6. Die Epoche der deutschen Klassik
(1786-1832)
In jeder Nationalliteratur gibt es eine Phase, die wegen ihrer besonders reichen
Entfaltung, ihrer Dichte an Werken von hohem künstlerischem Rang, ihrer
Wirkung auf spätere Epochen und ihrer internationalen Bedeutung als die
Klassik angesehen wird. Diese Blütezeiten sind in jedem Land chronologisch
anders situiert: Was für Spanien das Siglo de Oro (1500-1680), ist für
England das elisabethanische Zeitalter, und während die französische
Klassik von Corneille bis Racine angesiedelt wird, reicht sie in Italien von
Dante bis Tasso. Auffallend weicht hier das deutsche Pendant ab, das nicht nur
einen deutlich späteren, sondern vor allem einen wesentlich kürzeren
Zeitraum bezeichnet: von Goethes Italienreise 1786-1788 bis zu Schillers Tod
1805. Hinzu kommt, daß die beiden Genannten die mehr oder weniger ausschließlichen
Vertreter der Klassik sind, der höchstens noch Wilhelm von Humboldt und
- mit seiner theoretischen Schrift Von der bildenden Nachahmung des Schönen
(1788) - Karl Philipp Moritz zugeschlagen werden, während gleichzeitige
Werke anderer Autoren wie Hölderlin oder Jean Paul, Wieland oder Kleist
von der Literaturgeschichtsschreibung nicht der Klassik zugeordnet werden.
Wie läßt sich diese Besonderheit erklären? Wenn überhaupt,
dann als das Erreichen eines Kristallisations- und Ruhepunktes, nachdem bis
dahin unterschiedliche, z. T. entgegengesetzte Strömungen das deutschsprachige
Literaturschaffen geprägt hatten. Das Neuhochdeutsche entwickelte sich
relativ spät als Wissenschafts- und Dichtungssprache: Opitz und in seinem
Gefolge andere Poetiker schufen die ersten Voraussetzungen dafür, und erst
mit Klopstocks Erschließung antiker Versmaße für das Deutsche
kann von einer 'poetischen Normalisierung' gesprochen werden. Außerdem
war die den gesamten europäischen Kulturraum bestimmende Welt der Antike
in Deutschland zwar unabdingbares Repertoire gelehrter Dichtkunst, aber nicht
wirklich assimiliertes, poetisch lebendiges Bildungsgut.
Während sich die deutschsprachige Literatur in diesen beiden Hinsichten
noch in einem Entwicklungsstadium befand, klaffte in ihr bereits ein tiefer
Riß zwischen zwei entgegengesetzten Positionen. Auf der einen Seite forderten
die Aufklärer mit ihrer strengen, am französischen Klassizismus orientierten
Normpoetik eine Literatur, die Vernunft und Tugendstreben als Ideale darstellen
sollte - die Empfindsamkeit dagegen bekämpfte diesen in ihren Augen seelenlosen
Rationalismus und zelebrierte subjektiven Gefühlsüberschwang, Freundschaftskult
und Schwärmerei. Die Situation radikalisierte sich, als die junge Generation
des Sturm und Drang, zu dessen Protagonisten Goethe und Schiller selbst gehörten,
zu Beginn der 70er Jahre mit sozialkritischem Impuls und programmatischem Sprengen
der Formen dem Establishment den Kampf ansagte.
Doch der Bewegung war jegliche politische Wirkung versagt, die meisten 'jungen
Wilden' verstummten, Goethe trat fluchtartig seine Italienreise an - aus privaten
Gründen: um dem Druck seiner Verpflichtungen als Minister in Weimar zu
entkommen und um von der hoffnungslosen Leidenschaft zu Charlotte von Stein
Abstand zu gewinnen; literarisch hatte er seine Sturm-und-Drang-Periode schon
vor Jahren abgeschlossen.
Goethes Begegnung mit der Antike, die in den zwei Jahren seines Aufenthaltes
südlich der Alpen stattfand, ist einer der Ausgangspunkte der Weimarer
Klassik: sie bewirkte einen Wandel in seiner ästhetischen Haltung, und
durch diesen vollzog sich nicht nur ein Neubeginn in seinem Leben, sondern auch
eine Neuentfaltung seiner früheren, in der ersten Weimarer Phase z. T.
stockenden kreativen Energie.
Die Sensibilisierung für die Welt der alten Griechen erfolgte allerdings
schon vor seiner Abreise. Der Archäologe und Kunstgelehrte Johann Joachim
Winckelmann hatte mit seinem Hauptwerk Geschichte der Kunst des Altertums (1764)
einen entscheidenden Beitrag zu einer neuen Wahrnehmung der Antike geleistet,
indem er den bis dahin historisch orientierten, auf Rom fixierten Blickwinkel
auf das hellenische Altertum lenkte, in dessen Kunst er ein apollinisches Schönheitsideal
erfüllt sah, dessen Wesen er mit der berühmten Wortfügung »edle
Einfalt und stille Größe« charakterisierte.
Das Winckelmannsche Bild der Antike und sein darin enthaltenes Harmoniestreben
wirkten als Katalysator für die Synthese, die Goethe - und dann auch Schiller
- während der Periode der Hochklassik aus den zuvor auseinanderstrebenden
Tendenzen gelang. Es bot die Vision eines ausgleichenden, organischen Miteinanders
von Gefühl und Verstand, Natur und Kultur: eine Vision, die in der formbewußten,
auf alles Grelle, Gekünstelte und Gewaltsame verzichtenden Dichtung jenes
Doppeljahrzehnts ihren gültigen Ausdruck fand.
Bei Schiller löste eine intensive Auseinandersetzung mit den Schriften
Immanuel Kants die Wendung zur Klassik aus. Kants Kritik der Urteilskraft (1790),
die eine Ästhetik der Kunst und der Natur entwirft, wurde zum Ausgangspunkt
für die zahlreichen eigenen ästhetischen Schriften. Der Aufsatz Über
Anmut und Würde (1793) postulierte, über Kant hinausgehend, die Existenz
des Schönen nicht nur im Betrachtenden, sondern als Ausdruck der Freiheit
in der Erscheinung selbst, was er beim Menschen als »moralische Schönheit«
bezeichnete, deren Ausdruck die Anmut sei. Im selben Jahr erschienen die Abhandlungen
Vom Erhabenen. Zur weiteren Ausführung einiger Kantischer Ideen und Über
das Pathetische, worin die Katharsis als Offenbarung von Freiheit und Wille
im Leiden des tragischen Helden beschrieben wird.
Auch Schillers Interesse hatte sich immer mehr der antiken, hellenischen Welt
zugewandt, die - wiederum vom Konzept Winckelmanns ausgehend - seinem mythischen
Weltbild, in dessen Zentrum der Mensch als moralisch-ästhetische Existenz
steht, einen konkreten, sinngebenden Rahmen bot.
Am 21. Juli 1794 kam in Jena das entscheidende Treffen zwischen Goethe und Schiller
zustande, die sich bis dahin eher distanziert zueinader verhalten hatten. Nun
fand sich »eine unerwartete Übereinstimmung, die um so interessanter
war, weil sie wirklich aus der größten Verschiedenheit der Gesichtspunkte
hervorging. Ein jeder konnte dem anderen etwas geben, was ihm fehlte, und etwas
dafür empfangen« (Schiller an Körner). 1795 erschien Schillers
Aufsatz Über naive und sentimentalische Kunst, in dem er die antike Poesie
der Griechen als naturempfindend in Gegensatz zur Dichtung späterer Zeiten
setzte: diese sucht die Natur und stellt Wirklichkeit nicht mehr unmittelbar,
sondern im Verhältnis zum Ideal dar. Mit dieser Definition von realistischem
und idealistischem Dichtertum brachte er zugleich den Unterschied zwischen Goethes
und seiner eigenen Auffassung auf den Punkt.
Nun begann die Zeit, in der sich die beiden Dichterfürsten trotz - oder
gerade dank - ihres unterschiedlichen Temperaments und der differierenden Ausgangspositionen
gegenseitig anregten und einen Großteil der Werke schufen, die bis heute
das Attribut klassisch für sich in Anspruch nehmen können. Unmittelbares
Ergebnis der Zusammenarbeit waren die Zeitschriften Die Horen, Die Propyläen
und der Musenalmanach, die zu Organen der klassischen Kunst- und Literaturprogrammatik
wurden. Eine echte Koproduktion waren die Xenien (1796), fast tausend bissig-ironische
'Gastgeschenke', die sich provokativ mit einzelnen Personen und Werken der Zeit
auseinandersetzten und sowohl persönliche Gegner als auch gesellschaftliche
Mißstände, Verirrungen in Kunst und Wissenschaft sowie literarische
Plattheiten aufs Korn nahmen.
Vom gegenseitigen Gedankenaustausch beflügelt, konnte der eine wie der
andere jetzt die individuelle Produktion in allen literarischen Gattungen zur
Entfaltung bringen. Im »Balladenjahr« 1797 schrieb Goethe Der Zauberlehrling,
Der Gott und die Bajadere sowie Die Braut von Korinth, Schiller Der Taucher,
Der Ring des Polykrates, Der Handschuh, Die Kraniche des Ibykus, und ein Jahr
später Die Bürgschaft. Auch des letzteren Ideenlyrik, die mit dem
Gedicht Die Ideale (1796) ihren Ausgang nahm, fand in den nächsten Jahren
ihre Vollendung mit Das Ideal und das Leben, Der Spaziergang, Nänie und
Das Lied von der Glocke.
Mit der für ihn charakteristischen Vielseitigkeit und Energie nahm Goethe
nun verschiedene Projekte in Angriff, wobei Schillers Rolle als Kunstrichter
ihm entscheidende Impulse gab. Seine Dramen Torquato Tasso, das die Künstlerproblematik
beispielhaft auslotet, und Iphigenie auf Tauris, vielleicht das klassische deutsche
Drama schlechthin, hatte er bereits 1790 bzw. 1787 in die endgültige, versifizierte
Form gebracht. Jetzt machte er sich an die Umarbeitung und Vollendung des Faust-Fragments,
die sich insgesamt über elf Jahre hinzog und schließlich als Faust.
Der Tragödie erster Teil (erschienen 1808) abgeschlossen wurde - zusammen
mit dem zweiten, erst kurz vor seinem Tode vollendetem Teil eines der universalsten
Bühnenstücke der Weltliteratur.
Ein weiteres großes Werk, das ebenfalls schon in Jugendjahren begonnen
worden war, konnte Goethe nun fertigstellen: Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795-1796),
das die Romantiker später zum Vorbild, zum konkretisierten Ideal ihrer
poetischen Vorstellungen erhoben. Dieser Künstler- und Bildungsroman zeichnet
die Entwicklung eines bürgerlichen Theaterdichters vom schwärmerischen
Jüngling zum anerkannten Geistesaristokraten nach, dessen Sinnsuche mit
der Einordnung in das Praktisch-Tätige endet. Daneben schrieb Goethe das
bürgerliche Epos Hermann und Dorothea (1797), den Entwurf des Helena-Aktes
für Faust II, das symbolische Drama Die natürliche Tochter (1806),
verschiedene kunstkritische Traktate (darunter Shakespeare und kein Ende) und
übersetzte Voltaires Dramen Mahomet (1799) und Tancred (1800).
1797 zog Schiller von Jena nach Weimar. Hier entstanden, in der letzten Phase
seines Lebens, die großen Geschichtsdramen, die seinen internationalen
Nachruhm begründet haben: die Wallenstein-Trilogie: Wallensteins Lager,
Die Piccolomini, Wallensteins Tod (1800), Maria Stuart (1801), Die Jungfrau
von Orleans (1801), Die Braut von Messina (1803) und Wilhelm Tell (1802/04)
sowie das Fragment Demetrius (1815 gedruckt). In ihnen brachte er die deutsche
Tragödie auf ein bis dahin nicht erreichtes Niveau; seine Werke beeinflußten
das dramatische Schaffen des gesamten 19. Jahrhunderts. In der Polarität
von Freiheit und historischem Pessimismus (»Das ist der Fluch der bösen
Tat, daß sie fortzeugend Böses muß gebären«) zeichnete
er ein dualistisches Menschenbild, dessen Tragik im Konflikt zwischen sittlicher
Entscheidung und äußerer Notwendigkeit das Dilemma unserer modernen
Welt spiegelt.
1805 starb Friedrich Schiller, Goethe wandte sich dem Jenaer Kreis der Romantik
zu. Der vielleicht folgenreichste Abschnitt in der Geschichte der deutschen
Literatur war zu Ende gegangen.
Der Begriff "Klassik" bzw. "klassisch"
hat mehrere Bedeutungen: - etymologisch: von lat. classicus: römischer
Bürger der höchsten Steuerklasse, / dann: scriptor classicus: Schriftsteller
ersten Ranges | Klassik: - antikes Altertum / - Blütezeit einer Nationalliteratur
bzw. -kunst / - literaturgeschichtliche Epoche in Deutschland
klassisch: Ausdruck für zeitlos gültige, große künstlerische
Leistung: - benannt nach »scriptor classicus«, ein Schriftsteller
ersten Ranges / - Epoche kultureller Höchstleistungen eines Volkes / -
die »Weimarer Klassik« = zweite klassische Epoche nach der weniger
bekannten mittelhochdeutschen Klassik um 1200 / - Anknüpfen an die Kunstauffassung
der Renaissance, Neuhumanismus / - stand in Verbindung mit der Klassik der Antike
(apollinisches Griechenbild)
Historischer Hintergrund: - Französiche Revolution (1789)
- Koalitionskriege, Annexionen Napoléon Bonapartes, Befreiungskriege
(1813-15)
Personelle und gesellschaftliche Basis
Die Ideen der Klassik wurden hauptsächlich von zwei Dichtern entwickelt
und verbreitet: Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) und
Friedrich von Schiller (1759-1805). Ort deren Zusammenarbeit war
Weimar. Dort residierte Herzog Karl August (1775-1828) über das kleine
Fürstentum Sachsen Weimar und Eisenach (ca. 100.000 Einwohner). Der Fürst
war "aufgeklärt", d.h. er war bestrebt, für das Wohl seiner
Untertanen zu regieren, obwohl er ein absolutistischer Fürst war. (So gab
er 1816 als erster deutscher Landesherr seinem Land eine Verfassung). Sein besonderes
Interesse galt der Kunst und Wissenschaft. Karl August lud 1775 den 26-jährigen
Goethe, den er ein Jahr zuvor kennen gelernt hatte, nach Weimar ein. Goethe
war damals v.a. als Autor des 1774 erschienenen Romans "Die Leiden des
jungen Werthers" bekannt. Am Hof zu Weimar wurde Goethe Vertrauter und
Ratgeber des Herzogs, bald Minister. Neben seiner politischen Tätigkeit
fand er viel Zeit zum Dichten und Forschen, er leitete das Hoftheater und unternahm
zahlreiche Reisen. Einige davon führten ihn nach Italien (1786, 1788, 1790).
Die Italienreise gehörte damals zum Bildungsprogramm junger Adliger und
reicher Bürgersöhne. Goethe lernte in Italien die Antike (bzw. deren
Überreste) mit eigenen Augen kennen, sie wurde von da an zu seinem entscheidenden
Vorbild. (Aus diesem Grunde setzt man auch den Beginn der deutschen Klassik
1786 an.)
Schiller, der aufgrund häufiger Krankheiten, politischer Verfolgung (wegen
seines Stückes "Die Räuber") und ständiger Geldsorgen
ein weniger geordnetes Leben als Goethe führen musste, wurde 1788 auf Betreiben
Goethes als Professor für Geschichte nach Jena berufen. 1794 begannen Freundschaft
und Zusammenarbeit mit Goethe. 1799 siedelte Schiller nach Weimar um.
Weimar stellte neben Leipzig und Hamburg eines jener geistigen Zentren im damals
aus vielen Einzelstaaten bestehenden Deutschland dar. Reiche Bürger oder
kunstbeflissene Fürsten ermöglichten es Künstlern, ohne materielle
Sorgen und ohne Rücksicht auf den Massengeschmack ihre Ideen zu verfolgen.
Der geistige Austausch in diesen Zentren blieb unbehindert, Deutschlands provinzieller
Charakter hatte wenig zu bieten, so nahmen die Gebildeten an den kulturellen
und auch politischen Ereignissen der ganzen Welt teil, über die man in
Zeitschriften und Büchern berichtete. Dies führte zu einer geistigen
Weite, für die man den Begriff "Weltbürgertum" prägte.
Johann Wolfgang Goethe (1749 - 1832)
- Wichtige Werke: Dramen: Iphigenie auf Tauris (1787) / Egmont (1787) / Tasso
(1790) / Faust I (1808), Faust II (1832) Romane: Wilhelm Meisters Lehrjahre
(1796) / Die Wahlverwandtschaften (1809) / Wilhelm Meisters Wanderjahre (1829)
Lyrik: Römische Elegien (1790)
- Iphigenie auf Tauris (1779) - Humanitätsdrama mit antikem Griechenland
als Schauplatz, gilt neben Lessings »Nathan der Weise« als Muster
des Humanitätsdramas
- Egmont (1787) und Tasso (1790) - Dramen mit eindeutigen Sturm-und-Drang-Naturen
- Faust I (1808) und II (1832) - weltbekanntes Drama, dessen gesamte Entwicklung
sich über 60 Jahre hinzog, dementsprechend viele Personen, Schauplätze
etc., Teufelsbündnis als zentrales Thema
- Wilhelm Meisters Lehr- und Wanderjahre (1795 und 1821) - Persönlichkeits-
und Gesellschaftsstudie, Muster des Erziehungsromans
- Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit (1811-33) - dichterisch gestaltete
Autobiographie Goethes bis zum Aufbruch nach Weimar 1775
- Vermischte Gedichte (1789) - Sammlung von Gedichten, An den Mond, Erlkönig
- Balladen im Wettstreit mit Schiller, Der Schatzgräber, Der Zauberlehrling
Friedrich Schiller (1759 - 1805) - Wichtige
Werke: Dramen: Don Carlos (1787) / Wallenstein (1799) / Maria Stuart (1800)
/ Wilhelm Tell (1804) Schriften: Über die ästhetische Erziehung des
Menschen (1793) / Über naive und sentimentalische Dichtung (1797) Lyrik:
Balladen
- Don Carlos (1787) - politisches Ideendrama, als Familientragödie entworfen
- Über Anmut und Würde (1793) - nach eingehender Beschäftigung
mit Kant
- Wallenstein (1798-99) - dramatische Trilogie über den Befehlshaber des
kaiserlichen Heeres im Dreißigjährigen Krieg
- Maria Stuart (1800) - historisches, knappes Drama, engl. Königshof als
Schauplatz
- Die Jungfrau von Orleans (1801) - Steigerung des Märtyrercharakters Maria
Stuarts
- Wilhelm Tell (1804) - beliebtes Schauspiel mit philosophischem Kern, Tell
ermordet den Reichsvogt Geßler nach Auswirkungen dessen verbrecherischer
Willkürherrschaft
- Balladen im Wettstreit mit Goethe, Der Taucher, Der Handschuh, Die Bürgschaft,
weite Entfernung von der volkstümlichen Ballade, dramatische Grundstruktur
Grundideen Wie die Aufklärung ging
die Klassik von der Erziehbarkeit des Menschen zum Guten aus. Ihr Ziel war die
Humanität, die wahre Menschlichkeit (das Schöne, Gute, Wahre). Doch
der Mensch sollte nicht nur einzelne Tugenden (z.B. Toleranz, Nächstenliebe)
besitzen, sondern einem Ideal zustreben, das mit den Begriffen "Harmonie"
und "Totalität" umschrieben wurde. Dies bedeutete, dass alle
menschlichen Kräfte und Fertigkeiten ausgebildet werden sollten: Gefühl
und Verstand, künstlerisches Empfinden und wissenschaftliches Denken, theoretisches
Erfassen und praktische Umsetzung (Totalität). Dabei sollten diese Eigenschaften
aber nicht im Widerspruch zueinander stehen, eine auf Kosten der anderen bevorzugt
werden, sondern eine ausgewogene Einheit bilden (Harmonie).
Verwirklicht sah man dieses Ideal in der griechischen Antike; die Griechen des
klassischen Altertums hätten - jeder Einzelne und die gesamte Gesellschaft
- ihre Kräfte allseitig und harmonisch entfaltet wie kein Volk zuvor oder
danach. Als einen weiteren Bereich, in dem das Ideal bereits Wirklichkeit sei,
verstand man die Natur. Dieser Gedanke wurde v.a. von Goethe vertreten. Er verstand
sich selbst in erster Linie als Naturforscher, nicht als Dichter. Zeit seines
Lebens versuchte er die mannigfaltigen Erscheinungsformen der Tier- und Pflanzenwelt
auf bestimmte Urformen zurückzuführen (z.B. die Urpflanze), aus denen
sich dann seiner Meinung nach die einzelnen, konkreten Formen durch Metamorphose
entwickelt haben. Er entdeckte auch den Zwischenkieferknochen beim Menschen
(Sutura incisiva Goethei). Das angebliche Fehlen dieses Knochens, der beim tierischen
Schädel im Gegensatz zum menschlichen deutlich ausgeprägt ist, hatte
vor Goethe als Beweis gegolten, dass der Mensch eine eigenständige Schöpfung
der Natur (Gottes) sei. Durch seine Entdeckung zeigte nun Goethe Jahrzehnte
vor Darwin den Zusammenhang zwischen Tier- und Menschenwelt und damit die Einheit
("Harmonie") der Natur.
Die Wirklichkeit betrachteten die Klassiker gegenüber ihrem Ideal als unzureichend.
Sie verstanden sie als geprägt durch die Arbeitsteilung der Gesellschaft,
die den Einzelnen nur auf bestimmte, seinem Beruf zugeordnete Tätigkeiten
und Fähigkeiten festlegte (Spezialisierung). Entsprechend herrsche im Menschen
selbst ein Zwiespalt zwischen Gefühl und Verstand, Pflicht und Neigung,
Denken und Handeln. Deutschland galt als rückständig, provinziell,
spießbürgerlich. Große Hoffnungen setzte man zunächst
auf die Französische Revolution (1789), war aber dann von deren Verlauf,
v.a. der Schreckensherrschaft enttäuscht.
Eine Änderung dieses Zustandes in Richtung auf das Ideals sei daher nicht
durch eine revolutionäre Umwälzung der Gesellschaft zu erreichen (wie
es die Französische Revolution versuchte), sondern durch die Veränderung
des Einzelnen. Wie in der Aufklärung hielt man die Kunst für ein geeignetes
Mittel, dies zu erreichen. Die Kunst sollte aber nicht nur die "Verzuckerung"
der Pille sein, die unangenehme Lehren auf angenehme Weise nahe brachte. Die
Kunst - so v.a. Schiller - veranschauliche das Ideal, sei ein "Vorschein"
des Idealzustandes, seine Vorwegnahme im schönen Schein der Kunst. Durch
die Beschäftigung mit dieser Kunst sollten die Menschen allmählich
diesem Idealzustand angenähert werden. Dabei nahm man in Kauf, dass dieses
Unternehmen sich zunächst auf einen kleinen Kreis von Gebildeten beschränkte,
einen Kreis, der sich mit der Zeit vergrößern würde.
Wirkungen auf das Schulsystem Ebenfalls von den Ideen der Klassik
beeinflusst und außerdem für die Geschichte des deutschen Schulwesens
von entscheidender Bedeutung war der mit Goethe und Schiller befreundete Wilhelm
von Humboldt (1767-1835). Während seiner Tätigkeit im preußischen
Staatsdienst 1809 leitete er eine Reform des Schulwesens ein, wobei er besonderes
Gewicht auf das Gymnasium legte. (Außerdem gründete er die Universität
in Berlin.)
Gemäß dem Ideal der Klassik, der allseitigen und harmonischen Entfaltung
des Einzelnen und der Gesellschaft, sollte die Schule nicht für einen bestimmten
Beruf ausbilden. Eine zu frühe Spezialisierung verhindere die allgemeine
Menschenbildung. Diese sei das eigentliche Ziel der Schulbildung und ohnehin
die beste Voraussetzung für eine spätere Spezialisierung. Da die Allgemeinbildung
nämlich zur Selbstständigkeit führe, sei es später kein
Problem, sich auf die speziellen Anforderungen des Berufs einzustellen. Diesen
Zielen entsprechend dürfe die Methode des Unterrichts nicht von Drill und
Auswendiglernen geprägt sein, sondern von Motivation und selbstständigem
Lernen. Der Erfolg dieser Bildung solle durch das Abitur überprüft
werden. Das Abitur berechtigte dann zum Studium und höheren Staatsdienst.
Eine besondere Rolle bekamen die alten Sprachen Latein und Griechisch. Dies
hing mit der erwähnten Tatsache zusammen, dass die deutschen Klassiker
in den Griechen der Antike ihr Ideal der Totalität und Harmonie verwirklicht
sahen. Die Römer der Antike galten als Vorbild an Tugend, Tatkraft und
Vaterlandsliebe.
Die Reform sollte alle Schulen umfassen, man konzentrierte sich aber in der
Praxis auf die Gymnasien (Lehrplan, Prüfungsordnung, Lehrerausbildung).
Das Schulsystem, auch das Gymnasium, hat seitdem viele Veränderungen erfahren.
Dass der Humboldt'sche Bildungsbegriff dennoch überlebt hat, kann man noch
heute in den Begriffen "Studierfähigkeit", "Basiswissen",
"Allgemeinbildung", "erweiterter Qualifikationsbegriff",
"Grundkurse", "Pflichtauflagen" erkennen, die in Richtlinien,
Verlautbarungen und in der öffentlichen Diskussion immer wieder auftauchen.
Wirkung Im 19. Jh. entfaltete die deutsche Klassik im Bildungsbürgertum
eine ungeheure Wirkung. Zitate aus den Werken Goethes und Schillers wurden zu
volkstümlichen Sprichwörtern. Die Lektüre der Klassiker wurde
Pflichtpensum in den höheren Schulen, Schillers Dramen beherrschten die
Spielpläne der Theater. Dabei entwarf man allerdings ein idealisiertes
Bild der deutschen Klassiker. Für die Brüche in ihren Leben und Werk,
für das Kritische in vielen ihrer Werke hatte man keinen Blick.