Faust. Ein Fragment


N A C H T


In einem hochgewölbten, engen, gothischen Zimmer
Faust unruhig auf seinem Sessel am Pulte.


F a u s t.
Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerey und Medicin,
Und leider auch Theologie!
Durchaus studirt, mit heißem Bemühn.

5

Da steh ich nun, ich armer Thor!
Und bin so klug als wie zuvor;
Heiße Magister, heiße Doctor gar,
Und ziehe schon an die zehen Jahr'
Herauf, herab und quer und krumm,

10

Meine Schüler an der Nase herum -
Und sehe, daß wir nichts wissen können!
Das will mir schier das Herz verbrennen.
Zwar bin ich gescheidter als alle die Laffen,
Doctoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;

15

Mich plagen keine Scrupel noch Zweifel,
Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel -
Dafür ist mir auch alle Freud' entrissen,
Bilde mir nicht ein, was rechts zu wissen,
Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren,

20

Die Menschen zu bessern und zu bekehren.
Auch hab' ich weder Gut noch Geld,
Noch Ehr' und Herrlichkeit der Welt.
Es möchte kein Hund so länger leben!
Drum hab' ich mich der Magie ergeben,

25

Ob mir, durch Geistes Kraft und Mund
Nicht manch Geheimniß würde kund;
Daß ich nicht mehr, mit saurem Schweiß,
Zu sagen brauche, was ich nicht weiß;
Daß ich erkenne, was die Welt

30

Im Innersten zusammen hält,
Schau' alle Wirkenskraft und Samen,
Und thu' nicht mehr in Worten kramen.

O säh'st du, voller Mondenschein,
Zum letztenmal auf meine Pein,

35

Den ich so manche Mitternacht
An diesem Pult herangewacht:
Dann über Bücher und Papier,
Trübsel'ger Freund, erschienst du mir!
Ach könnt' ich doch auf Berges Höh'n

40

In deinem lieben Lichte gehn,
Um Bergeshöhle mit Geistern schweben,
Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,
Von allem Wissensqualm entladen,
In deinem Thau gesund mich baden!

45

Weh! steck' ich in dem Kerker noch?
Verfluchtes, dumpfes Mauerloch!
Wo selbst das liebe Himmelslicht
Trüb' durch gemahlte Scheiben bricht.
Beschränkt von diesem Bücherhauf,

50

Den Würme nagen, Staub bedeckt,
Den, bis an's hohe Gewölb' hinauf,
Ein angeraucht Papier umsteckt;
Mit Gläsern, Büchsen rings umstellt,
Mit Instrumenten vollgepfropft,

55

Urväter Hausrath drein gestopft -
Das ist deine Welt! Das heißt eine Welt!

Und fragst du noch, warum dein Herz
Sich bang' in deinem Busen klemmt?
Warum ein unerklärter Schmerz

60

Dir alle Lebensregung hemmt?
Statt der lebendigen Natur,
Da Gott die Menschen schuf hinein,
Umgibt in Rauch und Moder nur
Dich Thiergeripp und Todtenbein.

65

Flieh! auf! hinaus in's weite Land!
Und dieß geheimnißvolle Buch,
Von Nostradamus eigner Hand,
Ist dir es nicht Geleit genug?
Erkennest dann der Sterne Lauf,

70

Und wenn Natur dich unterweis't,
Dann geht die Seelenkraft dir auf,
Wie spricht ein Geist zum andern Geist.
Umsonst, daß trocknes Sinnen hier
Die heil'gen Zeichen dir erklärt.

75

Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir;
Antwortet mir, wenn ihr mich hört!
(Er schlägt das Buch auf und erblickt das Zeichen des Makrokosmus.)
Ha! welche Wonne fließt, in diesem Blick
Auf einmal mir durch alle meine Sinnen?
Ich fühle junges, heil'ges Lebensglück

80

Neuglühend mir durch Nerv' und Adern rinnen.
War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb,
Die mir das innre Toben stillen,
Das arme Herz mit Freude füllen,
Und, mit geheimnißvollem Trieb,

85

Die Kräfte der Natur rings um mich her enthüllen?
Bin ich ein Gott? Mir wird so licht!
Ich schau' in diesen reinen Zügen
Die wirkende Natur vor meiner Seele liegen.
Jetzt erst erkenn' ich, was der Weise spricht:

90

«Die Geisterwelt ist nicht verschlossen;
Dein Sinn ist zu, dein Herz ist todt!
Auf bade, Schüler, unverdrossen
Die ird'sche Brust im Morgenroth!»
(Er beschaut das Zeichen.)
Wie alles sich zum Ganzen webt,

95

Eins in dem andern wirkt und lebt!
Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen
Und sich die goldnen Eimer reichen!
Mit segenduftenden Schwingen
Vom Himmel durch die Erde dringen,

100

Harmonisch all' das All durchklingen!

Welch Schauspiel! aber ach! ein Schauspiel nur!
Wo fass' ich dich, unendliche Natur?
Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens,
An denen Himmel und Erde hängt,

105

Dahin die welke Brust sich drängt -
Ihr quellt, ihr tränkt, und schmacht' ich so vergebens?
(Er schlägt unwillig das Buch um und erblickt das Zeichen des Erdgeistes.)
Wie anders wirkt dieß Zeichen auf mich ein!
Du, Geist der Erde, bist mir näher;
Schon fühl' ich meine Kräfte höher,

110

Schon glüh' ich wie von neuem Wein.
Ich fühle Muth, mich in die Welt zu wagen,
Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen,
Mit Stürmen mich herumzuschlagen,
Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen.

115

Es wölkt sich über mir -
Der Mond verbirgt sein Licht -
Die Lampe schwindet!
Es dampft! - Es zucken rothe Strahlen
Mir um das Haupt - Es weht

120

Ein Schauer vom Gewölb' herab
Und faßt mich an!
Ich fühl's, du schwebst um mich, erflehter Geist.
Enthülle dich!
Ha! wie's in meinem Herzen reißt!

125

Zu neuen Gefühlen
All' meine Sinnen sich erwühlen!
Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben!
Du mußt! du mußt! und kostet' es mein Leben!
(Er faßt das Buch und spricht das Zeichen des Geistes geheimnißvoll aus. Es zuckt eine röthliche Flamme, der Geist erscheint in der Flamme.)

G e i s t.
Wer ruft mir?

F a u s t (abgewendet).
Schreckliches Gesicht!

G e i s t.
Du hast mich mächtig angezogen,

130

An meiner Sphäre lang' gesogen,
Und nun -

F a u s t.
Weh! ich ertrag dich nicht!

G e i s t.
Du flehst erathmend mich zu schauen,
Meine Stimme zu hören, mein Antlitz zu sehn,

135

Mich neigt dein mächtig Seelenflehn,
Da bin ich! - Welch erbärmlich Grauen
Faßt Übermenschen dich! Wo ist der Seele Ruf?
Wo ist die Brust, die eine Welt in sich erschuf,
Und trug, und hegte? Die mit Freudebeben

140

Erschwoll, sich uns, den Geistern, gleich zu heben?
Wo bist du, Faust, deß Stimme mir erklang?
Der sich an mich mit allen Kräften drang?
Bist du es? der, von meinem Hauch umwittert,
In allen Lebenstiefen zittert,

145

Ein furchtsam weggekrümmter Wurm!

F a u s t.
Soll ich dir, Flammenbildung, weichen?
Ich bin's, bin Faust, bin deines gleichen!

G e i s t.
In Lebensfluthen, im Thatensturm
Wall' ich auf und ab,

150

Webe hin und her!
Geburt und Grab,
Ein ewiges Meer,
Ein wechselnd Weben,
Ein glühend Leben,

155

So schaff' ich am sausenden Webstuhl der Zeit,
Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.

F a u s t.
Der du die weite Welt umschweifst,

Geschäftiger Geist, wie nah' fühl ich' mich dir!

G e i s t.
Du gleichst dem Geist, den du begreifst,

160

Nicht mir!
(Verschwindet.)

F a u s t (zusammenstürzend).
Nicht dir!
Wem denn?
Ich Ebenbild der Gottheit!
Und nicht einmal dir! (Es klopft.)
O Tod! ich kenn's - das ist mein Famulus -
Es wird mein schönstes Glück zu nichte!

165

Daß diese Fülle der Gesichte
Der trockne Schleicher stören muß!

Wagner im Schlafrocke und der Nachtmütze, eine Lampe in der Hand. Faust wendet sich unwillig.

W a g n e r.
Verzeiht! ich hör' euch declamiren;
Ihr las't gewiß ein Griechisch Trauerspiel?
In dieser Kunst möcht' ich was profitiren,

170

Denn heut' zu Tage wirkt das viel.
Ich hab' es öfters rühmen hören,
Ein Kommödiant könnt' einen Pfarrer lehren.

F a u s t.
Ja, wenn der Pfarrer ein Kommödiant ist;
Wie das denn wohl zu Zeiten kommen mag.

W a g n e r.

175

Ach! wenn man so in sein Museum gebannt ist,
Und sieht die Welt kaum einen Feyertag,
Kaum durch ein Fernglas, nur von weiten,
Wie soll man sie durch Überredung leiten?

F a u s t.
Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen,

180

Wenn es nicht aus der Seele dringt,
Und mit urkräftigem Behagen
Die Herzen aller Hörer zwingt.
Sitzt ihr nur immer! leimt zusammen,
Braut ein Ragout von andrer Schmaus,

185

Und blas't die kümmerlichen Flammen
Aus eurem Aschenhäufchen aus!
Bewund'rung von Kindern und Affen,
Wenn euch darnach der Gaumen steht.
Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,

190

Wenn es euch nicht von Herzen geht.

W a g n e r.
Allein der Vortrag macht des Redners Glück;
Ich fühl' es wohl, noch bin ich weit zurück.

F a u s t.
Such' Er den redlichen Gewinn!
Sey Er kein schellenlauter Thor!

195

Es trägt Verstand und rechter Sinn
Mit wenig Kunst sich selber vor;
Und wenn's euch Ernst ist, was zu sagen,
Ist's nöthig, Worten nachzujagen?
Ja, eure Reden, die so blinkend sind,

200

In denen ihr der Menschheit Schnitzel kräuselt,
Sind unerquicklich wie der Nebelwind,
Der herbstlich durch die dürren Blätter säuselt!

W a g n e r.
Ach Gott! die Kunst ist lang!
Und kurz ist unser Leben.

205

Mir wird, bey meinem kritischen Bestreben,
Doch oft um Kopf und Busen bang'.
Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben,
Durch die man zu den Quellen steigt!
Und eh' man nur den halben Weg erreicht,

210

Muß wohl ein armer Teufel sterben.

F a u s t.
Das Pergament, ist das der heil'ge Bronnen,
Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?
Erquickung hast du nicht gewonnen,
Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.

W a g n e r.

215

Verzeiht! es ist ein groß Ergetzen,
Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen;
Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht,
Und wie wir's dann zuletzt so herrlich weit gebracht.

F a u s t.
O ja, bis an die Sterne weit!

220

Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit
Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.
Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.

225

Da ist's denn wahrlich oft ein Jammer!
Man läuft euch bey dem ersten Blick davon.
Ein Kehrichtfaß und eine Rumpelkammer,
Und höchstens eine Haupt- und Staatsaction
Mit trefflichen, pragmatischen Maximen,

230

Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen!

W a g n e r.
Allein die Welt! des Menschen Herz und Geist!
Möcht' jeglicher doch was davon erkennen.

F a u s t.
Ja, was man so erkennen heißt!
Wer darf das Kind bey'm rechten Nahmen nennen?

235

Die wenigen, die was davon erkannt,
Die thöricht g'nug ihr volles Herz nicht wahrten,
Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,
Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.
Ich bitt' euch, Freund, es ist tief in der Nacht,
Wir müssen's dießmal unterbrechen.

W a g n e r.

240

Ich hätte gern bis morgen früh gewacht,
Um so gelehrt mit euch mich zu besprechen. (Ab.)

F a u s t.
Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,
Der immerfort an schalem Zeuge klebt,
Mit gier'ger Hand nach Schätzen gräbt,

245

Und froh ist, wenn er Regenwürmer findet!

Faust. Mephistopheles

F a u s t.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Und was der ganzen Menschheit zugetheilt ist,
Will ich in meinem innern Selbst genießen,
Mit meinem Geist das Höchst' und Tiefste greifen,

250

Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen,
Und so mein eigen Selbst zu ihrem Selbst erweitern,
Und, wie sie selbst, am End' auch ich zerscheitern.

M e p h i s t o p h e l e s.
O glaube mir, der manche tausend Jahre
An dieser harten Speise kaut,

255

Daß in der Wieg' und auf der Bahre
Kein Mensch den alten Sauerteig verdaut!
Glaub' unser einem, dieses Ganze
Ist nur für einen Gott gemacht;
Er findet sich in einem ew'gen Glanze,

260

Uns hat er in die Finsterniß gebracht,
Und euch taugt einzig Tag und Nacht.

F a u s t.
Allein ich will!

M e p h i s t o p h e l e s.
Das läßt sich hören!
Doch nur vor Einem ist mir bang';
Die Zeit ist kurz, die Kunst ist lang.

265

Ich dächt' ihr ließet euch belehren.
Associirt euch mit einem Poeten,
Laßt den Herrn in Gedanken schweifen,
Und alle edlen Qualitäten
Auf euren Ehren-Scheitel häufen,

270

Des Löwen Muth,
Des Hirsches Schnelligkeit,
Des Italiäners feurig Blut,
Des Norden Dau'rbarkeit.
Laßt ihn euch das Geheimniß finden,

275

Großmuth und Arglist zu verbinden,
Und euch, mit warmen Jugendtrieben,
Nach einem Plane zu verlieben.
Möchte selbst solch einen Herren kennen,
Würd' ihn Herrn Mikrokosmus nennen.

F a u s t.

280

Was bin ich denn, wenn es nicht möglich ist,
Der Menschheit Krone zu erringen,
Nach der sich alle Sinne dringen?

M e p h i s t o p h e l e s.
Du bist am Ende - was du bist.
Setz' dir Perücken auf von Millionen Locken,

285

Setz' deinen Fuß auf ellenhohe Sokken,
Du bleibst doch immer, was du bist.

F a u s t.
Ich fühl's, vergebens hab ich alle Schätze
Des Menschengeists auf mich herbeygerafft,
Und wenn ich mich am Ende niedersetze,

290

Quillt innerlich doch keine neue Kraft;
Ich bin nicht um ein Haar breit höher,
Bin dem Unendlichen nicht näher.

M e p h i s t o p h e l e s.
Mein guter Herr, ihr seht die Sachen,
Wie man die Sachen eben sieht;

295

Wir müssen das gescheidter machen,
Eh' uns des Lebens Freude flieht.
Was Henker! freylich Händ' und Füße
Und Kopf und H. . die sind dein;
Doch alles, was ich frisch genieße,

300

Ist das drum weniger mein?
Wenn ich sechs Hengste zahlen kann,
Sind ihre Kräfte nicht die meine?
Ich renne zu und bin ein rechter Mann,
Als hätt' ich vier und zwanzig Beine.

305

Drum frisch! laß alles Sinnen seyn,
Und g'rad' mit in die Welt hinein.
Ich sag' es dir: ein Kerl, der speculirt,
Ist wie ein Thier, auf einer Heide
Von einem bösen Geist im Kreis herum geführt,

310

Und rings umher liegt schöne grüne Weide.

F a u s t.
Wie fangen wir das an?

M e p h i s t o p h e l e s.
Wir gehen eben fort.
Was ist das für ein Marterort?
Was heißt das für ein Leben führen,
Sich und die Jungens ennüyiren?

315

Laß du das dem Herrn Nachbar Wanst!
Was willst du dich das Stroh zu dreschen plagen?
Das beste, was du wissen kannst,
Darfst du den Buben doch nicht sagen.
Gleich hör' ich einen auf dem Gange!

F a u s t.

320

Mir ist's nicht möglich ihn zu sehn.

M e p h i s t o p h e l e s.
Der arme Knabe wartet lange,
Der darf nicht ungetröstet gehn.
Komm, gib mir deinen Rock und Mütze;
Die Maske muß mir köstlich stehn.
(Er kleidet sich um.)

325

Nun überlaß es meinem Witze!
Ich brauche nur ein Viertelstündchen Zeit;
Indessen mache dich zur schönen Fahrt bereit!
(Faust ab.)

M e p h i s t o p h e l e s (in Fausts langem Kleide).
Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,
Des Menschen allerhöchste Kraft,

330

Laß nur in Blend- und Zauberwerken
Dich von dem Lügengeist bestärken,
So hab' ich dich schon unbedingt -
Ihm hat das Schicksal einen Geist gegeben,
Der ungebändigt immer vorwärts dringt,

335

Und dessen übereiltes Streben
Der Erde Freuden überspringt.
Den schlepp' ich durch das wilde Leben,
Durch flache Unbedeutenheit,
Er soll mir zappeln, starren, kleben,

340

Und seiner Unersättlichkeit
Soll Speis' und Trank vor gier'gen Lippen schweben;
Er wird Erquickung sich umsonst erflehn,
Und hätt' er sich auch nicht dem Teufel übergeben,
Er müßte doch zu Grunde gehn!

Ein Schüler tritt auf.

S c h ü l e r.

345

Ich bin allhier erst kurze Zeit,
Und komme voll Ergebenheit,
Einen Mann zu sprechen und zu kennen,
Den alle mir mit Ehrfucht nennen.

M e p h i s t o p h e l e s.
Eure Höflichkeit erfreut mich sehr!

350

Ihr seht einen Mann wie andre mehr.
Habt ihr euch sonst schon umgethan?

S c h ü l e r.
Ich bitt' euch, nehmt euch meiner an!
Ich komme mit allem guten Muth,
Leidlichem Geld und frischem Blut,

355

Meine Mutter wollte mich kaum entfernen,
Möchte gern was rechts hieraußen lernen.

M e p h i s t o p h e l e s.
Da seyd ihr eben recht am Ort.

S c h ü l e r.
Aufrichtig, möchte schon wieder fort:
In diesen Mauern, diesen Hallen

360

Will es mir keineswegs gefallen.
Es ist ein gar beschränkter Raum,
Man sieht nichts grünes, keinen Baum
Und in den Sälen, auf den Bänken,
Vergeht mir Hören, Sehn und Denken.

M e p h i s t o p h e l e s.

365

Das kommt nur auf Gewohnheit an.
So nimmt ein Kind der Mutter Brust
Nicht gleich im Anfang willig an,
Doch bald ernährt es sich mit Lust.
So wird's euch an der Weisheit Brüsten

370

Mit jedem Tage mehr gelüsten.

S c h ü l e r.
An ihrem Hals will ich mit Freuden hangen;
Doch sagt mir nur, wie kann ich hingelangen?

M e p h i s t o p h e l e s.
Erklärt euch, eh' ihr weiter geht,
Was wählt ihr für eine Facultät?

S c h ü l e r.

375

Ich wünschte recht gelehrt zu werden,
Und möchte gern, was auf der Erden
Und in dem Himmel ist, erfassen,
Die Wissenschaft und die Natur.

M e p h i s t o p h e l e s.
Da seyd ihr auf der rechten Spur;

380

Doch müßt ihr euch nicht zerstreuen lassen.

S c h ü l e r.
Ich bin dabey mit Seele und Leib;
Doch freylich würde mir behagen
Ein wenig Freyheit und Zeitvertreib
An schönen Sommerfeyertagen.

M e p h i s t o p h e l e s.

385

Gebraucht der Zeit, sie geht so schnell von hinnen,
Doch Ordnung lehrt euch Zeit gewinnen.
Mein theurer Freund, ich rath' euch drum
Zuerst Collegium Logicum.
Da wird der Geist euch wohl dressirt,

390

In Spanische Stiefeln eingeschnürt,
Daß er bedächtiger so fortan
Hinschleiche die Gedankenbahn,
Und nicht etwa, die kreuz und quer,
Irrlichtelire hin und her.

395

Dann lehret man euch manchen Tag,
Daß, was ihr sonst auf Einen Schlag
Getrieben, wie Essen und Trinken frey,
Eins! Zwey! Drey! dazu nöthig sey.
Zwar ist's mit der Gedanken-Fabrik

400

Wie mit einem Weber-Meisterstück,
Wo Ein Tritt tausend Fäden regt,
Die Schifflein herüber hinüber schießen,
Die Fäden ungesehen fließen,
Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt:

405

Der Philosoph der tritt herein,
Und beweis't euch, es müßt' so seyn.
Das Erst' wär' so, das Zweyte so,
Und drum das Dritt' und Vierte so;
Und wenn das Erst' und Zweyt' nicht wär',

410

Das Dritt' und Viert' wär' nimmermehr.
Das preisen die Schüler aller Orten,
Sind aber keine Weber geworden.
Wer will was lebendigs erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist heraus zu treiben,

415

Dann hat er die Theile in seiner Hand
Fehlt leider! nur das geistige Band.
Encheiresin naturae nennt's die Chimie,
Spottet ihrer selbst, und weiß nicht wie.

S c h ü l e r.
Kann euch nicht eben ganz verstehen.

M e p h i s t o p h e l e s.

420

Das wird nächstens schon besser gehen,
Wenn ihr lernt alles reduciren
Und gehörig klassificiren.

S c h ü l e r.
Mir wird von allem dem so dumm,
Als ging' mir ein Mühlrad im Kopf herum.

M e p h i s t o p h e l e s.

425

Nachher vor allen andern Sachen
Müßt ihr euch an die Metaphysik machen!
Da seht, daß ihr tiefsinnig faßt,
Was in des Menschen Hirn nicht paßt;
Für, was drein geht und nicht drein geht,

430

Ein prächtig Wort zu Diensten steht.
Doch vorerst dieses halbe Jahr
Nehmt ja der besten Ordnung wahr.
Fünf Stunden habt ihr jeden Tag;
Seyd drinne mit dem Glockenschlag!

435

Habt euch vorher wohl präparirt,
Paragraphos wohl einstudirt,
Damit ihr nachher besser seht,
Daß er nichts sagt, als was im Buche steht;
Doch euch des Schreibens ja befleißt,

440

Als dictirt' euch der Heilig' Geist!

S c h ü l e r.
Das sollt ihr mir nicht zweymal sagen!
Ich denke mir wie viel es nützt;
Denn, was man schwarz auf weiß besitzt,
Kann man getrost nach Hause tragen.

M e p h i s t o p h e l e s.

445

Doch wählt mir eine Facultät!

S c h ü l e r.
Zur Rechtsgelehrsamkeit kann ich mich nicht bequemen.

M e p h i s t o p h e l e s.
Ich kann es euch so sehr nicht übel nehmen,
Ich weiß wie es um diese Lehre steht.
Es erben sich Gesetz' und Rechte

450

Wie eine ew'ge Krankheit, fort,
Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte,
Und rücken sacht von Ort zu Ort.
Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage;
Weh dir, daß du ein Enkel bist!

455

Vom Rechte, das mit uns geboren ist,
Von dem ist leider! nie die Frage.

S c h ü l e r.
Mein Abscheu wird durch euch vermehrt.
O glücklich der, den ihr belehrt!
Fast möcht' ich nun Theologie studiren.

M e p h i s t o p h e l e s.

460

Ich wünschte nicht euch irre zu führen.
Was diese Wissenschaft betrifft,
Es ist so schwer den falschen Weg zu meiden,
Es liegt in ihr so viel verborgnes Gift,
Und von der Arzeney ist's kaum zu unterscheiden.

465

Am besten ist's auch hier, wenn ihr nur Einen hört,
Und auf des Meisters Worte schwört.
Im Ganzen - haltet euch an Worte!
Dann geht ihr durch die sichre Pforte
Zum Tempel der Gewißheit ein.

S c h ü l e r.

470

Doch ein Begriff muß bey dem Worte seyn.

M e p h i s t o p h e l e s.
Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich quälen;
Denn eben wo Begriffe fehlen,
Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
Mit Worten läßt sich trefflich streiten,

475

Mit Worten ein System bereiten,
An Worte läßt sich trefflich glauben,
Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben.

S c h ü l e r.
Verzeiht, ich halt' euch auf mit vielen Fragen,
Allein, ich muß euch noch bemühn.

480

Wollt ihr mir von der Medicin
Nicht auch ein kräftig Wörtchen sagen?
Drey Jahr' ist eine kurze Zeit,
Und, Gott! das Feld ist gar zu weit.
Wenn man einen Fingerzeig nur hat,

485

Läßt sich's schon eher weiter fühlen.

M e p h i s t o p h e l e s (für sich).
Ich bin des trocknen Tons nun satt,
Muß wieder recht den Teufel spielen.
(Laut.)
Der Geist der Medicin ist leicht zu fassen;
Ihr durchstudirt die groß' und kleine Welt,

490

Um es am Ende gehn zu lassen,
Wie's Gott gefällt.
Vergebens, daß ihr ringsum wissenschaftlich schweift,
Ein jeder lernt nur, was er lernen kann;
Doch der den Augenblick ergreift,

495

Das ist der rechte Mann.
Ihr seyd noch ziemlich wohl gebaut,
An Kühnheit wird's euch auch nicht fehlen,
Und wenn ihr euch nur selbst vertraut,
Vertrauen euch die andern Seelen.

500

Besonders lernt die Weiber führen;
Es ist ihr ewig Weh und Ach,
So tausendfach
Aus Einem Puncte zu curiren,
Und wenn ihr halbweg ehrbar thut,

505

Dann habt ihr sie all' unter'm Hut.
Ein Titel muß sie erst vertraulich machen,
Daß eure Kunst viel' Künste übersteigt,
Zum Willkomm' tappt ihr dann nach allen Siebensachen,
Um die ein andrer viele Jahre streicht,

510

Versteht das Pülslein wohl zu drücken,
Und fasset sie, mit feurig schlauen Blicken
Wohl um die schlanke Hüfte frey,
Zu sehn, wie fest geschnürt sie sey.

S c h ü l e r.
Das sieht schon besser aus! Man sieht doch, wo und wie.

M e p h i s t o p h e l e s.

515

Grau, theurer Freund, ist alle Theorie,
Und grün des Lebens goldner Baum.

S c h ü l e r.
Ich schwör' euch zu, mir ist's als wie ein Traum.
Dürft' ich euch wohl ein andermal beschweren,
Von eurer Weisheit auf den Grund zu hören?

M e p h i s t o p h e l e s.

520

Was ich vermag, soll gern geschehn.

S c h ü l e r.
Ich kann unmöglich wieder gehn,
Ich muß euch noch mein Stammbuch überreichen,
Gönn' eure Gunst mir dieses Zeichen!

M e p h i s t o p h e l e s.
Sehr wohl. (Er schreibt und gibt's.)

S c h ü l e r (lies't).

525

Eritis sicut Deus scientes bonum et malum.
(Macht's ehrerbiethig zu und empfiehlt sich.)

M e p h i s t o p h e l e s.
Folg' nur dem alten Spruch und meiner Muhme, der Schlange,
Dir wird gewiß einmal bey deiner Gottähnlichkeit bange!

Faust tritt auf.

F a u s t.
Wohin soll es nun gehn?

M e p h i s t o p h e l e s.
Wohin es dir gefällt.
Wir sehn die kleine, dann die große Welt.

530

Mit welcher Freude, welchem Nutzen
Wirst du den Cursum durchschmarutzen!

F a u s t.
Allein bey meinem langen Bart
Fehlt mir die leichte Lebensart.
Es wird mir der Versuch nicht glücken;

535

Ich wußte nie mich in die Welt zu schicken.
Vor andern fühl' ich mich so klein;
Ich werde stets verlegen seyn.

M e p h i s t o p h e l e s.
Mein guter Freund, das wird sich alles geben;
Sobald du dir vertraust, sobald weißt du zu leben.

F a u s t.

540

Wie kommen wir denn aus dem Haus?
Wo hast du Pferde, Knecht und Wagen?

M e p h i s t o p h e l e s.
Wir breiten nur den Mantel aus,
Der soll uns durch die Lüfte tragen.
Du nimmst bey diesem kühnen Schritt

545

Nur keinen großen Bündel mit.
Ein Bißchen Feuerluft, die ich bereiten werde,
Hebt uns behend von dieser Erde.
Und sind wir leicht, so geht es schnell hinauf;
Ich gratulire dir zum neuen Lebenslauf.

A U E R B A C H S K E L L E R I N L E I P Z I G

Zeche lustiger Gesellen.


F r o s c h.

550

Will keiner trinken? keiner lachen?
Ich will euch lehren Gesichter machen!
Ihr seyd ja heut' wie nasses Stroh,
Und brennt sonst immer lichterloh.

B r a n d n e r.
Das liegt an dir; du bringst ja nichts herbey,

555

Nicht eine Dummheit, keine Sauerey.

F r o s c h (gießt ihm ein Glas Wein über den Kopf).
Da hast du beydes!

B r a n d n e r.
Doppelt Schwein!

F r o s c h.
Ihr wollt' es ja, man soll es seyn!

S i e b e l.
Zur Thür hinaus, wer sich entzweyt!
Mit offner Brust singt Runda, sauft und schreyt!

560

Auf! Holla! ho!

A l t m a y e r.
Weh mir, ich bin verloren!
Baumwolle her! der Kerl sprengt mir die Ohren.


S i e b e l. Wenn das Gewölbe wiederschallt,
Fühlt man erst recht des Basses Grundgewalt.

F r o s c h.
So recht, hinaus mit dem, der etwas übel nimmt!

565

A! tara lara da!

A l t m a y e r.
A! tara lara da!

F r o s c h.
Die Kehlen sind gestimmt.
(Singt.)
Das liebe heil'ge Röm'sche Reich,
Wie hält's nur noch zusammen?

B r a n d n e r.
Ein garstig Lied! Pfuy! ein politisch Lied
Ein leidig Lied! Dankt Gott mit jedem Morgen,

570

Daß ihr nicht braucht fürs Röm'sche Reich zu sorgen!
Ich halt' es wenigstens für reichlichen Gewinn,
Daß ich nicht Kaiser oder Kanzler bin.
Doch muß auch uns ein Oberhaupt nicht fehlen;
Wir wollen einen Papst erwählen.

575

Ihr wißt, welch eine Qualität
Den Ausschlag gibt, den Mann erhöht.

F r o s c h (singt).
Schwing dich auf, Frau Nachtigall,
Grüß' mir mein Liebchen zehentausendmal.

S i e b e l.
Dem Liebchen keinen Gruß! ich will davon nichts hören!

F r o s c h.

580

Dem Liebchen Gruß und Kuß! du wirst mir's nicht verwehren!
(Singt.)
Riegel auf! in stiller Nacht.
Riegel auf! der Liebste wacht.
Riegel zu! des Morgens früh.

S i e b e l.
Ja, singe, singe nur und lob' und rühme sie!

585

Ich will zu meiner Zeit schon lachen.
Sie hat mich angeführt, dir wird sie's auch so machen.
Zum Liebsten sey ein Kobold ihr bescheert!
Der mag mit ihr auf einem Kreuzweg schäkern;
Ein alter Bock, wenn er vom Blocksberg kehrt

590

Mag im Galopp noch gute Nacht ihr meckern!
Ein braver Kerl von echtem Fleisch und Blut
Ist für die Dirne viel zu gut.
Ich will von keinem Gruße wissen,
Als ihr die Fenster eingeschmissen!

B r a n d n e r (auf den Tisch schlagend).

595

Paßt auf! paßt auf! Gehorchet mir!
Ihr Herrn, gesteht, ich weiß zu leben,
Verliebte Leute sitzen hier,
Und diesen muß, nach Standsgebühr,
Zur guten Nacht ich was zum besten geben.

600

Gebt Acht! Ein Lied vom neusten Schnitt!
Und singt den Rundreim kräftig mit!
(Er singt.)
Es war eine Ratt' im Kellernest,
Lebte nur von Fett und Butter,
Hatte sich ein Ränzlein angemäst',

605

Als wie Doctor Luther.
Die Köchinn hatt ihr Gift gestellt;
Da ward's so eng' ihr in der Welt,
Als hätte sie Lieb' im Leibe.

C h o r u s (jauchzend).
Als hätte sie Lieb' im Leibe.

B r a n d n e r.

610

Sie fuhr herum sie fuhr heraus,
Und soff aus allen Pfützen,
Zernagt', zerkratzt' das ganze Haus,
Wollte nichts ihr Wüthen nützen;
Sie thät gar manchen Ängstesprung,

615

Bald hatte das arme Thier genung,
Als hätt' es Lieb' im Leibe.

C h o r u s.
Als hätt es Lieb' im Leibe.

B r a n d n e r.
Sie kam für Angst am hellen Tag
Der Küche zugelaufen,

620

Fiel an den Herd und zuckt' und lag,
Und thät erbärmlich schnaufen.
Da lachte die Vergifterinn noch:
«Ha! sie pfeift' auf dem letzten Loch,
Als hätte sie Lieb' im Leibe.»

C h o r u s.

625

Als hätte sie Lieb' im Leibe.

S i e b e l.
Wie sich die platten Bursche freuen!
Es ist mir eine rechte Kunst,
Den armen Ratten Gift zu streuen!

B r a n d n e r.
Sie stehn wohl sehr in deiner Gunst?

A l t m a y e r.

630

Der Schmerbauch mit der kahlen Platte!
Das Unglück macht ihn zahm und mild;
Er sieht in der geschwollnen Ratte
Sein ganz natürlich Ebenbild.


Faust und Mephistopheles.

M e p h i s t o p h e l e s.
Ich muß dich nun vor allen Dingen

635

In lustige Gesellschaft bringen,
Damit du siehst, wie leicht sich's leben läßt.
Dem Volke hier wird jeder Tag ein Fest.
Mit wenig Witz und viel Behagen
Dreht jeder sich im engen Zirkeltanz,

640

Wie junge Katzen mit dem Schwanz.
Wenn sie nicht über Kopfweh klagen,
So lang der Wirth nur weiter borgt,
Sind sie vergnügt und unbesorgt.

B r a n d n e r.
Die kommen eben von der Reise,

645

Man sieht's an ihrer wunderlichen Weise;
Sie sind nicht eine Stunde hier.

F r o s c h.
Wahrhaftig du hast Recht! Mein Leipzig lob' ich mir!
Es ist ein klein Paris, und bildet seine Leute.

S i e b e l.
Für was siehst du die Fremden an?

F r o s c h.

650

Laß mich nur gehn; bey einem vollen Glase
Zieh' ich, wie einen Kinderzahn,
Den Burschen leicht die Würmer aus der Nase.
Sie scheinen mir aus einem edlen Haus,
Sie sehen stolz und unzufrieden aus.

B r a n d n e r.

655

Marktschreyer sind's gewiß, ich wette!

A l t m a y e r.
Vielleicht.

F r o s c h.
Gib Acht, ich schraube sie!

M e p h i s t o p h e l e s (zu Faust).
Den Teufel spürt das Völkchen nie,
Und wenn er sie bey'm Kragen hätte.

F a u s t.
Seyd uns gegrüßt, ihr Herrn!

S i e b e l.
Viel Dank zum Gegengruß.
(Leise, Mephistopheles von der Seite ansehend.)

660

Was hinkt der Kerl auf Einem Fuß?

M e p h i s t o p h e l e s.
Ist es erlaubt, uns auch zu euch zu setzen?
Statt eines guten Trunks, den man nicht haben kann,
Soll die Gesellschaft uns ergetzen.

A l t m a y e r.
Ihr scheint ein sehr verwöhnter Mann.

F r o s c h.

665

Ihr seyd wohl spät von Rippach aufgebrochen?
Habt ihr mit Herren Hans noch erst zu Nacht gespeis't?

M e p h i s t o p h e l e s.
Heut' sind wir ihn vorbey gereis't!;
Wir haben ihn das letztemal gesprochen.
Von seinen Vettern wußt' er viel zu sagen

670

Viel Grüße hat er uns an jeden aufgetragen.
(Er neigt sich gegen Frosch.)

A l t m a y e r (leise).
Da hast du's! der versteht's!

S i e b e l.
Ein pfiffiger Patron!

F r o s c h.
Nun, warte nur, ich krieg' ihn schon!

M e p h i s t o p h e l e s.
Wenn ich nicht irrte, hörten wir
Geübte Stimmen Chorus singen?

675

Gewiß, Gesang muß trefflich hier
Von dieser Wölbung wieder klingen!

F r o s c h.
Seyd ihr wohl gar ein Virtuos?

M e p h i s t o p h e l e s.
O nein! Die Kraft ist schwach, allein die Lust ist groß.

A l t m a y e r.
Gebt uns ein Lied!

M e p h i s t o p h e l e s.
Wenn ihr begehrt, die Menge.

S i e b e l.

680

Nur auch ein nagelneues Stück!

M e p h i s t o p h e l e s.
Wir kommen erst aus Spanien zurück,
Dem schönen Land des Weins und der Gesänge.
(Singt.)
Es war einmal ein König,
Der hatt' einen großen Floh -

F r o s c h.

685

Horcht! Einen Floh! Habt ihr das wohl gefaßt?
Ein Floh ist mir ein saub'rer Gast.

M e p h i s t o p h e l e s (singt).
Es war einmal ein König,
Der hatt' einen großen Floh,
Den liebt' er gar nicht wenig,

690

Als wie seinen eignen Sohn.
Da rief er seinen Schneider,
Der Schneider kam heran:
«Da miß dem Junker Kleider
Und miß ihm Hosen an.»

B r a n d n e r.

695

Vergeßt nur nicht, dem Schneider einzuschärfen,
Daß er mir auf's genauste mißt,
Und daß, so lieb sein Kopf ihm ist,
Die Hosen keine Falten werfen!

M e p h i s t o p h e l e s.
In Sammet und in Seide

700

War er nun angethan,
Hatte Bänder auf dem Kleide,
Hatt' auch ein Kreuz daran,
Und war sogleich Minister,
Und hatt' einen großen Stern.

705

Da wurden seine Geschwister
Bey Hof auch große Herrn.

Und Herrn und Fraun am Hofe,
Die waren sehr geplagt,
Die Königinn und die Zofe

710

Gestochen und genagt,
Und durften sie nicht knicken,
Und weg sie jucken nicht.
Wir knicken und ersticken
Doch gleich, wenn einer sticht.

C h o r u s (jauchzend).

715

Wir knicken und ersticken
Doch gleich, wenn einer sticht.

F r o s c h.
Bravo! Bravo! das war schön!

S i e b e l.
So soll es jedem Floh ergehn!

B r a n d n e r.
Spitzt die Finger und packt sie fein!

A l t m a y e r.

720

Es lebe die Freyheit! Es lebe der Wein!

M e p h i s t o p h e l e s.
Ich tränke gern ein Glas, die Freyheit hoch zu ehren,
Wenn eure Weine nur ein Bißchen besser wären.

S i e b e l.
Wir mögen das nicht wieder hören!

M e p h i s t o p h e l e s.
Ich fürchte nur, der Wirth beschweret sich;

725

Sonst gäb' ich diesen werthen Gästen
Aus unserm Keller was zum Besten.

S i e b e l.
Nur immer her, ich nehm's auf mich.

F r o s c h.
Schafft ihr ein gutes Glas, so wollen wir euch loben.
Nur gebt nicht gar zu kleine Proben;

730

Denn wenn ich judiciren soll,
Verlang' ich auch das Maul recht voll.

A l t m a y e r (leise).
Sie sind vom Rheine, wie ich spüre.

M e p h i s t o p h e l e s.
Schafft einen Bohrer an.

B r a n d n e r.
Was soll mit dem geschehn?
Ihr habt doch nicht die Fässer vor der Thüre?

A l t m a y e r.

735

Dahinten hat der Wirth ein Körbchen Werkzeug stehn.

M e p h i s t o p h e l e s (nimmt den Bohrer. Zu Frosch).
Nun sagt, was wünschet ihr zu schmecken?

F r o s c h.
Wie meint ihr das? Habt ihr so mancherley?

M e p h i s t o p h e l e s.
Ich stell es einem jeden frey.

A l t m a y e r (zu Frosch).
Aha! du fängst schon an die Lippen abzulecken.

F r o s c h.

740

Gut, wenn ich wählen soll, so will ich Rheinwein haben.
Das Vaterland verleiht die allerbesten Gaben.

M e p h i s t o p h e l e s (indem er an dem Platz, wo Frosch sitzt, ein Loch in den Tischrand bohrt).
Verschafft ein wenig Wachs, die Pfropfen gleich zu machen!

A l t m a y e r.
Ach, das sind Taschenspielersachen.

M e p h i s t o p h e l e s (zu Brander).
Und ihr?

B r a n d n e r.
Ich will Champagner Wein,

745

Und recht mussirend soll er seyn!

(Mephistopheles bohrt, einer hat indessen die Wachspfropfen gemacht und verstopft.)

B r a n d n e r.
Man kann nicht stets das Fremde meiden,
Das Gute liegt uns oft so fern.
Ein echter Deutscher Mann mag keinen Franzen leiden,
Doch ihre Weine trinkt er gern.

S i e b e l (indem sich Mephistopheles seinem Platze nähert).

750

Ich muß gestehn, den sauren mag ich nicht,
Gebt mir ein Glas vom echten süßen!

M e p h i s t o p h e l e s (bohrt).
Euch soll sogleich Tokayer fließen.

A l t m a y e r.
Nein, Herren, seht mir ins Gesicht!
Ich seh' es ein, ihr habt uns nur zum Besten.

M e p h i s t o p h e l e s.

755

Ey! Ey! Mit solchen edlen Gästen
Wär' es ein Bißchen viel gewagt.
Geschwind! Nur g'rad heraus gesagt!
Mit welchem Weine kann ich dienen?

A l t m a y e r.
Mit jedem! Nur nicht lang' gefragt.

(Nachdem die Löcher alle gebohrt und verstopft sind,)

M e p h i s t o p h e l e s (mit seltsamen Geberden).

760

Trauben trägt der Weinstock!
Hörner der Ziegenbock.
Der Wein ist saftig, Holz die Reben,
Der hölzerne Tisch kann Wein auch geben.
Ein tiefer Blick in die Natur!

765

Hier ist ein Wunder, glaubet nur!
Nun zieht die Pfropfen und genießt!

A l l e (indem sie die Pfropfen ziehen und jedem der verlangte Wein in's Glas läuft).
O schöner Brunnen, der uns fließt!

M e p h i s t o p h e l e s.
Nur hütet euch, daß ihr mir nichts vergießt!
(Sie trinken wiederhohlt.)

A l l e (singen).
Uns ist ganz kannibalisch wohl,

770

Als wie fünf hundert Säuen!

M e p h i s t o p h e l e s.
Das Volk ist frey, seht an, wie wohl's ihm geht!

F a u s t.
Ich hätte Lust nun abzufahren.

M e p h i s t o p h e l e s.
Gib nur erst Acht, die Bestialität
Wird sich gar herrlich offenbaren.

S i e b e l (trinkt unvorsichtig, der Wein fließt auf die Erde und wird zur Flamme).

775

Helft! Feuer! helft! Die Hölle brennt!

M e p h i s t o p h e l e s (die Flamme besprechend).
Sey ruhig, freundlich Element! (Zu dem Gesellen.)
Für dießmal war es nur ein Tropfen Fegefeuer.

S i e b e l.
Was soll das seyn? Wart'! ihr bezahlt es theuer!
Es scheinet, daß ihr uns nicht kennt.

F r o s c h.

780

Laß Er uns das zum zweytenmale bleiben!

A l t m a y e r,
Ich dächt', wir hießen ihn ganz sachte seitwärts gehn.

S i e b e l.
Was, Herr? Er will sich unterstehn,
Und hier sein Hokuspokus treiben?

M e p h i s t o p h e l e s.
Still, altes Weinfaß!

S i e b e l.
Besenstiel!

785

Du willst uns gar noch grob begegnen?

B r a n d n e r.
Wart nur'! es sollen Schläge regnen.

A l t m a y e r (zieht einen Pfropf aus dem Tisch, es springt ihm Feuer entgegen).
Ich brenne! ich brenne!

S i e b e l.
Zauberey!
Stoßt zu! der Kerl ist vogelfrey!
(Sie ziehen die Messer und gehn auf Mephistopheles los.)

M e p h i s t o p h e l e s (mit ernsthafter Geberde).
Falsch Gebild und Wort

790

Verändern Sinn und Ort!
Seyd hier und dort!

(Sie stehn erstaunt und sehn einander an.)

A l t m a y e r.
Wo bin ich? Welches schöne Land!

F r o s c h.
Weinberge! Seh' ich recht?

S i e b e l.
Und Trauben gleich zur Hand!

B r a n d n e r.
Hier unter diesem grünen Laube,

795

Seht, welch ein Stock! Seht, welche Traube!
(Er faßt Siebeln bey der Nase, die andern thun es wechselseitig und heben die Messer.)

M e p h i s t o p h e l e s (wie oben).
Irrthum, laß los der Augen Band!
Und merkt euch, wie der Teufel spaße.
(Er verschwindet mit Faust, die Gesellen fahren aus einander.)

S i e b e l.
Was gibt's?

A l t m a y e r.
Wie?

F r o s c h.
War das deine Nase?

B r a n d n e r (zu Siebel).

800

Und deine hab' ich in der Hand!

A l t m a y e r.
Es war ein Schlag, der ging durch alle Glieder!
Schafft einen Stuhl, ich sinke nieder!

F r o s c h.
Nein, sagt mir nur, was ist geschehn?

S i e b e l.
Wo ist der Kerl? Wenn ich ihn spüre,

805

Er soll mir nicht lebendig gehn!

A l t m a y e r.
Ich hab' ihn selbst hinaus zur Kellerthüre
Auf einem Fasse reiten sehn - -
Es liegt mir bleyschwer in den Füßen.
(Sich nach dem Tische wendend.)
Mein! Sollte wohl der Wein noch fließen?

S i e b e l.

810

Betrug war alles, Lug und Schein.

F r o s c h.
Mir deuchte doch, als tränk' ich Wein.

B r a n d n e r.
Aber wie war es mit den Trauben?

A l t m a y e r.
Nun sag' mir eins, man soll kein Wunder glauben!

H E X E N K Ü C H E


Auf einem niedrigen Herde steht ein großer Kessel über dem Feuer. In dem Dampfe, der davon in die Höhe steigt, zeigen sich verschiedene Gestalten. Eine Meerkatze sitzt bey dem Kessel und schäumt ihn und sorgt, daß er nicht überläuft. Der Meerkater mit den Jungen sitzt darneben und wärmt sich. Wände und Decke sind mit dem seltsamsten Hexenhausrath ausgeschmückt.

Faust. Mephistopheles.

F a u s t.
Mir widersteht das tolle Zauberwesen!

815

Versprichst du mir, ich soll genesen
In diesem Wust von Raserey?
Verlang' ich Rath von einem alten Weibe?
Und schafft die Sudelköcherey
Wohl dreyßig Jahre mir vom Leibe?

820

Weh mir, wenn du nichts bessers weißt!
Schon ist die Hoffnung mir verschwunden.
Hat die Natur und hat ein edler Geist
Nicht irgendeinen Balsam ausgefunden?

M e p h i s t o p h e l e s.
Mein Freund, nun sprichst du wieder klug!

825

Dich zu verjüngen, gibt's auch ein natürlich Mittel;
Allein es steht in einem andern Buch,
Und ist ein wunderlich Kapitel.

F a u s t.
Ich will es wissen.

M e p h i s t o p h e l e s.
Gut! Ein Mittel, ohne Geld
Und Arzt und Zauberey zu haben:

830

Begib dich gleich hinaus auf's Feld,
Fang an zu hacken und zu graben,
Erhalte dich und deinen Sinn
In einem ganz beschränkten Kreise,
Ernähre dich mit ungemischter Speise,

835

Leb' mit dem Vieh als Vieh, und acht' es nicht für Raub,
Den Acker, den du ärndest, selbst zu düngen;
Das ist das beste Mittel, glaub'!
Auf achtzig Jahr' dich zu verjüngen!

F a u s t.
Das bin ich nicht gewöhnt, ich kann mich nicht bequemen,

840

Den Spaten in die Hand zu nehmen.
Das enge Leben steht mir gar nicht an.

M e p h i s t o p h e l e s.
So muß denn doch die Hexe dran.
(Die Thiere erblickend.)
Sieh, welch ein zierliches Geschlecht!
Das ist die Magd! das ist der Knecht!
(Zu den Thieren.)

845

Es scheint, die Frau ist nicht zu Hause?

D i e T h i e r e.
Bey'm Schmause,
Aus dem Haus
Zum Schornstein hinaus!

M e p h i s t o p h e l e s.
Wie lange pflegt sie wohl zu schwärmen?

D i e T h i e r e.

850

So lang' wir uns die Pfoten wärmen.

M e p h i s t o p h e l e s (zu Faust).
Wie findest du die zarten Thiere?

F a u s t.
So abgeschmackt, als ich nur etwas sah!

M e p h i s t o p h e l e s.
Nein, ein Discurs wie dieser da
Ist g'rade der, den ich am liebsten führe!

D e r K a t e r (macht sich herbey und schmeichelt dem Mephistopheles).

855

O würfle nur gleich,
Und mache mich reich,
Und laß mich gewinnen!
Gar schlecht ist's bestellt,
Und wär' ich bey Geld,

860

So wär' ich bey Sinnen.

M e p h i s t o p h e l e s.
Wie glücklich würde sich der Affe schätzen,
Könnt' er nur auch in's Lotto setzen!

(Indessen haben die jungen Meerkätzchen mit einer großen Kugel gespielt, und rollen sie hervor.)

D e r K a t e r.
Das ist die Welt;
Sie steigt und fällt

865

Und rollt beständig;
Sie klingt wie Glas;
Wie bald bricht das!
Ist hohl inwendig.
Hier glänzt sie sehr,

870

Und hier noch mehr:
«Ich bin lebendig!»
Mein lieber Sohn,
Halt dich davon!
Du mußt sterben!

875

Sie ist von Thon,
Es gibt Scherben.

M e p h i s t o p h e l e s.
Was soll das Sieb?

D e r K a t e r (hohlt es herunter).
Wärst du ein Dieb,
Wollt' ich dich gleich erkennen.
(Er läuft zur Kätzinn und läßt sie durchsehen.)

880

Sieh durch das Sieb!
Erkennst du den Dieb,
Und darfst ihn nicht nennen?

M e p h i s t o p h e l e s (sich dem Feuer nähernd).
Und dieser Topf?

K a t e r u n d K ä t z i n n.
Der alberne Tropf!

885

Er kennt nicht den Topf,
Er kennt nicht den Kessel!

M e p h i s t o p h e l e s.
Unhöfliches Thier!

D e r K a t e r.Den Wedel nimm hier,
Und setz' dich in Sessel!
(Er nöthigt den Mephistopheles zu sitzen.)

F a u s t (welcher diese Zeit über vor einem Spiegel gestanden, sich ihm bald genähert, bald sich von ihm entfernt hat).

890

Was seh' ich? Welch ein himmlisch Bild
Zeigt sich in diesem Zauberspiegel!
O Liebe, leihe mir den schnellsten deiner Flügel,
Und führe mich in ihr Gefild!
Ach wenn ich nicht auf dieser Stelle bleibe,

895

Wenn ich es wage nah' zu gehn
Kann ich sie nur als wie im Nebel sehn! -
Das schönste Bild von einem Weibe!
Ist's möglich, ist das Weib so schön?
Muß ich an diesem hingestreckten Leibe

900

Denn Inbegriff von allen Himmeln sehn?
So etwas findet sich auf Erden?

M e p h i s t o p h e l e s.
Natürlich, wenn ein Gott sich erst sechs Tage plagt,
Und selbst am Ende Bravo sagt,
Da mußt' es was gescheidtes werden.

905

Für dießmal sieh dich immer satt;
Ich weiß dir so ein Schätzchen auszuspüren,
Und selig wer das gute Schicksal hat,
Als Bräutigam sie heim zu führen!
(Faust sieht immerfort in den Spiegel. Mephistopheles, sich in dem Sessel dehnend und mit dem Wedel spielend, fährt fort zu sprechen.)
Hier sitz' ich wie der König auf dem Throne,

910

Den Zepter halt' ich hier, es fehlt nur noch die Krone.

D i e T h i e r e (welche bisher allerley wunderliche Bewegungen durch einander gemacht haben, bringen dem Mephistopheles eine Krone mit großem Geschrey).
O sey doch so gut,
Mit Schweiß und mit Blut
Die Krone zu leimen!
(Sie gehn ungeschickt mit der Krone um und zerbrechen sie in zwey Stücke, mit welchen sie herum springen.)
Nun ist es geschehn!

915

Wir reden und sehn,
Wir hören und reimen;

F a u s t (gegen den Spiegel).
Weh mir! ich werde schier verrückt.

M e p h i s t o p h e l e s (auf die Thiere deutend).
Nun fängt mir an fast selbst der Kopf zu schwanken.

D i e T h i e r e.
Und wenn es uns glückt

920

Und wenn es sich schickt,
So sind es Gedanken!

F a u s t (wie oben).
Mein Busen fängt mir an zu brennen!
Entfernen wir uns nur geschwind!

M e p h i s t o p h e l e s (in obiger Stellung).
Nun, wenigstens muß man bekennen,

925

Daß es aufrichtige Poeten sind.

(Der Kessel, welchen die Kätzinn bisher außer Acht gelassen, fängt an überzulaufen; es entsteht eine große Flamme, welche zum Schorstein hinausschlägt. Die Hexe kommt durch die Flamme mit entsetzlichem Geschrey herunter gefahren.)

D i e H e x e.
Au! Au! Au! Au!
Verdammtes Thier! verfluchte Sau!
Versäumst den Kessel, versengst die Frau!
Verfluchtes Thier!
(Faust und Mephistopheles erblickend.)

930

Was ist das hier?
Wer seyd ihr hier?
Was wollt ihr da?
Wer schlich sich ein?
Die Feuerpein

935

Euch in's Gebein!
(Sie fährt mit dem Schaumlöffel in den Kessel und spritzt Flammen nach Faust, Mephistopheles und den Thieren. Die Thiere winseln.)

M e p h i s t o p h e l e s (welcher den Wedel, den er in der Hand hält, umkehrt und unter die Gläser und Töpfe schlägt).
Entzwey! entzwey!
Da liegt der Brey!
Da liegt das Glas!
Es ist nur Spaß,

940

Der Tact, du Aas,
Zu deiner Melodey!
(Indem die Hexe voll Grimm und Entsetzen zurücktritt.)
Erkennst du mich, Gerippe! Scheusal du!
Erkennst du deinen Herrn und Meister?
Was hält mich ab, so schlag' ich zu,

945

Zerschmettre dich und deine Katzen-Geister!
Hast du vor'm rothen Wams nicht mehr Respect?
Kannst du die Hahnenfeder nicht erkennen?
Hab' ich dieß Angesicht versteckt?
Soll ich mich etwa selber nennen?

D i e H e x e.

950

O Herr, verzeiht den rohen Gruß!
Seh' ich doch keinen Pferdefuß.
Wo sind denn eure beyden Raben?

M e p h i s t o p h e l e s.
Für dießmal kommst du so davon;
Denn freylich ist es eine Weile schon,

955

Daß wir uns nicht gesehen haben.
Auch die Cultur, die alle Welt beleckt,
Hat auf den Teufel sich erstreckt;
Das Nordische Phantom ist nun nicht mehr zu schauen,
Wo siehst du Hörner, Schweif und Klauen?

960

Und was den Fuß betrifft, den ich nicht missen kann,
Der würde mir bey Leuten schaden;
Darum bedien' ich mich, wie mancher junge Mann,
Seit vielen Jahren falscher Waden.

D i e H e x e (tanzend).
Sinn und Verstand verlier' ich schier

965

Seh' ich den Junker Satan wieder hier!

M e p h i s t o p h e l e s.
Den Nahmen, Weib, verbitt' ich mir!

D i e H e x e.
Warum? Was hat er euch gethan?

M e p h i s t o p h e l e s.
Er ist schon lang' in's Fabelbuch geschrieben;
Allein die Menschen sind nichts besser dran,

970

Den Bösen sind sie los, die Bösen sind geblieben.
Du nennst mich Herr Baron, so ist die Sache gut;
Ich bin ein Cavalier, wie andre Cavaliere.
Du zweifelst nicht an meinem edlen Blut;
Sieh her, das ist das Wapen, das ich führe!
(Er macht eine unanständige Geberde.)

D i e H e x e (lacht unmäßig).

975

Ha! Ha! Das ist in eurer Art!
Ihr seyd ein Schelm, wie ihr nur immer war't!

M e p h i s t o p h e l e s (zu Faust).
Mein Freund, das lerne wohl verstehn!
Dieß ist die Art mit Hexen umzugehn.

D i e H e x e.
Nun sagt, ihr Herren, was ihr schafft.

M e p h i s t o p h e l e s.

980

Ein gutes Glas von dem bekannten Saft!
Doch muß ich euch um's ält'ste bitten;
Die Jahre doppeln seine Kraft.

D i e H e x e.
Gar gern! Hier hab' ich eine Flasche,
Aus der ich selbst zuweilen nasche,

985

Die auch nicht mehr im mind'sten stinkt;
Ich will euch gern ein Gläschen geben.
(Leise.)
Doch wenn es dieser Mann unvorbereitet trinkt,
So kann er, wißt ihr wohl, nicht eine Stunde leben.

M e p h i s t o p h e l e s.
Es ist ein guter Freund, dem es gedeihen soll;

990

Ich gönn' ihm gern das beste deiner Küche.
Zieh deinen Kreis, sprich deine Sprüche,
Und gib ihm eine Tasse voll!

(Die Hexe, mit seltsamen Geberden, zieht einen Kreis und stellt wunderbare Sachen hinein; indessen fangen die Gläser an zu klingen, die Kessel zu tönen, und machen Musik. Zuletzt bringt sie ein großes Buch, stellt die Meerkatzen in den Kreis, die ihr zum Pult dienen und die Fackel halten müssen. Sie winkt Fausten, zu ihr zutreten.)

F a u s t (zu Mephistopheles).
Nein, sage mir, was soll das werden?
Das tolle Zeug, die rasenden Geberden,

995

Der abgeschmackteste Betrug,
Sind mir bekannt, verhaßt genug.

M e p h i s t o p h e l e s.
Ey Possen! Das ist nur zum Lachen;
Sey nur nicht ein so strenger Mann!
Sie muß als Arzt ein Hokuspokus machen,

1000

Damit der Saft dir wohl gedeihen kann.
(Er nöthigt Fausten, in den Kreis zu treten.)

D i e H e x e (mit großer Emphase fängt an, aus dem Buche zu declamiren).
Du mußt verstehn!
Aus Eins mach' Zehn,
Und Zwey laß gehn,
Und Drey mach' gleich,

1005

So bist du reich.
Verlier die Vier,
Aus Fünf und Sechs,
So sagt die Hex',
Mach' Sieben und Acht,

1010

So ist's vollbracht:
Und Neun ist Eins,
Und Zehn ist keins.
Das ist das Hexen-Einmal-Eins!

F a u s t.
Mich dünkt, die Alte spricht im Fieber.

M e p h i s t o p h e l e s.

1015

Das ist noch lange nicht vorüber,
Ich kenn' es wohl, so klingt das ganze Buch;
Ich habe manche Zeit damit verloren,
Denn ein vollkommner Widerspruch
Bleibt gleich geheimnißvoll für Kluge wie für Thoren.

1020

Mein Freund, die Kunst ist alt und neu.
Es war die Art zu allen Zeiten,
Durch Drey und Eins, und Eins und Drey
Irrtum statt Wahrheit zu verbreiten.
So schwätzt und lehrt man ungestört;

1025

Wer will sich mit den Narrn befassen?
Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,
Es müsse sich dabey doch auch was denken lassen.

D i e H e x e (fährt fort).
Die hohe Kraft
Der Wissenschaft,

1030

Der ganzen Welt verborgen!
Und wer nicht denkt,
Dem wird sie geschenkt,
Er hat sie ohne Sorgen.

F a u s t.
Was sagt sie uns für Unsinn vor?

1035

Es wird mir gleich der Kopf zerbrechen.
Mich dünkt, ich hör' ein ganzes Chor
Von hundert tausend Narren sprechen.

M e p h i s t o p h e l e s.
Genug, genug, o treffliche Sibylle!
Gib deinen Trank herbey, und fülle

1040

Die Schale rasch bis an den Rand hinan;
Denn meinem Freund wird dieser Trunk nicht schaden:
Er ist ein Mann von vielen Graden,
Der manchen guten Schluck gethan.

(Die Hexe, mit vielen Ceremonien, schenkt den Trank in eine Schale; wie sie Faust an den Mund bringt, entsteht eine leichte Flamme.)

M e p h i s t o p h e l e s.
Nur frisch hinunter! Immer zu!

1045

Es wird dir gleich das Herz erfreuen.
Bist mit dem Teufel du und du,
Und willst dich vor der Flamme scheuen?

(Die Hexe lös't den Kreis. Faust tritt heraus.)

M e p h i s t o p h e l e s.
Nun frisch hinaus! Du darfst nicht ruhn.

D i e H e x e.
Mög' euch das Schlückchen wohl behagen!

M e p h i s t o p h e l e s (zur Hexe).

1050

Und kann ich dir was zu Gefallen thun,
So darfst du mir's nur auf Walpurgis sagen.

D i e H e x e.
Hier ist ein Lied! wenn ihr's zuweilen singt,
So werdet ihr besondre Wirkung spüren.

M e p h i s t o p h e l e s (zu Faust).
Komm nur geschwind' und laß dich führen;

1055

Du mußt nothwendig transpiriren,
Damit die Kraft durch inn- und äußres dringt.
Den edlen Müßiggang lehr' ich hernach dich schätzen,
Und bald empfindest du mit innigem Ergetzen,
Wie sich Cupido regt und hin und wieder springt.

F a u s t.

1060

Laß mich nur schnell noch in den Spiegel schauen!
Das Frauenbild war gar zu schön!

M e p h i s t o p h e l e s.
Nein! Nein! Du sollst das Muster aller Frauen
Nun bald leibhaftig vor dir sehn.
(Leise.)
Du siehst, mit diesem Trank im Leibe,

1065

Bald Helenen in jedem Weibe.

S T R A S S E


Faust. Margarethe vorüber gehend.


F a u s t.
Mein schönes Fräulein, darf ich wagen,
Meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen?

M a r g a r e t h e.
Bin weder Fräulein, weder schön,
Kann ungeleitet nach Hause gehn.
(Sie macht sich los und ab.)

F a u s t.

1070

Bey'm Himmel, dieses Kind ist schön!
So etwas hab' ich nie gesehn.
Sie ist so sitt- und tugendreich,
Und etwas schnippisch doch zugleich.
Der Lippe Roth, der Wange Licht,

1075

Die Tage der Welt vergess' ich's nicht!
Wie sie die Augen niederschlägt,
Hat tief sich in mein Herz geprägt;
Wie sie kurz angebunden war,
Das ist nun zum Entzücken gar!

Mephistopheles tritt auf.

F a u s t.

1080

Hör', du mußt mir die Dirne schaffen!

M e p h i s t o p h e l e s.
Nun, welche?

F a u s t.
Sie ging just vorbey.

M e p h i s t o p h e l e s.
Da die? Sie kam von ihrem Pfaffen,
Der sprach sie aller Sünden frey;
Ich schlich mich hart am Stuhl vorbey,

1085

Es ist ein gar unschuldig Ding,
Das eben für nichts zur Beichte ging,
Über die hab ich keine Gewalt!

F a u s t.
Ist über vierzehn Jahr' doch alt.

M e p h i s t o p h e l e s.
Du sprichst ja wie Hans Liederlich,

1090

Der begehrt jede liebe Blum' für sich,
Und dünkelt ihm, es wär' kein' Ehr'
Und Gunst, die nicht zu pflücken wär';
Geht aber doch nicht immer an.

F a u s t.
Mein Herr Magister lobesan,

1095

Laß Er mich mit dem Gesetz in Frieden!
Und das sag' ich ihm kurz und gut:
Wenn nicht das süße junge Blut
Heut' Nacht in meinen Armen ruht,
So sind wir um Mitternacht geschieden.

M e p h i s t o p h e l e s.

1100

Bedenkt was gehn und stehen mag!
Ich brauche wenigstens vierzehn Tag'
Nur die Gelegenheit auszuspüren.

F a u s t.
Hätt' ich nur sieben Stunden Ruh',
Brauchte den Teufel nicht dazu,

1105

So ein Geschöpfchen zu verführen.

M e p h i s t o p h e l e s.
Ihr sprecht schon fast wie ein Franzos'.
Doch bitt' ich, laßt's euch nicht verdrießen.
Was hilft's nur g'rade zu genießen?
Die Freud' ist lange nicht so groß,

1110

Als wenn ihr erst herauf, herum,
Durch allerley Brimborium,
Das Püppchen geknetet und zugericht',
Wie's lehret manche Welsche Geschicht'.

F a u s t.
Hab' Appetit auch ohne das.

M e p h i s t o p h e l e s.

1115

Jetzt ohne Schimpf und ohne Spaß:
Ich sag' euch, mit dem schönen Kind
Geht's ein- vor allemal nicht geschwind.
Mit Sturm ist da nichts einzunehmen;
Wir müssen uns zur List bequemen.

F a u s t.

1120

Schaff' mir etwas vom Engelsschatz!
Führ' mich an ihren Ruheplatz!
Schaff' mir ein Halstuch von ihrer Brust
Ein Strumpfband meiner Liebeslust!

M e p h i s t o p h e l e s.
Damit ihr seht, daß ich eurer Pein

1125

Will förderlich und dienstlich seyn,
Wollen wir keinen Augenblick verlieren,
Will euch noch heut' in ihr Zimmer führen.

F a u s t.
Und soll sie sehn? sie haben?

M e p h i s t o p h e l e s.
Nein!
Sie wird bey einer Nachbarinn seyn.

1130

Indessen könnt ihr ganz allein
An aller Hoffnung künft'ger Freuden
In ihrem Dunstkreis satt euch weiden.

F a u s t.
Können wir hin?

M e p h i s t o p h e l e s.
Es ist noch zu früh.

F a u s t.
Sorg' du mir für ein Geschenk für sie! (Ab.)

M e p h i s t o p h e l e s.

1135

Gleich schenken? Das ist brav! Da wird er reüssiren! -
Ich kenne manchen schönen Platz
Und manchen altvergrabnen Schatz;
Ich muß ein Bißchen revidiren.
(ab.)

A B E N D


Ein kleines reinliches Zimmer.


M a r g a r e t h e (ihre Zöpfe flechtend und aufbindend.)
Ich gäb' was drum, wenn ich nur wüßt',

1140

Wer heut' der Herr gewesen ist!
Er sah gewiß recht wacker aus,
Und ist aus einem edlen Haus,
Das konnt' ich ihm an der Stirne lesen -
Er wär' auch sonst nicht so keck gewesen. (ab.)

Mephistopheles. Faust.

M e p h i s t o p h e l e s.

1145

Herein, ganz leise, nur herein!

F a u s t (nach einigem Stillschweigen).
Ich bitte dich, laß mich allein.

M e p h i s t o p h e l e s (herumspürend).
Nicht jedes Mädchen hält so rein.
(ab.)

F a u s t (rings aufschauend).
Willkommen, süßer Dämmerschein,
Der du dieß Heiligthum durchwebst!

1150

Ergreif mein Herz, du süße Liebespein,
Die du vom Thau der Hoffnung schmachtend lebst!
Wie athmet rings Gefühl der Stille,
Der Ordnung, der Zufriedenheit,
In dieser Armuth welche Fülle!

1155

In diesem Kerker welche Seligkeit!
(Er wirft sich auf den ledernen Sessel am Bette.)
O nimm mich auf, der du die Vorwelt schon
Bey Freud' und Schmerz im offnen Arm empfangen!
Wie oft, ach! hat an diesem Väter-Thron
Schon eine Schaar von Kindern rings gehangen!

1160

Vielleicht hat, dankbar für den heil'gen Christ,
Mein Liebchen hier, mit vollen Kinderwangen,
Dem Ahnherrn fromm die welke Hand geküßt.
Ich fühl', o Mädchen, deinen Geist
Der Füll' und Ordnung um mich säuseln,

1165

Der mütterlich dich täglich unterweis't,
Den Teppich auf den Tisch dich reinlich breiten heißt,
Sogar den Sand zu deinen Füßen kräuseln.
O liebe Hand! so göttergleich!
Die Hütte wird durch dich ein Himmelreich.

1170

Und hier!
(Er hebt einen Bettvorhang auf.)
Was faßt mich für ein Wonnegraus!
Hier möcht' ich volle Stunden säumen.
Natur! Hier bildetest in leichten Träumen
Den eingebornen Engel aus;
Hier lag das Kind, mit warmem Leben

1175

Den zarten Busen angefüllt,
Und hier mit heilig reinem Weben
Entwirkte sich das Götterbild!

Und du! Was hat dich hergeführt?
Wie innig fühl' ich mich gerührt!

1180

Was willst du hier? Was wird das Herz dir schwer?
Armsel'ger Faust! ich kenne dich nicht mehr.

Umgibt mich hier ein Zauberduft?
Mich drang's, so g'rade zu genießen,
Und fühle mich in Liebestraum zerfließen!

1185

Sind wir ein Spiel von jedem Druck der Luft?

Und träte sie den Augenblick herein,
Wie würdest du für deinen Frevel büßen!
Der große Hans, ach wie so klein!
Läg', hingeschmolzen, ihr zu Füßen.

M e p h i s t o p h e l e s.

1190

Geschwind'! ich seh' sie unten kommen.

F a u s t.
Fort! Fort! Ich kehre nimmermehr!

M e p h i s t o p h e l e s.
Hier ist ein Kästchen leidlich schwer,
Ich hab's wo anders hergenommen.
Stellt's hier nur immer in den Schrein;

1195

Ich schwör' euch, ihr vergehn die Sinnen,
Ich that euch Sächelchen hinein,
Um eine andre zu gewinnen.
Zwar Kind ist Kind und Spiel ist Spiel.

F a u s t.
Ich weiß nicht, soll ich?

M e p h i s t o p h e l e s.
Fragt ihr viel?

1200

Meint ihr vielleicht den Schatz zu wahren?
Dann rath' ich eurer Lüsternheit,
Die liebe schöne Tageszeit,
Und mir die weitre Müh' zu sparen.
Ich hoff' nicht daß ihr geitzig seyd!

1205

Ich kratz' den Kopf, reib' an den Händen -
(Er stellt das Kästchen in den Schrein
und drückt das Schloß wieder zu.)
Nur fort, geschwind' -
Um euch das süße junge Kind
Nach Herzens Wunsch und Will' zu wenden;
Und ihr seht drein,

1210

Als solltet ihr in den Hörsaal hinein,
Als stünd' leibhaftig vor euch da
Physik und Metaphysika!
Nur fort -
(ab.)

M a r g a r e t h e (mit einer Lampe.)
Es ist so schwül, so dumpfig hie,
(sie macht das Fenster auf.)

1215

Und ist doch eben so warm nicht drauß'.
Es wird mir so, ich weiß nicht wie -
Ich wollt', die Mutter käm' nach Haus.
Mir läuft ein Schauer über'n Leib -
Bin doch ein thöricht furchtsam Weib!
(Sie fängt an zu singen, indem sie sich auszieht.)

1220

Es war ein König in Thule
Gar treu bis an das Grab,
Dem sterbend seine Buhle
Einen goldnen Becher gab.

Es ging ihm nichts darüber,

1225

Er leert' ihn jeden Schmaus;
Die Augen gingen ihm über,
So oft er trank daraus.

Und als er kam zu sterben,
Zählt' er seine Städt' im Reich,

1230

Gönnt' alles seinem Erben,
Den Becher nicht zugleich.

Er saß bey'm Königsmahle,
Die Ritter um ihn her,
Auf hohem Väter-Saale,

1235

Dort auf dem Schloß am Meer.

Dort stand der alte Zecher,
Trank letzte Lebensgluth,
Und warf den heiligen Becher
Hinunter in die Fluth.

1240

Er sah ihn stürzen, trinken
Und sinken tief in's Meer,
Die Augen thäten ihm sinken,
Trank nie einen Tropfen mehr.

(Sie eröffnet den Schrein, ihre Kleider einzuräumen,
und erblickt das Schmuckkästchen.)

Wie kommt das schöne Kästchen hier herein?

1245

Ich schloß doch ganz gewiß den Schrein.
Es ist doch wunderbar! Was mag wohl drinne seyn?
Vielleicht bracht's jemand als ein Pfand,
Und meine Mutter lieh darauf?
Da hängt ein Schlüsselchen am Band,

1250

Ich denke wohl, ich mach' es auf!
Was ist das? Gott im Himmel! schau,
So was hab' ich mein' Tage nicht gesehn!
Ein Schmuck! Mit dem könnt' eine Edelfrau
Am höchsten Feyertage gehn!

1255

Wie sollte mir die Kette stehn?
Wem mag die Herrlichkeit gehören?
(Sie putzt sich damit auf und tritt vor den Spiegel.)
Wenn nur die Ohrring' meine wären!
Man sieht doch gleich ganz anders drein.
Was hilft euch Schönheit, junges Blut?

1260

Das ist wohl alles schön und gut,
Allein man läßt's auch alles seyn.
Man lobt euch halb mit Erbarmen.
Nach Golde drängt,
Am Golde hängt

1265

Doch alles! Ach wir Armen!


S P A Z I E R G A N G


Faust in Gedanken auf und ab gehend. Zu ihm Mephistopheles.

M e p h i s t o p h e l e s.
Bey aller verschmähten Liebe! Bey'm höllischen Elemente!
Ich wollt' ich wüßte was ärgers, daß ich's fluchen könnte!

F a u s t.
Was hast? was kneipt dich denn so sehr?
So kein Gesicht sah ich in meinem Leben!

M e p h i s t o p h e l e s.

1270

Ich möcht mich gleich dem Teufel übergeben,
Wenn ich nur selbst kein Teufel wär'!

F a u s t.
Hat sich dir was im Kopf verschoben?
Dich kleidet's, wie ein Rasender zu toben!

M e p h i s t o p h e l e s.
Denkt nur, den Schmuck, für Grethchen angeschafft,

1275

Den hat ein Pfaff' hinweggerafft - -
Die Mutter kriegt das Ding zu schauen,
Gleich fängt's ihr heimlich an zu grauen;
Die Frau hat gar einen feinen Geruch,
Schnuffelt immer im Gebetbuch,

1280

Und riecht's einem jeden Möbel an,
Ob das Ding heilig ist oder profan;
Und an dem Schmuck da spürt' sie's klar,
Daß dabey nicht viel Segen war.
«Mein Kind», rief sie, «ungerechtes Gut

1285

Befängt die Seele, zehrt auf das Blut,
Wollen's der Mutter Gottes weihen,
Wird uns mit Himmels-Manna erfreuen!»
Margrethlein zog ein schiefes Maul,
Ist halt, dacht' sie, ein geschenkter Gaul,

1290

Und wahrlich gottlos ist nicht der,
Der ihn so fein gebracht hierher.
Die Mutter ließ einen Pfaffen kommen;
Der hatte kaum den Spaß vernommen,
Ließ sich den Anblick wohl behagen;

1295

Er sprach: «So ist man recht gesinnt!
Wer überwindet der gewinnt.
Die Kirche hat einen guten Magen,
Hat ganze Länder aufgefressen,
Und doch noch nie sich übergessen;

1300

Die Kirch' allein, meine liebe Frauen,
Kann ungerechtes Gut verdauen.»

F a u s t.
Das ist ein allgemeiner Brauch,
Ein Jud' und König kann es auch.

M e p h i s t o p h e l e s.
Strich drauf ein Spange, Kett' und Ring,

1305

Als wären's eben Pfifferling',
Dankt' nicht weniger und nicht mehr,
Als ob's ein Korb voll Nüsse wär',
Versprach ihnen allen himmlischen Lohn -
Und sie waren sehr erbaut davon.

F a u s t.

1310

Und Grethchen?

M e p h i s t o p h e l e s.
Sitzt nun unruhvoll,
Weiß weder, was sie will noch soll,
Denkt an's Geschmeide Tag und Nacht,
Noch mehr an den, der's ihr gebracht.

F a u s t.
Des Liebchens Kummer thut mir leid.

1315

Schaff' du ihr gleich ein neu Geschmeid'!
Am ersten war ja so nicht viel.

M e p h i s t o p h e l e s.
O ja, dem Herrn ist alles Kinderspiel!

F a u s t.
Und mach', und richt's nach meinem Sinn,
Häng' dich an ihre Nachbarinn!

1320

Sey, Teufel, doch nur nicht wie Brey,
Und schaff' einen neuen Schmuck herbey.

M e p h i s t o p h e l e s.
Ja, gnäd'ger Herr, von Herzen gerne.
(Faust ab.)
So ein verliebter Thor verpufft
Euch Sonne, Mond und alle Sterne

1325

Zum Zeitvertreib dem Liebchen in die Luft. (ab.)

D E R N A C H B A R I N N H A U S


M a r t h e (allein.)
Gott verzeih's meinem lieben Mann,
Er hat an mir nicht wohl gethan!
Geht da stracks in die Welt hinein,
Und läßt mich auf dem Stroh allein.

1330

Thät ihn doch wahrlich nicht betrüben,
Thät ihn, weiß Gott, recht herzlich lieben.
(Sie weint.)
Vielleicht ist er gar todt! - O Pein! - -
Hätt' ich nur einen Todtenschein!

(Margarethe kommt.)

M a r g a r e t h e.
Frau Marthe!

M a r t h e.
Grethelchen, was soll's?

M a r g a r e t h e.

1335

Fast sinken mir die Kniee nieder!
Da find' ich so ein Kästchen wieder,
In meinem Schrein, von Ebenholz,
Und Sachen herrlich ganz und gar,
Weit reicher als das erste war.

M a r t h e.

1340

Das muß Sie nicht der Mutter sagen,
Thät's wieder gleich zur Beichte tragen.

M a r g a r e t h e.
Ach seh' Sie nur! ach schau' Sie nur!

M a r t h e (putzt sie auf).
O du glücksel'ge Kreatur!

M a r g a r e t h e.
Darf mich, leider, nicht auf der Gassen,

1345

Noch in der Kirche mit sehen lassen.

M a r t h e.
Komm du nur oft zu mir herüber,
Und leg' den Schmuck hier heimlich an;
Spazier' ein Stündchen lang dem Spiegelglas vorüber,
Wir haben unsre Freude dran;

1350

Und dann gibt's einen Anlaß, gibt's ein Fest,
Wo man's so nach und nach den Leuten sehen läßt,
Ein Kettchen erst, die Perle dann in's Ohr;
Die Mutter sieht's wohl nicht, man macht ihr auch was vor.

M a r g a r e t h e.
Wer konnte nur die beyden Kästchen bringen?

1355

Es geht nicht zu mit rechten Dingen!
(Es klopft.)
Ach Gott! mag das meine Mutter seyn?

M a r t h e (durchs Vorhängel guckend).
Es ist ein fremder Herr - Herein!

(Mephistopheles tritt auf.)

M e p h i s t o p h e l e s.
Bin so frey g'rad herein zu treten
Muß bey den Frauen Verzeihn erbeten.
(Tritt ehrerbiethig vor Margarethen zurück.)

1360

Wollte nach Frau Marthe Schwerdlein fragen!

M a r t h e.
Ich bin's, was hat der Herr zu sagen?

M e p h i s t o p h e l e s (leise zu ihr).
Ich kenne Sie jetzt, mir ist das genug;
Sie hat da gar vornehmen Besuch.
Verzeiht die Freyheit die ich genommen,

1365

Will nach Mittage wieder kommen.

M a r t h e (laut).
Denk, Kind, um alles in der Welt!
Der Herr dich für ein Fräulein hält.

M a r g a r e t h e.
Ich bin ein armes junges Blut;
Ach Gott! der Herr ist gar zu gut:

1370

Schmuck und Geschmeide sind nicht mein.

M e p h i s t o p h e l e s.
Ach, es ist nicht der Schmuck allein,
Sie hat ein Wesen, einen Blick so scharf!
Wie freut mich's, daß ich bleiben darf.

M a r t h e.
Was bringt Er denn? Verlange sehr -

M e p h i s t o p h e l e s.

1375

Ich wollt' ich hätt' eine frohere Mähr'!
Ich hoffe, Sie läßt mich's drum nicht büßen:
Ihr Mann ist todt und läßt Sie grüßen.

M a r t h e.
Ist todt? das treue Herz! O weh!
Mein Mann ist todt! Ach, ich vergeh'!

M a r g a r e t h e.

1380

Ach! liebe Frau, verzweifelt nicht!

M e p h i s t o p h e l e s.
So hört die traurige Geschicht'!

M a r g a r e t h e.
Ich möchte drum mein Tag' nicht lieben,
Würde mich Verlust zu Tode betrüben.

M e p h i s t o p h e l e s.
Freud' muß Leid, Leid muß Freude haben.

M a r t h e.

1385

Erzählt mir seines Lebens Schluß!

M e p h i s t o p h e l e s.
Er liegt in Padua begraben
Bey'm heiligen Antonius,
An einer wohlgeweihten Stätte
Zum ewig kühlen Ruhebette.

M a r t h e.

1390

Habt ihr sonst nichts an mich zu bringen?

M e p h i s t o p h e l e s.
Ja, eine Bitte, groß und schwer:
Lass' Sie doch ja für ihn drey hundert Messen singen!
Im übrigen sind meine Taschen leer.

M a r t h e.
Was! nicht ein Schaustück? kein Geschmeid'?

1395

Was jeder Handwerksbursch im Grund des Säckels spart,
Zum Angedenken aufbewahrt,
Und lieber hungert, lieber bettelt!

M e p h i s t o p h e l e s.
Madam, es thut mir herzlich leid;
Allein er hat sein Geld wahrhaftig nicht verzettelt.

1400

Auch er bereute seine Fehler sehr,
Ja, und bejammerte sein Unglück noch viel mehr.

M a r g a r e t h e.
Ach, daß die Menschen so unglücklich sind!
Gewiß, ich will für ihn manch Requiem noch bethen.

M e p h i s t o p h e l e s.
Ihr wäret werth, gleich in die Eh' zu treten:

1405

Ihr seyd ein liebenswürdig Kind.

M a r g a r e t h e.
Ach nein, das geht jetzt noch nicht an.

M e p h i s t o p h e l e s.
Ist's nicht ein Mann, sey's derweil' ein Galan.
Es ist eine der größten Himmelsgaben,
So ein lieb Ding im Arm zu haben.

M a r g a r e t h e.

1410

Das ist des Landes nicht der Brauch.

M e p h i s t o p h e l e s.
Brauch oder nicht! Es gibt sich auch.

M a r t h e.
Erzählt mir doch!

M e p h i s t o p h e l e s.
Ich stand an seinem Sterbebette,
Es war was besser als von Mist,
Von halb gefaultem Stroh; allein er starb als Christ,

1415

Und fand, daß er weit mehr noch auf der Zeche hätte.
«Wie», rief er, «muß ich mich von Grund aus hassen,
So mein Gewerb', mein Weib so zu verlassen!
Ach, die Erinnrung tödtet mich!
Vergäb' sie mir nur noch in diesem Leben!»

M a r t h e (weinend).

1420

Der gute Mann! ich hab' ihm längst vergeben.

M e p h i s t o p h e l e s.
«Allein, weiß Gott! sie war mehr schuld als ich.»

M a r t h e.
Das lügt er! Was! am Rand des Grabs zu lügen!

M e p h i s t o p h e l e s.
Er fabelte gewiß in letzten Zügen,
Wenn ich nur halb ein Kenner bin.

1425

«Ich hatte», sprach er, «nicht zum Zeitvertreib zu gaffen,
Erst Kinder, und dann Brod für sie zu schaffen,
Und Brodt im allerweit'sten Sinn,
Und konnte nicht einmal mein Theil in Frieden essen.»

M a r t h e.
Hat er so aller Treu', so aller Lieb' vergessen,

1430

Der Plackerey bey Tag und Nacht!

M e p h i s t o p h e l e s.
Nicht doch, er hat euch herzlich dran gedacht.
Er sprach: «Als ich nun weg von Malta ging,
Da bethet' ich für Frau und Kinder brünstig;
Uns war denn auch der Himmel günstig,

1435

Daß unser Schiff ein Türkisch Fahrzeug fing,
Das einen Schatz des großen Sultans führte.
Da ward der Tapferkeit ihr Lohn,
Und ich empfing denn auch, wie sich's gebührte,
Mein wohlgemess'nes Theil davon.»

M a r t h e.

1440

Ey wie? Ey wo? Hat er's vielleicht vergraben?

M e p h i s t o p h e l e s.
Wer weiß, wo nun es die vier Winde haben.
Ein schönes Fräulein nahm sich seiner an,
Als er in Napel fremd umher spazierte;
Sie hat an ihm viel Lieb's und Treu's gethan,

1445

Daß er's bis an sein selig Ende spürte.

M a r t h e.
Der Schelm! Der Dieb an seinen Kindern!
Auch alles Elend, alle Noth
Konnt' nicht sein schändlich Leben hindern!

M e p h i s t o p h e l e s.
Ja seht! dafür ist er nun todt.

1450

Wär' ich nun jetzt an euerm Platze,
Betraurt' ich ihn ein züchtig Jahr,
Visirte dann unterweil' nach einem neuen Schatze.

M a r t h e.
Ach Gott! wie doch mein erster war,
Find' ich nicht leicht auf dieser Welt den andern!

1455

Es konnte kaum ein herz'ger Närrchen seyn.
Er liebte nur das allzuviele Wandern,
Und fremde Weiber, und fremden Wein,
Und das verfluchte Würfelspiel.

M e p h i s t o p h e l e s.
Nun, nun, so konnt' es gehn und stehen,

1460

Wenn er euch ungefähr so viel
Von seiner Seite nachgesehen.
Ich schwör' euch zu, mit dem Beding
Wechselt' ich selbst mit euch den Ring.

M a r t h e.
O es beliebt dem Herrn zu scherzen!

M e p h i s t o p h e l e s (für sich).

1465

Nun mach' ich mich bey Zeiten fort!
Die hielte wohl den Teufel selbst bey'm Wort.
(Zu Grethchen.)
Wie steht es denn mit Ihrem Herzen?

M a r g a r e t h e.
Was meint der Herr damit?

M e p h i s t o p h e l e s (für sich).
Du gut's, unschuldig's Kind!
(Laut.)
Lebt wohl, ihr Fraun!

M a r g a r e t h e.
Lebt wohl!

M a r t h e.
O sagt mir doch geschwind'!

1470

Ich möchte gern ein Zeugniß haben,
Wo, wie und wann mein Schatz gestorben und begraben.
Ich bin von je der Ordnung Freund gewesen,
Möcht' ihn auch todt im Wochenblättchen lesen.

M e p h i s t o p h e l e s.
Ja, gute Frau, durch zweyer Zeugen Mund

1475

Wird allerwegs die Wahrheit kund;
Habe noch gar einen feinen Gesellen,
Den will ich euch vor den Richter stellen.
Ich bring' ihn her.

M a r t h e.
O thut das ja!

M e p h i s t o p h e l e s.
Und hier die Jungfrau ist auch da?

1480

Ein braver Knab'! ist viel gereis't,
Fräuleins alle Höflichkeit erweis't.

M a r g a r e t h e.
Müßte vor dem Herren schamroth werden.

M e p h i s t o p h e l e s.
Vor keinem Könige der Erden.

M a r t h e.
Da hinter'm Haus in meinem Garten

1485

Wollen wir der Herrn heut' Abend warten.


S T R A S S E


Faust. Mephistopheles.


F a u s t.
Wie ist's? Will's fördern? Will's bald gehn?

M e p h i s t o p h e l e s.
Ah bravo! Find' ich euch im Feuer?
In kurzer Zeit ist Grethchen euer.
Heut abend sollt ihr sie bey Nachbars Marthen sehn:

1490

Das ist ein Weib wie auserlesen
Zum Kuppler- und Zigeunerwesen!

F a u s t.
So recht!

M e p h i s t o p h e l e s.
Doch wird auch was von uns begehrt.

F a u s t.
Ein Dienst ist wohl des andern werth.

M e p h i s t o p h e l e s.
Wir legen nur ein gültig Zeugniß nieder,

1495

Daß ihres Eh'herrn ausgereckte Glieder
In Padua an heil'ger Stätte ruhn.

F a u s t.
Sehr klug! Wir werden erst die Reise machen müssen!

M e p h i s t o p h e l e s.
Sancta simplicitas! darum ist's nicht zu thun;
Bezeugt nu ohne viel zu wissen.

F a u s t.

1500

Wenn Er nichts bessers hat, so ist der Plan zerrissen.

M e p h i s t o p h e l e s.
O heil'ger Mann! Da wär't ihr's nun!
Ist es das erstemal in eurem Leben,
Daß ihr falsch Zeugniß abgelegt?
Habt ihr von Gott, der Welt und was sich drin bewegt,

1505

Vom Menschen, was sich ihm in Kopf und Herzen regt,
Definitionen nicht mit großer Kraft gegeben,
Mit frecher Stirne, kühner Brust?
Und wollt ihr recht in's Innre gehen,
Habt ihr davon, ihr müßt es g'rad' gestehen,

1510

So viel als von Herrn Schwerdleins Tod gewußt!

F a u s t.
Du bist und bleibst ein Lügner, ein Sophiste.

M e p h i s t o p h e l e s.
Ja, wenn man's nicht ein Bißchen tiefer wüßte.
Denn morgen wirst in allen Ehren,
Das arme Grethchen nicht bethören,

1515

Und alle Seelenlieb' ihr schwören?

F a u s t.
Und zwar von Herzen.

M e p h i s t o p h e l e s.
Gut und schön!
Dann wird von ewiger Treu' und Liebe,
Von einzig überallmächt'gem Triebe -
Wird das auch so von Herzen gehn?

F a u s t.

1520

Laß das! Es wird! - Wenn ich empfinde,
Für das Gefühl, für das Gewühl
Nach Nahmen suche, keinen finde,
Dann durch die Welt mit allen Sinnen schweife,
Nach allen höchsten Worten greife

1525

Und diese Gluth, von der ich brenne,
Unendlich, ewig, ewig nenne,
Ist das ein teuflisch Lügenspiel?

M e p h i s t o p h e l e s.
Ich hab' doch Recht!

F a u s t.
Hör' - merk' dir dieß,
Ich bitte dich, und schone meine Lunge -

1530

Wer Recht behalten will und hat nur eine Zunge,
Behält's gewiß.
Und komm, ich hab' des Schwätzens Überdruß,
Denn du hast Recht, vorzüglich weil ich muß.

G A R T E N


Margarethe an Faustens Arm, Marthe mit Mephistopheles auf und ab spazierend.

M a r g a r e t h e.
Ich fühl' es wohl, daß mich der Herr nur schont,

1535

Herab sich läßt, mich zu beschämen.
Ein Reisender ist so gewohnt
Aus Gütigkeit fürlieb zu nehmen;
Ich weiß zu gut, daß solch erfahrnen Mann
Mein arm Gespräch nicht unterhalten kann.

F a u s t.

1540

Ein Blick von dir, Ein Wort mehr unterhält
Als alle Weisheit dieser Welt. (Er küßt ihre Hand.)

M a r g a r e t h e.
Incommodirt euch nicht! Wie könnt ihr sie nur küssen?
Sie ist so garstig, ist so rauh!
Was hab ich nicht schon alles schaffen müssen!

1545

Die Mutter ist gar zu genau.
(Gehn vorüber.)

M a r t h e.
Und ihr, mein Herr, ihr reis't so immer fort?

M e p h i s t o p h e l e s.
Ach, daß Gewerb' und Pflicht uns dazu treiben!
Mit wie viel Schmerz verläßt man manchen Ort,
Und darf doch nun einmal nicht bleiben!

M a r t h e.

1550

In raschen Jahren geht's wohl an
So um und um frey durch die Welt zu streifen;
Doch kömmt die böse Zeit heran,
Und sich als Hagestolz allein zum Grab zu schleifen,
Das hat noch keinem wohlgethan.

M e p h i s t o p h e l e s.

1555

Mit Grausen seh' ich das von weiten.

M a r t h e.
Drum, werther Herr, berathet euch in Zeiten.
(Gehn vorüber.)

M a r g a r e t h e.
Ja, aus den Augen, aus dem Sinn!
Die Höflichkeit ist euch geläufig;
Allein ihr habt der Freunde häufig,

1560

Sie sind verständiger als ich bin.

F a u s t.
O Beste! glaube, was man so verständig nennt,
Ist oft mehr Eitelkeit und Kurzsinn.

M a r g a r e t h e.
Wie?

F a u s t.
Ach, daß die Einfalt, daß die Unschuld nie
Sich selbst und ihren heil'gen Werth erkennt!

1565

Daß Demuth, Niedrigkeit, die höchsten Gaben
Der liebevoll austheilenden Natur -

M a r g a r e t h e.
Denkt ihr an mich ein Augenblickchen nur,
Ich werde Zeit genug an euch zu denken haben.

F a u s t.
Ihr seyd wohl viel allein?

M a r g a r e t h e.

1570

Ja, unsre Wirtschaft ist nur klein,
Und doch will sie versehen seyn.
Wir haben keine Magd; muß kochen, fegen, stricken
Und nähn, und laufen früh und spat;
Und meine Mutter ist in allen Stücken

1575

So accurat!
Nicht daß sie just so sehr sich einzuschränken hat;
Wir könnten uns weit eh' als andre regen:
Mein Vater hinterließ ein hübsch Vermögen,
Ein Häuschen und ein Gärtchen vor der Stadt.

1580

Doch hab' ich jetzt so ziemlich stille Tage:
Mein Bruder ist Soldat,
Mein Schwesterchen ist todt.
Ich hatte mit dem Kind wohl meine liebe Noth;
Doch übernähm' ich gern noch einmal alle Plage,

1585

So lieb war mir das Kind.

F a u s t.
Ein Engel, wenn dir's glich.

M a r g a r e t h e.
Ich zog es auf, und herzlich liebt' es mich.
Es war nach meines Vaters Tod geboren.
Die Mutter gaben wir verloren,
So elend wie sie damals lag,

1590

Und sie erholte sich sehr langsam, nach und nach.
Da konnte sie nun nicht dran denken,
Das arme Würmchen selbst zu tränken,
Und so erzog ich's ganz allein,
Mit Milch und Wasser; so ward's mein.

1595

Auf meinem Arm, in meinem Schooß
War's freundlich, zappelte, ward groß.

F a u s t.
Du hast gewiß das reinste Glück empfunden.

M a r g a r e t h e.
Doch auch gewiß gar manche schwere Stunden.
Des Kleinen Wiege stand zu Nacht

1600

An meinem Bett, es durfte kaum sich regen,
War ich erwacht;
Bald mußt' ich's tränken, bald es zu mir legen,
Bald, wenn's nicht schwieg, vom Bett aufstehn
Und tänzelnd in der Kammer auf und nieder gehn,

1605

Und früh am Tage schon am Waschtrog stehn;
Dann auf dem Markt und an dem Herde sorgen,
Und immer fort wie heut' so morgen.
Da geht's, mein Herr, nicht immer muthig zu;
Doch schmeckt dafür das Essen, schmeckt die Ruh'.
(Gehn vorüber.)

M a r t h e.

1610

Sagt g'rad', mein Herr, habt ihr noch nichts gefunden?
Hat sich das Herz nicht irgendwo gebunden?

M e p h i s t o p h e l e s.
Das Sprichwort sagt: Ein eigner Herd,
Ein braves Weib, sind Gold und Perlen werth.

M a r t h e.
Ich meine: ob ihr niemals Lust bekommen?

M e p h i s t o p h e l e s.

1615

Man hat mich überall recht höflich aufgenommen.

M a r t h e.
Ich wollte sagen: ward's nie Ernst in euerm Herzen?

M e p h i s t o p h e l e s.
Mit Frauen soll man sich nie unterstehn zu scherzen.

M a r t h e.
Ach, ihr versteht mich nicht!

M e p h i s t o p h e l e s.
Das thut mir herzlich leid!
Doch ich versteh' - daß ihr sehr gütig seyd.
(Gehn vorüber.)

F a u s t.

1620

Du kanntest mich, o kleiner Engel, wieder,
Gleich als ich in den Garten kam?

M a r g a r e t h e.
Saht ihr es nicht? ich schlug die Augen nieder.

F a u s t.
Und du verzeihst die Freyheit, die ich nahm?
Was sich die Frechheit unterfangen,

1625

Als du jüngst aus dem Dom gegangen?

M a r g a r e t h e.
Ich war bestürzt, mir war das nie geschehn;
Es konnte niemand von mir übels sagen.
Ach, dacht' ich, hat er in deinem Betragen
Was freches, unanständiges gesehn?

1630

Es schien ihn gleich nur anzuwandeln,
Mit dieser Dirne g'rade hin zu handeln.
Gesteh' ich's doch! Ich wußte nicht was sich
Zu euerm Vortheil hier zu regen gleich begonnte;
Allein gewiß, ich war recht bös' auf mich,

1635

Daß ich auf euch nicht böser werden konnte.

F a u s t.
Süß Liebchen!

M a r g a r e t h e.
Laßt einmal!
(Sie pflückt eine Sternblume und zupft die Blätter ab, eins nach dem andern.)

F a u s t.
Was soll das? Einen Strauß?

M a r g a r e t h e.
Nein, es soll nur ein Spiel.

F a u s t.
Wie?

M a r g a r e t h e.
Geht! Ihr lacht mich aus.
(Sie rupft und murmelt.)

F a u s t.
Was murmelst du?

M a r g a r e t h e (halblaut).
Er liebt mich - liebt mich nicht.

F a u s t.
Du holdes Himmels-Angesicht!

M a r g a r e t h e (fährt fort).

1640

Liebt mich - Nicht - Liebt mich - Nicht -
(Das letzte Blatt ausrupfend, mit holder Freude.)
Er liebt mich!

F a u s t.
Ja, mein Kind! Laß dieses Blumenwort
Dir Götter-Ausspruch seyn. Er liebt dich!
Verstehst du, was das heißt? Er liebt dich!
(Er faßt ihre beyde Hände.)

M a r g a r e t h e.
Mich überläuft's!

F a u s t.

1645

O schaudre nicht! Laß diesen Blick,
Laß diesen Händedruck dir sagen,
Was unaussprechlich ist:
Sich hinzugeben ganz und eine Wonne
Zu fühlen, die ewig seyn muß!

1650

Ewig! - Ihr Ende würde Verzweiflung seyn.
Nein, kein Ende! Kein Ende!

(Margarethe drückt ihm die Hände, macht sich los und läuft weg. Er steht einen Augenblick in Gedanken, dann folgt er ihr.)

M a r t h e (kommend).
Die Nacht bricht an.

M e p h i s t o p h e l e s.
Ja, und wir wollen fort.

M a r t h e.
Ich bäth' euch, länger hier zu bleiben,
Allein es ist ein gar zu böser Ort.

1655

Es ist als hätte niemand nichts zu treiben
Und nichts zu schaffen,
Als auf des Nachbarn Schritt und Tritt zu gaffen,
Und man kommt in's Gered', wie man sich immer stellt.
Und unser Pärchen?

M e p h i s t o p h e l e s.
Ist den Gang dort aufgeflogen.

1660

Muthwill'ge Sommervögel!

M a r t h e.
Er scheint ihr gewogen.

M e p h i s t o p h e l e s.
Und sie ihm auch. Das ist der Lauf der Welt.


E I N G A R T E N H Ä U S C H E N


Margarethe springt herein, steckt sich hinter die Thür, hält die Fingerspitze an die Lippen, und guckt durch die Ritze.

M a r g a r e t h e.
Er kommt!

F a u s t (kommt).
Ach Schelm, so neckst du mich!
Treff ich dich!
(Er küßt sie.)

M a r g a r e t h e (ihn fassend und den Kuß zurückgebend).
Bester Mann! Von Herzen lieb' ich dich!

(Mephistopheles klopft an.)

F a u s t (stampfend).
Wer da?

M e p h i s t o p h e l e s.
Gut Freund!

F a u s t.
Ein Thier!

M e p h i s t o p h e l e s.
Es ist wohl Zeit, zu scheiden.

M a r t h e.

1665

Ja, es ist spät, mein Herr.

F a u s t.
Darf ich euch nicht geleiten?

M a r g a r e t h e.
Die Mutter würde mich - Lebt wohl!

F a u s t.
Muß ich denn gehn?
Lebt wohl!

M a r t h e.
Ade!

M a r g a r e t h e.
Auf baldig Wiedersehn!

(Faust und Mephistopheles ab.)

M a r g a r e t h e.
Du lieber Gott! was so ein Mann
Nicht alles alles denken kann!

1670

Beschämt nur steh' ich vor ihm da,
Und sag' zu allen Sachen ja.
Bin doch ein arm unwissend Kind,
Begreife nicht was er an mir find't.
(ab.)

G R E T H C H E N S S T U B E


G r e t h c h e n.(am Spinnrade allein.)

Meine Ruh ist hin,

1675

Mein Herz ist schwer;
Ich finde sie nimmer
Und nimmermehr.

Wo ich ihn nicht hab',
Ist mir das Grab,

1680

Die ganze Welt
Ist mir vergällt.

Mein armer Kopf
Ist mir verrückt,
Mein armer Sinn

1685

Ist mir zerstückt.

Meine Ruh' ist hin,
Mein Herz ist schwer;
Ich finde sie nimmer
Und nimmermehr.

1690

Nach ihm nur schau' ich
Zum Fenster hinaus,
Nach ihm nur geh' ich
Aus dem Haus.

Sein hoher Gang,

1695

Sein' edle Gestalt,
Seines Mundes Lächeln,
Seiner Augen Gewalt,

Und seiner Rede
Zauberfluß,

1700

Sein Händedruck,
Und ach sein Kuß!

Meine Ruh' ist hin,
Mein Herz ist schwer,
Ich finde sie nimmer

1705

Und nimmermehr.

Mein Busen drängt
Sich nach ihm hin.
Ach dürft' ich fassen
Und halten ihn!

1710

Und küssen ihn,
So wie ich wollt,
An seinen Küssen
Vergehen sollt'!


M A R T H E N S G A R T E N


Margarethe. Faust.

M a r g a r e t h e.
Versprich mir, Heinrich!

F a u s t.
Was ich kann!

M a r g a r e t h e.

1715

Nun sag', wie hast du's mit der Religion?
Du bist ein herzlich guter Mann,
Allein ich glaub' du hältst nicht viel davon.

F a u s t.
Laß das, mein Kind! Du fühlst ich bin dir gut;
Für meine Lieben ließ' ich Leib und Blut,

1720

Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.

M a r g a r e t h e.
Das ist nicht recht, man muß dran glauben!

F a u s t.
Muß man?

M a r g a r e t h e.
Ach! wenn ich etwas auf dich könnte!
Du ehrst auch nicht die heil'gen Sacramente.

F a u s t.
Ich ehre sie.

M a r g a r e t h e.
Doch ohne Verlangen.

1725

Zur Messe, zur Beichte bist du lange nicht gegangen.
Glaubst du an Gott?

F a u s t.
Mein Liebchen, wer darf sagen,
Ich glaub' an Gott?
Magst Priester oder Weise fragen,
Und ihre Antwort scheint nur Spott

1730

Über den Frager zu seyn.

M a r g a r e t h e.
So glaubst du nicht?

F a u s t.
Mißhör' mich nicht, du holdes Angesicht!
Wer darf ihn nennen?
Und wer bekennen:
Ich glaub' ihn?

1735

Wer empfinden,
Und sich unterwinden
Zu sagen ich glaub' ihn nicht?
Der Allumfasser,
Der Allerhalter,

1740

Faßt und erhält er nicht
Dich, mich, sich selbst?
Wölbt sich der Himmel nicht dadroben?
Liegt die Erde nicht hierunten fest?
Und steigen freundlich blickend

1745

Ewige Sterne nicht herauf?
Schau' ich nicht Aug' in Auge dir,
Und drängt nicht alles
Nach Haupt und Herzen dir,
Und webt in ewigem Geheimniß

1750

Unsichtbar sichtbar neben dir?
Erfüll' davon dein Herz, so groß es ist,
Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,
Nenn es dann wie du willst,
Nenn's Glück! Herz! Liebe! Gott!

1755

Ich habe keinen Nahmen
Dafür! Gefühl ist alles;
Nahme ist Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsgluth.

M a r g a r e t h e.
Das ist alles recht schön und gut;

1760

Ungefähr sagt das der Pfarrer auch,
Nur mit ein Bißchen andern Worten.

F a u s t.
Es sagen's aller Orten
Alle Herzen unter dem himmlischen Tage,
Jedes in seiner Sprache;

1765

Warum nicht ich in der meinen?

M a r g a r e t h e.
Wenn man's so hört, möcht's leidlich scheinen,
Steht aber doch immer schief darum;
Denn du hast kein Christenthum.

F a u s t.
Lieb's Kind!

M a r g a r e t h e.
Es thut mir lang' schon weh,

1770

Daß ich dich in der Gesellschaft seh'.

F a u s t.
Wie so?

M a r g a r e t h e.
Der Mensch, den du da bey dir hast,
Ist mir in tiefer innrer Seele verhaßt:
Es hat mir in meinem Leben
So nichts einen Stich in's Herz gegeben,

1775

Als des Menschen widrig Gesicht.

F a u s t.
Liebe Puppe, fürcht' ihn nicht!

M a r g a r e t h e.
Seine Gegenwart bewegt mir das Blut.
Ich bin sonst allen Menschen gut;
Aber wie ich mich sehne dich zu schauen,

1780

Hab' ich vor dem Menschen ein heimlich Grauen,
Und halt' ihn für einen Schelm dazu!
Gott verzeih' mir's, wenn ich ihm Unrecht thu'!

F a u s t.
Es muß auch solche Käuze geben.

M a r g a r e t h e.
Wollte nicht mit seines gleichen leben!

1785

Kommt er einmal zur Thür herein,
Sieht er immer so spöttisch drein,
Und halb ergrimmt;
Man sieht, daß er an nichts keinen Antheil nimmt;
Es steht ihm an der Stirn' geschrieben,

1790

Daß er nicht mag eine Seele lieben.
Mir wird's so wohl in deinem Arm,
So frey, so hingegeben warm,
Und seine Gegenwart schnürt mir das Innre zu.

F a u s t.
Du ahndungsvoller Engel du!

M a r g a r e t h e.

1795

Das übermannt mich so sehr,
Daß, wo er nur mag zu uns treten,
Mein' ich sogar, ich liebte dich nicht mehr.
Auch, wenn er da ist, könnt' ich nimmer bethen,
Und das frißt mir in's Herz hinein;

1800

Dir, Heinrich, muß es auch so seyn.

F a u s t.
Du hast nun die Antipathie!

M a r g a r e t h e.
Ich muß nun fort.

F a u s t.
Ach kann ich nie
Ein Stündchen ruhig dir am Busen hängen,
Und Brust an Brust und Seel' in Seele drängen?

M a r g a r e t h e.

1805

Ach, wenn ich nur alleine schlief'!
Ich ließ' dir gern heut' Nacht den Riegel offen;
Doch meine Mutter schläft nicht tief,
Und würden wir von ihr betroffen,
Ich wär' gleich auf der Stelle todt!

F a u s t.

1810

Du Engel, das hat keine Noth.
Hier ist ein Fläschchen, drey Tropfen nur
In ihren Trank umhüllen
Mit tiefem Schlaf gefällig die Natur.

M a r g a r e t h e.
Was thu' ich nicht um deinetwillen?

1815

Es wird ihr hoffentlich nicht schaden!

F a u s t.
Würd' ich sonst, Liebchen, dir es rathen?

M a r g a r e t h e.
Seh' ich dich, bester Mann, nur an,
Weiß nicht was mich nach deinem Willen treibt;
Ich habe schon so viel für dich gethan,

1820

Daß mir zu thun fast nichts mehr übrig bleibt.
(ab.)

(Mephistopheles tritt auf.)

M e p h i s t o p h e l e s.
Der Grasaff'! ist er weg?

F a u s t.
Hast wieder spionirt?

M e p h i s t o p h e l e s.
Ich hab's ausführlich wohl vernommen,
Herr Doctor wurden da katechisirt;
Hoff' es soll Ihnen wohl bekommen.

1825

Die Mädels sind doch sehr interessirt,
Ob einer fromm und schlicht nach altem Brauch.
Sie denken, duckt er da, folgt er uns eben auch.

F a u s t.
Du, Ungeheuer, siehst nicht ein,
Wie diese treue liebe Seele

1830

Von ihrem Glauben voll,
Der ganz allein
Ihr seligmachend ist, sich heilig quäle,
Daß sie den liebsten Mann verloren halten soll.

M e p h i s t o p h e l e s.
Du übersinnlicher, sinnlicher Freier,

1835

Ein Mägdelein nasführet dich.

F a u s t.
Du Spottgeburt von Dreck und Feuer!

M e p h i s t o p h e l e s.
Und die Physiognomie versteht sie meisterlich;
In meiner Gegenwart wird's ihr sie weiß nicht wie,
Mein Mäskchen da weissagt verborgnen Sinn;

1840

Sie fühlt, daß ich ganz sicher ein Genie,
Vielleicht wohl gar der Teufel bin.
Nun heute Nacht -?

F a u s t.
Was geht dich's an?

M e p h i s t o p h e l e s.
Hab' ich doch meine Freude dran!

A M B R U N N E N


Grethchen und Lieschen mit Krügen.

L i e s c h e n.
Hast nichts von Bärbelchen gehört?

G r e t h c h e n.

1845

Kein Wort. Ich komm' gar wenig unter Leute.

L i e s c h e n.
Gewiß, Sibylle sagt' mir's heute!
Die hat sich endlich auch bethört.
Das ist das Vornehmthun!

G r e t h c h e n.
Wie so?

L i e s c h e n.
Es stinkt!

1850

Sie füttert zwey, wenn sie nun ißt und trinkt.

G r e t h c h e n.
Ach!

L i e s c h e n.
So ist's ihr endlich recht ergangen.
Wie lange hat sie an dem Kerl gehangen!
Das war ein Spazieren,
Auf Dorf und Tanzplatz führen,

1855

Mußt' überall die erste seyn,
Curtesirt' ihr immer mit Pastetchen und Wein;
Bild't' sich was auf ihre Schönheit ein,
War doch so ehrlos sich nicht zu schämen,
Geschenke von ihm anzunehmen.

1860

War ein Gekos' und ein Geschleck';
Da ist denn auch das Blümchen weg!

G r e t h c h e n.
Das arme Ding!

L i e s c h e n.
Bedauerst sie noch gar!
Wenn unser eins am Spinnen war,
Uns Nachts die Mutter nicht hinunter ließ,

1865

Stand sie bey ihrem Buhlen süß,
Auf der Thürbank und im dunkeln Gang
Ward ihnen keine Stunde zu lang'.
Da mag sie denn sich ducken nun,
Im Sünderhemdchen Kirchbuß' thun!

G r e t h c h e n.

1870

Er nimmt sie gewiß zu seiner Frau.

L i e s c h e n.
Er wär' ein Narr! Ein flinker Jung'
Hat anderwärts noch Luft genung.
Er ist auch fort.

G r e t h c h e n.
Das ist nicht schön!

L i e s c h e n.
Kriegt sie ihn, soll's ihr übel gehn.

1875

Das Kränzel reißen die Buben ihr,
Und Häckerling streuen wir vor die Thür!
(ab.)

G r e t h c h e n(nach Hause gehend).
Wie konnt' ich sonst so tapfer schmälen,
Sah ich ein armes Mägdlein fehlen!
Wie konnt' ich über andrer Sünden

1880

Nicht Worte g'nug der Zunge finden!
Wie schien mir's schwarz, und schwärzt's noch gar,
Mir's immer doch nicht schwarz g'nug war,
Und segnet' mich und that so groß,
Und bin nun selbst der Sünde bloß!

1885

Doch - alles, was dazu mich trieb,
Gott! war so gut! ach war so lieb!

W A L D U N D H Ö H L E


F a u s t (allein.)
Erhabner Geist, du gabst mir, gabst mir alles,
Warum ich bath. Du hast mir nicht umsonst
Dein Angesicht im Feuer zugewendet.

1890

Gabst mir die herrliche Natur zum Königreich,
Kraft sie zu fühlen, zu genießen. Nicht
Kalt staunenden Besuch erlaubst du nur,
Vergönnest mir in ihre tiefe Brust,
Wie in den Busen eines Freunds, zu schauen.

1895

Du führst die Reihe der Lebendigen
Vor mir vorbey, und lehrst mich meine Brüder
Im stillen Busch, in Luft und Wasser kennen.
Und wenn der Sturm im Walde braus't und knarrt,
Die Riesenfichte, stürzend, Nachbaräste

1900

Und Nachbarstämme, quetschend, nieder streift,
Und ihrem Fall dumpf hohl der Hügel donnert;
Dann führst du mich zur sichern Höhle, zeigst
Mich dann mir selbst, und meiner eignen Brust
Geheime tiefe Wunder öffnen sich:

1905

Und steigt vor meinem Blick der reine Mond
Besänftigend herüber, schweben mir
Von Felsenwänden, aus dem feuchten Busch
Der Vorwelt silberne Gestalten auf
Und lindern der Betrachtung strenge Lust.

1910

O daß dem Menschen nichts vollkommnes wird,
Empfind' ich nun. Du gabst zu dieser Wonne,
Die mich den Göttern nah' und näher bringt,
Mir den Gefährten, den ich schon nicht mehr
Entbehren kann, wenn er gleich, kalt und frech,

1915

Mich vor mir selbst erniedrigt, und zu Nichts,
Mit einem Worthauch, deine Gaben wandelt.
Er facht in meiner Brust ein wildes Feuer
Nach jenem schönen Bild geschäftig an.
So tauml' ich von Begierde zu Genuß,

1920

Und im Genuß verschmacht' ich nach Begierde.

(Mephistopheles tritt auf.)

M e p h i s t o p h e l e s.
Habt ihr nun bald das Leben g'nug geführt?
Wie kann's euch in die Länge freuen?
Es ist wohl gut, daß man's einmal probirt;
Dann aber wieder zu was neuen.

F a u s t.

1925

Ich wollt', du hättest mehr zu thun,
Als mich am guten Tag zu plagen.

M e p h i s t o p h e l e s.
Nun, nun! ich lass' dich gerne ruhn,
Du darfst mir's nicht im Ernste sagen.
An dir Gesellen, unhold, barsch und toll,

1930

Ist wahrlich wenig zu verlieren.
Den ganzen Tag hat man die Hände voll!
Was ihm gefällt und was man lassen soll,
Kann man dem Herrn nie an der Nase spüren.

F a u s t.
Das ist so just der rechte Ton!

1935

Er will noch Dank, daß er mich ennüyirt.

M e p h i s t o p h e l e s.
Wie hätt'st du, armer Erdensohn,
Dein Leben ohne mich geführt?
Vom Kribskrabs der Imagination
Hab' ich dich doch auf Zeiten lang curirt;

1940

Und wär' ich nicht, so wär'st du schon
Von diesem Erdball abspaziert.
Was hast du da in Höhlen, Felsenritzen
Dich wie ein Schuhu zu versitzen?
Was schlurfst aus dumpfem Moos und triefendem Gestein,

1945

Wie eine Kröte, Nahrung ein?
Ein schöner, süßer Zeitvertreib!
Dir steckt der Doctor noch im Leib.

F a u s t.
Verstehst du, was für neue Lebenskraft
Mir dieser Wandel in der Öde schafft?

1950

Ja würdest du es ahnden können,
Du wärest Teufel g'nug, mein Glück mir nicht zu gönnen.

M e p h i s t o p h e l e s.
Ein überirdisches Vergnügen!
In Nacht und Thau auf den Gebirgen liegen,
Und Erd und Himmel wonniglich umfassen,

1955

Zu einer Gottheit sich aufschwellen lassen,
Der Erde Mark mit Ahndungsdrang durchwühlen,
Alle sechs Tagewerk' im Busen fühlen,
In stolzer Kraft ich weiß nicht was genießen,
Bald liebewonniglich in alles überfließen,

1960

Verschwunden ganz der Erdensohn,
Und dann die hohe Intuition - (mit einer Geberde.)
Ich darf nicht sagen, wie - zu schließen.

F a u s t.
Pfuy über dich!

M e p h i s t o p h e l e s.
Das will euch nicht behagen
Ihr habt das Recht, gesittet pfuy zu sagen.

1965

Man darf das nicht vor keuschen Ohren nennen,
Was keusche Herzen nicht entbehren können.
Und kurz und gut, ich gönn' Ihm das Vergnügen,
Gelegentlich sich etwas vorzulügen;
Doch lange hält Er das nicht aus.

1970

Du bist schon wieder abgetrieben,
Und, währt es länger, aufgerieben
In Tollheit oder Angst und Graus.
Genug damit! Dein Liebchen sitzt dadrinne,
Und alles wird ihr eng' und trüb'.

1975

Du kommst ihr gar nicht aus dem Sinne,
Sie hat dich übermächtig lieb.
Erst kam deine Liebeswuth übergeflossen,
Wie vom geschmolznen Schnee ein Bächlein übersteigt;
Du hast sie ihr in's Herz gegossen,

1980

Nun ist dein Bächlein wieder seicht.
Mich dünkt, anstatt in Wäldern zu thronen,
Ließ' es dem großen Herren gut,
Das arme affenjunge Blut
Für seine Liebe zu belohnen.

1985

Die Zeit wird ihr erbärmlich lang;
Sie steht am Fenster, sieht die Wolken ziehn
Über die alte Stadtmauer hin.
«Wenn ich ein Vöglein wär!» so geht ihr Gesang
Taglang, halbe Nächte lang.

1990

Einmal ist sie munter, meist betrübt,
Einmal recht ausgeweint,
Dann wieder ruhig, wie's scheint,
Und immer verliebt.

F a u s t.
Schlange! Schlange!

M e p h i s t o p h e l e s (für sich).

1995

Gelt! daß ich dich fange!

F a u s t.
Verruchter! hebe dich von hinnen,
Und nenne nicht das schöne Weib!
Bring die Begier zu ihrem süßen Leib
Nicht wieder vor die halb verrückten Sinnen!

M e p h i s t o p h e l e s.

2000

Was soll es denn? Sie meint, du sey'st entflohn,
Und halb und halb bist du es schon.

F a u s t.
Ich bin ihr nah', und wär' ich noch so fern,
Ich kann sie nie vergessen und verlieren;
Ja, ich beneide schon den Leib des Herrn,

2005

Wenn ihre Lippen ihn indess' berühren.

M e p h i s t o p h e l e s.
Gar wohl, mein Freund! Ich hab' euch oft beneidet
Um's Zwillingspaar, das unter Rosen weidet.

F a u s t.
Entfliehe, Kuppler!

M e p h i s t o p h e l e s.
Schön! Ihr schimpft, und ich muß lachen.
Der Gott, der Bub' und Mädchen schuf,

2010

Erkannte gleich den edelsten Beruf,
Auch selbst Gelegenheit zu machen.
Nur fort, es ist ein großer Jammer!
Ihr sollt in eures Liebchens Kammer,
Nicht etwa in den Tod.

F a u s t.

2015

Was ist die Himmelsfreud' in ihren Armen?
Laß mich an ihrer Brust erwarmen!
Fühl' ich nicht immer ihre Noth?
Bin ich der Flüchtling nicht, der Unbehaus'te?
Der Unmensch ohne Zweck und Ruh',

2020

Der wie ein Wassersturz von Fels zu Felsen braus'te,
Begierig wüthend, nach dem Abgrund zu?
Und seitwärts sie, mit kindlich dumpfen Sinnen,
Im Hüttchen auf dem kleinen Alpenfeld,
Und all ihr häusliches Beginnen

2025

Umfangen in der kleinen Welt.
Und ich, der Gottverhaßte,
Hatte nicht genug,
Daß ich die Felsen faßte
Und sie zu Trümmern schlug!

2030

Sie, ihren Frieden mußt' ich untergraben!
Du, Hölle, mußtest dieses Opfer haben!
Hilf, Teufel, mir die Zeit der Angst verkürzen!
Was muß geschehn, mag's gleich geschehn!
Mag ihr Geschick auf mich zusammenstürzen

2035

Und sie mit mir zu Grunde gehn!

M e p h i s t o p h e l e s.
Wie's wieder siedet, wieder glüht!
Geh ein und tröste sie, du Thor!
Wo so ein Köpfchen keinen Ausgang sieht,
Stellt er sich gleich das Ende vor.

2040

Es lebe wer sich tapfer hält!
Du bist doch sonst so ziemlich eingeteufelt.
Nichts abgeschmackters find' ich auf der Welt
Als einen Teufel der verzweifelt.

Z W I N G E R


In der Mauerhöhle ein Andachtsbild
der Mater dolorosa, Blumenkrüge davor.


G r e t h c h e n (steckt frische Blumen in die Krüge).

Ach neige,

2045

Du Schmerzenreiche,
Dein Antlitz gnädig meiner Noth!

Das Schwert im Herzen,
Mit tausend Schmerzen
Blickst auf zu deines Sohnes Tod.

2050

Zum Vater blickst du,
Und Seufzer schickst du
Hinauf um sein' und deine Noth.

Wer fühlet,
Wie wühlet

2055

Der Schmerz mir im Gebein?
Was mein armes Herz hier banget,
Was es zittert, was verlanget,
Weißt nur du, nur du allein!

Wohin ich immer gehe,

2060

Wie weh, wie weh, wie wehe
Wird mir im Busen hier!
Ich bin ach kaum alleine,
Ich wein', ich wein, ich weine,
Das Herz zerbricht in mir.

2065

Die Scherben vor meinem Fenster
Bethaut' ich mit Thränen, ach!
Als ich am frühen Morgen
Dir diese Blumen brach.

Schien hell in meine Kammer

2070

Die Sonne früh herauf,
Saß ich in allem Jammer
In meinem Bett schon auf.

Hilf! rette mich von Schmach und Tod!
Ach neige,

2075

Du Schmerzenreiche,
Dein Antlitz gnädig meiner Noth!

D O M


Amt, Orgel und Gesang
Grethchen unter vielem Volke.
Böser Geist hinter Grethchen.


B ö s e r G e i s t.
Wie anders, Grethchen, war dir's,
Als du noch voll Unschuld
Hier zum Altar trat'st,

2080

Aus dem vergriffnen Büchelchen
Gebethe lalltest,
Halb Kinderspiele,
Halb Gott im Herzen.
Grethchen!

2085

Wo steht dein Kopf?
In deinem Herzen
Welche Missethat?
Beth'st du für deiner Mutter Seele, die
Durch dich zur langen, langen Pein hinüberschlief?

2090

- Und unter deinem Herzen
Regt sich's nicht quillend schon,
Und ängstet dich und sich
Mit ahndungsvoller Gegenwart?

G r e t h c h e n.
Weh! Weh!

2095

Wär' ich der Gedanken los,
Die mir herüber und hinüber gehen
Wider mich!

C h o r.
Dies irae dies illa
Solvet Saeclum in favilla.

(Orgelton.)

B ö s e r G e i s t.

2100

Grimm faßt dich!
Die Posaune tönt!
Die Gräber beben!
Und dein Herz,
Aus Aschenruh'

2105

Zu Flammenqualen
Wieder aufgeschaffen,
Bebt auf!

G r e t h c h e n.
Wär' ich hier weg!
Mir ist als ob die Orgel mir

2110

Den Athem versetzte,
Gesang mein Herz
Im tiefsten lös'te.

C h o r.
Judex ergo cum sedebit,
Quidquid latet adparebit,

2115

Nil inultum remanebit.

G r e t h c h e n.
Mir wird so eng'!
Die Mauern-Pfeiler
Befangen mich!
Das Gewölbe

2120

Drängt mich! - Luft!

B ö s e r G e i s t.
Verbirg dich! Sünd' und Schande
Bleibt nicht verborgen.
Luft? Licht?
Weh dir!

C h o r.

2125

Quid sum miser tunc dicturus?
Quem patronum rogaturus?
Cum vix justus sit securus.

B ö s e r G e i s t.
Ihr Antlitz wenden
Verklärte von dir ab.

2130

Die Hände dir zu reichen,
Schauert's den Reinen.
Weh!

C h o r.
Quid sum miser tunc dicturus?

G r e t h c h e n.
Nachbarinn! Euer Fläschchen! -

(Sie fällt in Ohnmacht.)