Johann Gottfried Herder

*25. August 1744 Mohrungen (Ostpreußen)
+18. Dezember 1803 Weimar Grabstätte: Stadtkirche zu Weimar
Drittes Kind des Glöckners, Kantors und Mädchenschullehrers Gottfried Herder und seiner zweiten Frau Anna Elisabeth, geb. Peltz. Wächst in "einer dunklen, aber nicht dürftigen Mittelmäßigkeit" auf. Enge pietistische Atmosphäre des Elternhauses. Frühreife Anlagen. Besuch der Lateinschule in Mohrungen.
1773 Heirat mit Caroline Flachsland (frühverwaiste Tochter eines Württembergischen Amtsschaffners). Kinder: Gottfried (*1774), August (*1776), Wilhelm (*1778), Adalbert (*1779), Luise (*1781), Emil (*1783), Alfred (*1787), Rinaldo (*1790)
H. gehört mit Hamann und Kant zu den drei großen Ostpreußen des 18. Jh.s. Umfangreiches Gesamtwerk als Geschichts- und Sprachphilosoph, Kunsttheoretiker, Theologe, Literaturkritiker, Übersetzer und Nachdichter. Die eigene dichterische Produktion (verstreut veröffentlichte Gedichte) tritt dahinter zurück.
1770 in Straßburg Begegnung mit dem jungen Goethe, dessen entscheidender Lehrer er wird: eigentlicher Beginn des "Sturm und Drang". Forderung nach "originaler" und nationaler Kunst, die sich aus der Volkspoesie speist (1773 Programmschrift "Von deutscher Art und Kunst"). Volk als lebendiger Organismus: Literatur entwickelt sich aus Lebensumständen und Entwicklungsstand eines Volkes und offenbart so auch den jeweiligen Volkscharakter. Für Volkspoesie, gegen Bildungsdichtung: Poesie als allgemeine Welt- und Völkergabe. Begriff "Volkslied" von H. geprägt. Einfluss auf die Romantiker ("Des Knaben Wunderhorn", Brüder Grimm).
Sprachphilosophie ("Abhandlung über den Ursprung der Sprache"): Sprache ist nicht göttlichen, sondern menschlichen Ursprungs. Voraussetzung aller kulturellen Leistungen.
Philosophisches Hauptwerk: "Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit". In der Geschichte offenbaren sich allgemeine und ewige Gesetzmäßigkeiten. Erstmals Entwicklungs- und Fortschrittsgedanken; Vorbereitung der dialektischen Philosophie Hegels.
"Briefe zu Beförderung der Humanität" (1793ff.): In der Idee der Humanität liegt die höchste Bestimmung des Menschen (harmonische Ausbildung aller im Menschen angelegten Kräfte; Einfluss auf die deutsche Klassik, den deutschen Bildungsroman).
Wirkungsgeschichte: Einfluss auf Volkskunde, Sprachwissenschaft, Anthropologie, Theologie, Kulturphilosophie, Pädagogik, Literaturwissenschaft, Geschichtsphilosophie bis ins 19. Jh. hinein. Man hat H. als den "vielleicht größten Anreger und Beweger in der Geschichte des deutschen Geistes" bezeichnet (Benno von Wiese, 1939).
wichtige Lebensdaten:
1760 Kopistendienste beim Diakon der Mohrungener Stadtkirche Trescho gegen freie Unterkunft; autodidaktische Studien in der Pfarrbibliothek.
1762 Auf Vermittlung des russischen Militärarztes Schwartz-Erla nach Königsberg; Einschreibung an der Universität als Student der Theologie; Schüler Kants; Freundschaft mit Hamann, der ihm englischen und italienischen Sprachunterricht erteilt, und seinem künftigen Verleger Johann Friedrich Hartknoch.
Seinen Lebensunterhalt verdient H. als Hilfslehrer am Collegium Fredericianum.
1764 Auf Empfehlung Hamanns Kollaborator (Aushilfslehrer) an der Domschule in Riga (u.a. Naturkunde, Geschichte, Deutsch).
1765 Theologisches Examen; Prediger an der Domkirche; feste Anstellung als Lehrer. Beiträge in den Rigaischen Anzeigen und der Königsbergischen Zeitung.
1769 Seereise nach Frankreich; vier Monate in Nantes, anschließend Paris (Bekanntschaft mit Diderot); im Dez. Rückreise über Brüssel, Antwerpen nach Den Haag.
1770 Über Leyden, Amsterdam nach Hamburg; Besuche bei Lessing und Claudius. Abreise nach Eutin: Erzieher beim Erbprinzen von Holstein-Gottorp. Juli: Beginn der Bildungsreise; in Darmstadt erste Begegnung mit Caroline Flachsland. August: Verlobung. Sept.: in Straßburg Trennung vom fürstlichen Reisegesellschaft, um ein Augenleiden (Tränenfistel) behandeln zu lassen; die Operation misslingt. Bekanntschaft mit Goethe.
1771 April: Hofprediger und Konsistorialrat beim Grafen von Schaumburg-Lippe in Bückeburg. Gewinn der Preisaufgabe der Berliner Akademie der Wissenschaften mit der Abhandlung über den Ursprung der Sprache; zwei Jahre Mitarbeit an Friedrich Nicolais Allgemeiner Deutscher Bibliothek; Freundschaft mit der Gräfin Maria (+1776).
1772 Febr.: Besuch bei dem Altphilologen Christian Gottlob Heyne in Göttingen; Kuraufenthalt in Pyrmont im Sommer; theologische und geschichtsphilosophische Studien.
1775 Superintendent in Bückeburg; Reise nach Darmstadt und Pyrmont (Gleim).
1776 Sommer: Kur in Pyrmont. Auf Anregung Wielands und Vermittlung Goethes Ernennung zum Generalsuperintendenten, Oberkonsistorialrat und Hofprediger in Weimar; 1. Okt.: Ankunft in Weimar und Antrittspredigt in der Stadtkirche.
1777 Sommer: Kur in Pyrmont. Konflikt mit Goethe anlässlich der Einführung ins Konsistorium.
1779 Preisschrift Über den Einfluß der Schönen Literatur in den höheren Wissenschaften. Spannungen im Verhältnis zu Goethe: H. sieht seine politische und schulpolitische Arbeit nicht genügend gewürdigt.
1780 Die Abhandlung Vom Einfluß der Regierungen auf die Wissenschaften und der Wissenschaften auf die Regierung wird von der Berliner Akademie der Wissenschaften preisgekrönt. Freundschaft mit Johann Georg Müller; Streit mit Nicolai.
1781 Die Abhandlung Über die Wirkung der Dichtkunst auf die Sitten der Völker in alten und neuen Zeiten wird von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften preisgekrönt.
1783 Beginn der Freundschaft mit Sophie von Schardt. Reise nach Halberstadt (Gleim) und Hamburg (Klopstock); Begegnung mit Matthias Claudius in Wandsbek. Wieder Annäherung an Goethe,
1784 Besuch von Claudius und Friedrich Heinrich Jacobi in Weimar.
1785 Maßgeblicher Anteil Herders an der Schulreform in Weimar. Bekanntschaft mit Georg Forster. Aufenthalt in Karlsbad.
1786 Reise nach Karlsbad.
1787 Ehrenmitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften.
1788-89 Aug.-Juni: Italienreise zusammen mit dem Trierer Domherrn Friedrich von Dalberg: über Verona und Rom (Freundschaft mit Angelika Kauffmann) und in Gesellschaft der Herzoginmutter Anna Amalia von Sachsen-Weimar weiter nach Neapel.
1789 Rückreise über Florenz und Venedig. Ernennung zum Vizepräsidenten des Oberkonsistoriums. Besuch beim Prinzen August von Gotha. Zunächst positives Urteil über die Französische Revolution (später Enttäuschung).
1790 Wiederholte Krankheiten. Arbeitsüberlastung.
1791 Reise nach Karlsbad.
1792 Badekur in Aachen. Besuch bei Jacobi in Pempelfort
1794 Besuch bei Gleim in Halberstadt.
1795 Beiträge für Schillers Zeitschrift Die Horen.
1796 Weitere Beiträge in den Horen und im Musenalmanach Schillers. Beginn der Freundschaft mit Jean Paul.
1798 Treffen mit Jean Paul in Jena. Okt.: Umzug Jean Pauls nach Weimar; enger Kontakt.
1801 Ernennung zum Präsidenten des Oberkonsistoriums. Herders Zeitschrift Adrastea beginnt zu erscheinen (bis 1803, 6 Bde.). Okt.: Erhebung in den Adelsstand durch den Kurfürsten Maximilian IV. Joseph von Bayern.
1802 Reise nach Aachen. Rückreise über Frankfurt, Nürnberg, Regensburg.
1803 Krankheit. Kuraufenthalte in Eger und Franzensbad. Aug.: Reise nach Dresden.
Werke:
Tagebuch
1846 (1769 e) Journal meiner Reise im Jahre 1769
Übertragung/Bearbeitung
1803 Der Cid (Romanzen 1-22; vollst. 1805; Romanzen über den span. Nationalhelden)
Sammlung von "Volksliedern"
1778 Lieder der Liebe. Die ältesten und schönsten aus dem Morgenlande. Nebst 44 alten Minneliedern
1778-79 Volkslieder (2 Bde.; 1807 Neuausgabe u.d.T. Stimmen der Völker in Liedern; u.a. "Edward" [II 5], "Röschen auf der Heide" [II, 23]; "Erlkönigs Tochter" [II 27]
sprachphilosophische Schrift
1772 (1770 e) Abhandlung über den Ursprung der Sprache
geschichtsphilosophische Schriften
1774 Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit
1784-91 Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (4 Bde.; 1784 [1] 1785 [2], 1787 [3], 1791 [4]; Vorstellung von einem Prozess der stufenweisen Höherentwicklung der Menschheit)
Schriften, Aufsätze zur Literatur, Kunst, Religionsgeschichte, Philosophie und Theologie
1766-67 Über die neuere deutsche Literatur. Fragmente (3 Bde.: 1766 [1,2], 1767 [3]; gegen die Nachahmung fremder Literatur)
1768 Über Thomas Abbts Schriften
1778 (1768-70 e) Plastik. Einige Wahrnehmungen über Form und Gestalt aus Pygmalions bildendem Traume
1769 Kritische Wälder oder Betrachtungen, die Wissenschaft und Kunst des Schönen betreffend (3 Bde.)
1769 Studien und Entwürfe zur Plastik
1773 Auszug aus einem Briefwechsel über Ossian und die Lieder alter Völker; Shakespeare (in: Von deutscher Art und Kunst, einige fliegende Blätter)
1774 Wie die Alten den Tod gebildet / An Prediger, fünfzehn Provinzialblätter
1774-76 Älteste Urkunde des Menschengeschlechts (2 Bde.; Schöpfungsgeschichte als literarischer Mythos)
1775 Ursachen des gesunkenen Geschmacks bei den verschiedenen Völkern, da er geblühet / Erläuterungen zum Neuen Testament / Briefe zweener Jünger Jesu
1777 Von der Ähnlichkeit der mittleren englischen und deutschen Dichtkunst
1882 (1781 gek.; 1777 e) Denkmal Johann Winckelmanns
1814 (1777 e) Über die dem Menschen angeborene Lüge
1778 Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele (frühere Fassungen 1774, 1775)
1779 Über den Einfluß der schönen Literatur in den höheren Wissenschaften
1780 Vom Einfluß der Regierungen auf die Wissenschaften und der Wissenschaften auf die Regierung
1781 Über die Wirkung der Dichtkunst auf die Sitten der Völker in alten und neuen Zeiten / Über die Seelenwandrung. Drei Gespräche / Lessing
1782-83 Vom Geist der Ebräischen Poesie (2 Bde.; Untersuchung der Bibel unter literaturhistorischen Aspekten)
1787 Gott, einige Gespräche (über Spinoza)
1803 (1788 e) Idee zum ersten patriotischen Institut für den Allgemeingeist Deutschlands
1792 Tithon und Aurora / Spruch und Bild, insonderheit bei den Morgenländern
1795-96 Terpsichore (3 Bde.; 1795 [1,2], 1796 [3])
1796 Iduna oder der Apfel der Verjüngung
1799 Verstand und Erfahrung. Eine Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft. - Vernunft und Sprache. Eine Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft (2 Bde.; Kritik an Kants Transzendentalphilosophie)
1800 Kalligone. Vom Angenehmen und vom Schönen (3 Bde.; gegen Kants Ästhetik)
1802 Preußische Krone
1846 Viertes kritisches Wäldchen
1960 Zum Sinn des Gefühls
Sammlungen
1780-81 Briefe, das Studium der Theologie betreffend (4 Bde.)
1784-97 Zerstreute Blätter (6 Sammlungen: 1784 [1], 1786 [2], 1787 [3], 1792 [4], 1793 [5], 1797 [6])
1793-97 Briefe zu Beförderung der Humanität (10 Sammlungen: 1793 [1, 2], 1794 [3, 4], 1795 [5, 6], 1796 [7, 8], 1797 [9, 10])
1794-98 Christliche Schriften (5 Sammlungen: 1794 [1], 1796 [2], 1797 [3], 1798 [4, 5])
1801-03 Adrastea (Miszellen-Sammlung, 6 Bde.: 1801 [1, 2], 1802 [3, 4], 1803 [5, 6])
Werkausgaben
1805-1820 Sämtliche Werke, Tübingen (45 Bde.)
1827-1830 Sämtliche Werke, Stuttgart/Tübingen (60 Bde.)
1877-1913 Herders sämmtliche Werke, hg. v. Bernhard Suphan, Berlin (33 Bde.) (Neudruck Hildesheim 1967/68)
1908 Werke, hg. v. E. Naumann, Berlin/Leipzig/Wien/Stuttgart (15 Bde.)
1953 Werke, hg. v. K.-G. Gerold, München (2 Bde.)
1957 Werke. Ausgewählt und eingeleitet v. Wilhelm Dobbek, Weimar (5 Bde.)
1984ff. Werke. Hg. v. Wolfgang Proß, München/Wien
1985ff. Werke. Dt. Klassiker-Verlag, Frankfurt a.M.