagegen keinerlei erkennbaren Gewinn
für das Volk mit sich - wenn man einmal von den linksrheinischen Gebieten
absieht, die während der französischen Besatzung die Segnungen einer
liberalen Verwaltung erfahren hatten. Die stürmische Unruhe und die Entbehrungen,
unter denen die Deutschen in den anderen Teilen des Reiches litten, ließen
die Menschen mit Wehmut an die 'guten alten Tage' vor 1789 denken.
Die Deutschen führten ihre Beschwerden und Verluste weniger auf den Krieg
und den von vielen bewunderten Napoleon zurück als auf das Phänomen
der Revolution. Die Französische Revolution 1789 war schließlich
dafür verantwortlich, dass ein König hingerichtet wurde und zahlreiche
Adlige starben oder ins Exil gingen. Man war der Ansicht, dass diese Revolution
die Massen dazu aufgestachelt hatte, nach Dingen zu greifen, die ihnen nicht
zustanden. Die französische Nation hatte in ihrem maßlosen Ehrgeiz
lange Jahre hindurch Unruhe und Krieg über Europa gebracht und beinahe
die ganze gesellschaftliche Ordnung umgestürzt. Die Deutschen wussten aber,
dass ihr Land aufgrund seiner Lage in der Mitte Europas und seiner Uneinigkeit
besonders anfällig für alle Störungen der europäischen Ordnung
war. Somit war die Mehrheit des deutschen Volkes nicht unzufrieden mit dem Ergebnis
des Wiener Kongresses und protestierte nicht dagegen, dass die Schlussakte keine
Bestimmungen über die Sicherung individueller Rechte und Freiheiten enthielt.
Die harten Maßnahmen, zu denen die staatlichen Behörden griffen,
um die wiederhergestellte Ordnung zu sichern, gaben dem Bürger das beruhigende
Gefühl, in einer festen Ordnung zu leben. Sowohl Preußen als auch
Bayern, die beide später nach der Vorherrschaft in Deutschland streben
sollten, begrüßten es, das Österreich 1815 seine alte Vormachtstellung
in Deutschland wieder einnahm. Das war ein Unterpfand für Frieden in der
Gegenwart und Sicherheit in der Zukunft.
Die unterschiedliche künstlerische Reaktion auf diese gesellschaftpolitischen
Entwicklungen trennt die konservative Strömung des "Biedermeier"
von der liberalen des "Jungen Deutschland" bzw. der radikaldemokratischen
des literarischen "Vormärz":