Jacob Michael Reinhold Lenz

*23. Januar 1751 Seßwegen (Cesvaine) in Livland
+3./4. Juni 1792 Moskau
Viertes Kind des deutschstämmigen Pfarrers und späteren Generalsuperintendenten Christian David Lenz und seiner Frau Dorothea, geb. Neoknapp; lebensuntüchtig, gesellschaftlich versagend, hysterisch liebend, unausgeglichen, exzentrisch; verliebt sich in der Straßburger Zeit nacheinander in Goethes ehemalige Freundin Friederike Brion, in Cleophe Fibich (die Freundin des älteren von Kleist), in Goethes Schwester Cornelia und die ebenso unerreichbare Adlige Henriette Waldner. Ab 1777 Anfälle geistiger Umnachtung.
"Nur ein vorübergehendes Meteor" (Goethe). "Er starb, von wenigen betrauert und von keinem vermißt" (einziger Nachruf in der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung, 1792). Im 20. Jahrhundert, wesentlich durch Büchners Novelle "Lenz" (1835 e), wiederentdeckt: Identifikationsfigur, an der sich die Identitätskrise des modernen Ich festmacht.
Begabtester unter den Stürmern und Drängern.
wichtige Lebensdaten:
1759 Übersiedlung der Familie nach Dorpat; Lateinschule
1768 Theologiestudium an der Universität Königsberg; Vorlesungen Kants regen zum Studium der Schriften Rousseaus an
1771 Abbruch des Studiums; als "Mentor" Reise mit den Baronen Friedrich Georg und Ernst Nikolaus von Kleist nach Straßburg, wo die Kleist-Brüder ihren Militärdienst antreten; Bekanntschaft mit Goethe, Wagner und Jung-Stilling
1772 Aufenthalte in den Garnisonen Landau, Fort Louis und Weißenburg; heftige Neigung zu Friederike Brion
1774 verlässt wegen Cleophe Fibich die Kleists; freier Schriftsteller, Lebenunterhalt durch Privatunterricht. Kontakte zum Schweizer Theologen und Philosophen Johann Kaspar Lavater
1775 freundschaftlicher Kontakt mit Goethe; Freundschaft mit Goethes Schwager Schlosser; Liebe zu dessen Frau Cornelia
1776 März: L. folgt Goethe über Mannheim und Frankfurt nach Weimar; Bekanntschaft mit Maler Müller, Herder, Klinger und Charlotte von Stein; Nov.: Lenz fällt gesellschaftlich aus der Rolle; Ausweisung aufgrund einer vertuschten Affäre um ein Spottgedicht (Goethe: Lenzens Eseley); zu Schlosser nach Emmendingen
1777 unstetes Leben: u.a. in Basel, Zürich (Lavater), Emmendingen (Schlosser), Winterthur, am Bodensee; Juni: Tod Cornelias; erste Anzeichen von Verwirrtheit
1778 Aufenthalt beim Pfarrer Oberlin in Waldersbach/Vogesen; bei Schlosser in Emmendingen; schwere Anfälle von Raserei; Selbstmordversuche; Tod der Mutter; Unterbringung in Hertingen bei Basel
1779 L. wird von seinem jüngsten Bruder Karl Heinrich Gottlob abgeholt; zu Fuß nach Riga; Vater weist ihn ab
1780 Gesundheitszustand bessert sich; Versuch, in Estland und St. Petersburg als Hofmeister zu arbeiten, scheitert; will Soldat zu werden
1781 Lenz zieht nach Moskau; zeitweilig Erzieher in einer Pensionsanstalt; Unterstützung durch Freunde; Anzeichen geistiger Verwirrung nehmen wieder zu; trotzdem weitere literarische Tätigkeit; Übersetzungen aus dem Russischen
1787 Freundschaft mit Nikolaj M. Karamsin; zunehmende Geisteskrankheit
1792 L. stirbt nachts auf einer Moskauer Straße
Werke: (e = entstanden; a = Uraufführung)
Dramen
1774 (1772 e; 1778 a Hamburg) Der Hofmeister oder Vortheile der Privaterziehung (sozialkrit. Tragikomödie)
1774 (1773 e; 1963 a Frankfurt a. M.) Der neue Menoza. Oder Geschichte des cumbanischen Prinzen Tandi (Komödie)
1776 (1775 e) Die Soldaten (Komödie)
1776 (1775 e) Die Freunde machen den Philosophen (Lustspiel)
1777 (1776 e) Der Engländer. Eine dramatische Phantasey
1819 (1775 e) Pandaemonium Germanicum. Eine Skizze (Satire)
Bearbeitungen
1774 (1773 e) Lustspiele nach dem Plautus fürs deutsche Theater:
Das Väterchen (Asinaria)
Die Aussteuer (Aulularia)
Die Entführungen (Miles gloriosus)
Die Buhlschwester (Turculentus)
Die Türkensklavin (Curculio)
Romanfragment/Erzählungen
1776 (1775 e) Zerbin oder die neuere Philosophie / Der Landprediger
1797 Der Waldbruder (Briefroman; Frgm.)
Gedichte/Epos
1769 Die Landplagen (in 1500 Hexametern)
1891 Gedichte von J.M.R. Lenz
Schriften
1774 Anmerkungen übers Theater nebst angehängtem übersetzten Stück Shakespeare
1775 Meynungen eines Layen den Geistlichen zugeeignet. Stimmen des Layen (antirationalistische Abhandlung)
1775 e Tagebuch der Leidenschaft für Cleophe Fiebich
1775 e Moralische Bekehrung eines Philosophen (Tagebuch der Liebe zu Cornelia)
1780 Philosophische Vorlesungen für empfindsame Seelen
Ausgaben
1909-1913 Gesammelte Schriften, hg. v. Franz Blei, München/Leipzig (3 Bde.)
1918 Briefe von und an J. M. R. Lenz, hg. v. Karl Freye u. Wolfgang Stammler, Leipzig (2 Bde.)
1987 Werke und Briefe, hg. v. Sigrid Damm, Leipzig/München/Wien (3 Bde.)