11. Die Epoche des Realismus (1840/50-1890/97)
Der Begriff Realismus, der Ende des 18. Jahrhunderts erstmals in Deutschland
aufkam und um die Mitte des 19. Jahrhunderts zum zentralen Schlagwort der literarischen
Diskussion wurde, benennt ein Problem, das bis heute nichts von seiner Virulenz
verloren hat: das Verhältnis von Literatur und Wirklichkeit. Heute kennt
der Begriff zwei Verwendungsweisen: Zum einen eine stiltypologische Verwendung
von Realismus, mit der vor allem Werke von Film, Malerei, Fotografie und Literatur
bezeichnet werden, die sich durch eine Hinwendung zur Realität, eine besondere
'Wirklichkeitstreue' auszeichnen. Zum anderen bezeichnet dieser Begriff die
literarische Epoche, die in Deutschland auf die Literatur des Biedermeier und
des Vormärz folgte (also ungefähr mit der gescheiterten Revolution
von 1848 einsetzte) und gegen Ende des Jahrhunderts durch den Naturalismus abgelöst
wurde.
Die Forderung nach adäquater Darstellung der Realität, die von den
'realistischen' Programmatikern Mitte des 19. Jahrhunderts erhoben wurde, brachte
etwas wesentlich Neues in die Literatur. Forderungen nach Darstellung des »Wirklichen«
in der Kunst waren freilich nicht neu, unter dem Begriff der Nachahmung der
Natur, der Mimesis gibt es sie bereits bei Aristoteles. Seit der Wiederentdeckung
seiner Poetik in der Renaissance wurde in Europa über das Problem der Naturnachahmung
diskutiert.
Was ist also das eigentlich Neue am Begriff des Realismus, was unterscheidet
ihn vom hergebrachten Begriff der Mimesis? Es ist vor allen Dingen die Tatsache,
daß der neue Wirklichkeitsbegriff der Realisten auf die menschliche Gesellschaft
bezogen ist, daß er die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen
der Mensch lebt, zum zentralen Gegenstand seiner Darstellung macht.
Allerdings unterlag diese Hinwendung zur Gesellschaft einigen Einschränkungen:
Es waren der bürgerliche Mensch und seine Lebensverhältnisse, die
zum Thema des Realismus wurden; den sogenannten »Vierten Stand«,
die Unterschicht also, entdeckte erst der Naturalismus als Thema der Literatur.
Zudem ging es einer wichtigen Gruppe von frühen Realisten bevorzugt um
die Darstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Bürgertums.
Der einflußreiche Literaturtheoretiker Julian Schmidt formulierte in der
Zeitschrift Die Grenzboten den Satz: »Der Roman soll das deutsche Volk
da suchen, wo es in seiner Tüchtigkeit zu finden ist, nämlich bei
seiner Arbeit.« Gustav Freytag verwendete diesen Satz als Motto seines
Romans Soll und Haben (1855), von dem Theodor Fontane durchaus zustimmend feststellte,
er sei die »Verherrlichung des Bürgertums und insonderheit des deutschen
Bürgertums«.
Die Rezipienten der realistischen Literatur kamen in jedem Falle aus der bürgerlichen
Gesellschaftsschicht. Praktisch alle namhaften (und viele unbekannte) Autoren
wurden in den Zeitschriften vorabgedruckt, die im 19. Jahrhundert große
Bedeutung gewonnen hatten. Zu nennen sind hier vor allem die Blätter Deutsche
Rundschau, Nord und Süd, Über Land und Meer, Westermanns Illustrierte
Deutsche Monatshefte und Die Gartenlaube; für den Bereich der Literaturkritik
und -programmatik neben der bereits genannten Die Grenzboten die Zeitschrift
Das Deutsche Museum.
Das Interesse an den wirtschaftlichen Verhältnissen, das Schriftsteller
wie Gustav Freytag und Otto Ludwig (Zwischen Himmel und Erde, 1856) in ihren
Romanen zeigen, hat verschiedene Gründe. Zum einen ging es den Autoren,
die politisch zur nationalliberalen Bewegung zu rechnen sind, um die Darstellung
dessen, was die Macht des Bürgertums ausmachte und seinen Anspruch auf
politische Mündigkeit gegenüber dem Adel und den Landesfürsten
begründete. Zum anderen hat die wirtschaftliche Tätgkeit in diesen
Texten immer die Funktion einer moralischen Regulierungsinstanz: nur der gute,
moralische und tüchtige Bürger kommt zu solidem wirtschaftlichen Wohlstand,
der unmoralische Gegenspieler endet im wirtschaftlichen Ruin. Letztlich leben
die Figuren dieser Texte also in einer heilen Welt, in der - auf der Basis des
wirtschaftlichen Erfolgs - das Gute immer siegt und das Böse zugrunde geht.
Diese moralisierende 'Wirtschaftsideologie' gibt es bei den Autoren, die heute
als bedeutendste Vertreter der Epoche gelten, mit Ausnahme Gottfried Kellers
nicht. Keller hat dieses Denken von Der grüne Heinrich (1854-55/1880) bis
in seinen späten Roman Martin Salander (1886) beibehalten; bei Theodor
Fontane, Theodor Storm, Wilhelm Raabe und Conrad Ferdinand Meyer spielt das
bürgerliche Wirtschaftsleben keine oder nur eine nebensächliche Rolle.
Wenngleich sie also nicht für die gesamte Epoche charakteristisch war,
so hatte die Literatur des bürgerlichen Wirtschaftslebens dennoch eine
wichtige Schrittmacherfunktion in der Hinwendung zur gesellschaftlichen Realität.
Ähnliches gilt für die Dorfgeschichte, die eine gesellschaftliche
Realität im Kleinformat schildert und dabei die Problematik sozialer Konflikte
darstellen kann - allerdings um den Preis, daß sie eine Gesellschaftsform
schildert, der in der Realität des 19. Jahrhunderts immer weniger Bedeutung
zukam. Wieder ist als einer der bedeutendsten Repräsentanten dieser literarischen
Form Gottfried Keller (Romeo und Julia auf dem Dorfe, Kleider machen Leute,
aus der Sammlung Die Leute von Seldwyla, 1856/1874) zu nennen, daneben Berthold
Auerbach (Schwarzwälder Dorfgeschichten, 1843-1854), Jeremias Gotthelf
(Uli der Knecht, 1840, Die schwarze Spinne, 1842) und Ludwig Anzengruber (Der
Sternsteinhof, 1883).
Eine weitere wichtige literarische Strömung im Realismus ist das historische
Erzählen. Zum einen ist darunter der sogenannte »Professorenroman«
zu verstehen, zu dessen charakteristischen Vertretern Felix Dahn, Josef Victor
von Scheffel (Der Trompeter von Säckingen, 1854) und Gustav Freytag (Die
Ahnen, 1872-1880) zu zählen sind. Diese Romane sind stark mit historischem
und kulturhistorischem Wissen unterfüttert und versuchen, eine Mischung
aus Geschichtsschreibung und Roman zu bieten. Typischerweise werden große
historische Umbrüche dargestellt, so etwa der Untergang Ostroms in Felix
Dahns Ein Kampf um Rom (1876).
Diejenigen Autoren, die heute noch die höchste literarische Geltung beanspruchen
können, also namentlich Theodor Fontane, Theodor Storm, Wilhelm Raabe und
Conrad Ferdinand Meyer, lassen sich keiner der genannten Strömungen innerhalb
des Realismus zurechnen. So schreibt Conrad Ferdiand Meyer zwar ausschließlich
historische Erzählungen und Romane (u. a. Das Amulett, 1873, Jürg
Jenatsch, 1874, Der Heilige, 1880, Die Versuchung des Pescara, 1887), doch ist
sein Zugang zur Geschichte ein ganz anderer als der der Autoren des »Professorenromans«.
Meyer geht es nicht um eine Ausbreitung historischen Wissens, sondern um die
Darstellung der Verstrickung des Individuums in den politischen Verhältnissen
seiner Zeit, in das ausschließlich am Machtgewinn orientierte Intrigenspiel.
Dabei stehen für Meyer gerade die Figuren im Vordergrund, die aufgrund
ihrer Weltfremdheit oder aber aufgrund ihres moralischen Ernstes nicht fähig
oder gewillt sind, am Intrigenspiel mitzuwirken und die deshalb untergehen müssen.
Theodor Fontane, dessen Romanwerk (u. a. Schach von Wuthenow, 1883, Irrungen
Wirrungen, 1888, Frau Jenny Treibel, 1892, Effi Briest, 1895) zum überwiegenden
Teil durch den Begriff »Berliner Gesellschaftsroman« gekennzeichnet
werden kann, stellt ebenfalls Figuren in den Vordergrund, die eine Ausnahmestellung
in der dargestellten Gesellschaft innehaben, und zwar aufgrund ihrer Abweichung
von den Normen der Gesellschaft. Der dominante Grundkonflikt bei Fontane resultiert
aus dem Wunsch nach erotischer Selbstverwirklichung (zumeist bei der weiblichen
Heldin) und der - auf die eine oder andere Weise - dadurch bewirkten Kränkung
der Würde des jeweiligen (meist männlichen) Partners, die häufig
zum Selbstmord führt.
Wilhelm Raabe hat mit seinen Figuren wohl die krassesten Außenseitergestalten
des Realismus geschaffen (Der Hungerpastor, 1862, Abu Telfan oder die Heimkehr
vom Mondgebirge, 1867, Horaker, 1876, Das Odfeld, 1889). Dabei fungiert häufig
eine gesellschaftlich gut integrierte, biedere Figur als Erzähler (so in
Die Chronik der Sperlingsgasse, 1857, Stopfkuchen, 1891 und Die Akten des Vogelsangs,
1893), während die Außenseiterfigur die eigentliche Hauptfigur ist.
Theodor Storm ist allenfalls in seinem Frühwerk (u. a. Immensee, 1849)
der Erzähler einer beschaulichen, harmonischen Welt. Mehr und mehr tritt
in Storms späteren Werk ein düsterer Pessimismus hervor, der seine
Helden tragisch scheitern läßt (Aquis submersus, 1875, Zur Chronik
von Grieshuus, 1884, Der Schimmelreiter, 1888).
Eine Ausnahmeposition nimmt auch Friedrich Hebbel ein, der einzige bedeutende
Dramatiker dieser Epoche. Mag sein bürgerliches Trauerspiel Maria Magdalene
(1844) in der Abbildung des kleinbürgerlichen Milieus durchaus 'realistische'
Züge tragen, so sind seine vorwiegend historischen Dramen von der Außeinandersetzung
mit dem deutschen Idealismus, vor allem mit Hegels Philosophie geprägt;
in ihnen entsteht die Tragik aus dem Widerspruch zwischen dem Individuum mit
seinem persönlichen Willen und den ihm entgegengesetzten Mächten der
Gesellschaft und der Geschichte, die letztlich zur Vernichtung des einzelnen
führen.
So läßt sich für die heute noch als bedeutend geltenden Schriftsteller
des Realismus (mit der erwähnten Ausnahme Kellers) konstatieren, daß
ihre Welt - ganz im Gegensatz zur Welt der frührealistischen Literatur
des bürgerlichen Wirtschaftslebens - meist eine grausame Welt ist, in der
das Individuum mit seiner Hoffnung auf persönliches Glück an den Konventionen
der Gesellschaft und den Intrigen seiner Mitmenschen scheitert.
Allgemeine Grundlagen: Wie der Begriff
anzeigt, geht es dem Realismus um die Wirklichkeit, d.h. um das, was im 19.
Jh. oft unter Wirklichkeit verstanden wurde: die beobachtbare, durch die Sinne
wahrzunehmende Wirklichkeit des Menschen und der Natur. Eine solche Auffassung
von Realität grenzte sich bewusst ab von jeglichem Übernatürlichem
(z.B. Religion), das man als Illusion, als "unwirklich" ansah.
- objektive Betrachtung, sachgenaue Darstellung der Wirklichkeit, Positivismus
- Charles Darwins Abstammungstheorien und die marxistische Geschichtsauffassung
als weitere Grundlage
- alleinige Beteiligung des wohlhabenden Bürgertums am Realismus
- wenig auf politische Veränderungen bedacht, mehr auf unveränderbare
Unzulänglichkeiten des allgemein Menschlichen
Beispiele
- Charles Darwin (1809-1882): Nach seiner Lehre ist die Natur geprägt vom
Kampf der Arten um das Überleben. Nur diejenige Art setze sich durch, die
sich der Umwelt am besten angepasst habe. Auch der Mensch sei Teil der Natur,
das Produkt der Naturgeschichte (Evolution). Eine solche Auffassung widersprach
der gängigen biblischen Lehre, nach der die Natur und v.a. der Mensch eine
Schöpfung Gottes ist.
- Ludwig Feuerbach (1804-1872): Er sprach der Religion jeglichen Realitätsgehalt
ab und interpretierte sie als Erfindung des Menschen.
- Karl Marx (1818-1883): Philosophie, Religion, Recht und andere Geisteswelten
seien nicht das, was sie vorgeben, sondern nur verschleierter Ausdruck ökonomischer
("realer") Interessen.
- Materialismus: philosophische Richtung, die die Materie, die objektive, außerhalb
des Bewusstseins existierende Wirklichkeit als das Primäre, Bestimmende
ansieht.
- Solchem Denken entsprach die gesellschaftlich-historische Entwicklung des
19. Jh. Das Materielle, Ökonomische gewann immer mehr an Bedeutung. Stichworte:
- Ausbreitung der Industrialisierung, des Kapitalismus bis zu einem weltweiten
System (Imperialismus);
- Bürgertum wird zur beherrschenden Klasse, Aufkommen der Arbeiterklasse,
soziale Frage, Arbeiterbewegung;
- Fortschritt der Technik
Historischer Hintergrund
- Märzrevolution (1848), Sturz Metternichs, Ära Bismarck
- Deutsch-Französischer Krieg (1870-71), Abtritt Elsaß-Lothringens
an Deutschland
- Gründung des Deutschen Reiches (1871), Gründerzeit (1871-73)
- Industrielle Revolution, starke Verarmung des Proletariats durch uneingeschränkten
Kapitalismus
Literarische Formen - häufiges Vorkommen des Romans und
der Novelle
Vertreter
- Friedrich Hebbel (apokryphes Drama des Alten Testaments Judith, Erneuerung
des bürgerlichen Trauerspiels (keine adlige Rolle) mit Maria Magdalena,
Trauerspiel Agnes Bernauer, Verstragödien Herodes und Mariamne und Gyges
und sein Ring)
- Richard Wagner (Komponist, Aufgriff germanischer Mythologie im Gesamtkunstwerk,
Theorie Das Kunstwerk der Zukunft)
- Friedrich Nietzsche (nihilistische, darwinistische Denkweise, Gesellschaftskritik
Unzeitgemäße Betrachtungen, philosophische Dichtungen Also sprach
Zarathustra)
- Otto Ludwig (Zwischen Himmel und Erde)
- Paul Heyse (Theorien zur Novelle, Novelle L'Arrabbiata, Nobelpreis (1910))
- Jeremias Gotthelf (Romane Der Bauernspiegel, Die Schwarze Spinne, Wie Uli
der Knecht glücklich wird, Uli der Pächter)
- Gottfried Keller (politische Gedichte, autobiographische Erzählung Der
grüne Heinrich, Novellensammlungen Die Leute von Seldwyla mit Romeo und
Julia auf dem Dorfe, Züricher Novellen und der Novellenzyklus Das Sinngedicht,
politische und von der Natur handelnde Lyrik wie Abendlied)
- Conrad Ferdinand Meyer (historische Erzählungen Der Heilige, Die Richterin
(Mittelalter), Jenatsch, Gustav Adolfs Page (Reformationszeit), Das Amulett
(Gegenreformation), Plautus im Nonnenkloster, Angela Borgia (Renaissance), Gedichte)
- Gustav Freytag (historischer Kaufmannsroman Soll und Haben)
- Theodor Storm (Novellen, u.a. Immensee, autobiographische Erzählung Viola
tricolor, Erzählungen Aquis submersus, Novelle über Deichbauer Der
Schimmelreiter, Gedichte Hyazinthen, Die Stadt, Meeresstrand)
- Wilhelm Raabe (Milieuchronik Die Chronik der Sperlingsgasse, Romane Der Hungerpastor,
Abu Telfan, Der Schüdderump, Verleumdungsgeschichten Horacker und Stopfkuchen.
Eine See- und Mordgeschichte, stimmungsvolle Geschichte Die schwarze Galeere)
- Theodor Fontane (fortschrittlichster realistischer Erzähler, anfänglich
Balladendichter, standeskritischer Roman Irrungen, Wirrungen, tragischer Roman
Effi Briest, teilweise von der Ablösung des Alten durch das Neue handelnder
Zeitroman Der Stechlin)
Realismus als literarisches Prinzip Die literarische Entsprechung zu den skizzierten
Zeitströmungen war der Realismus. Er ist erst in Verbindung mit zwei anderen
literaturgeschichtlichen Epochen hinreichend zu verstehen: der Klassik und der
Romantik. - REALISMUS / KLASSIK / ROMANTIK - ernsthafte Behandlung von alltäglichen
menschlichen Problemen vom Alltäglichen konnten nur "niedere"
Gattungen handeln (z.B. Komödie) Errichtung einer wirklichkeitsfernen Welt
von beliebigen Individuen in einem ganz bestimmten gesellschaftlichen, historischen
Kontext meist bekannte oder typische Figuren, die wie Ort und Zeit von der Tradition
vorgegeben waren in verständlicher Darstellung (Prosa) Verstehen erfordert
Kenntnisse der Tradition, bestimmter literarischer Formen, Umgang mit einer
besonderen Sprache
Die Hauptgattung des Realismus: der Roman
Am den Merkmalen des literarischen Realismus wird deutlich, dass der Roman ihnen
am besten gerecht werden konnte. So sind die namhaftesten Werke des Realismus
Romane. Richtungsweisend waren v.a. die der französischen und der russischen
Realisten.
Hauptvertreter: - Stendhal (Henri Beyle) (1783-1842) "Rot
und Schwarz"
- Honoré de Balzac (1799-1850) "La Comédie humaine"
(Romanzyklus, u.a. "Vater Goriot")
- Gustave Flaubert (1821-1880) "Madame Bovary", "Éducation
sentimentale"
- Fjodor Dostojewski (1821-1881) "Der Idiot", "Die Brüder
Karamasow"
- Leo Tolstoj (1828-1910) "Anna Karenina", "Krieg und Frieden"
Der poetische Realismus in Deutschland
Der poetische Realismus ist die deutsche Variante des europäischen Realismus.
Das Attribut "poetisch" muss nach allem, was über den Realismus
gesagt wurde, als widersprüchlich erscheinen. In der Tat bedeutet dies,
dass der deutsche Realismus im Vergleich zu dem französischen als weniger
"realistisch" angesehen werden kann. Die deutschen Realisten selbst
haben sich bewusst sowohl von der Romantik als auch von einem schonungslosen
Realismus distanziert.
Die Ursachen für diese eigenständige Entwicklung liegen in der besonderen
Situation Deutschlands im 19. Jh.:
- Das Vorbild der Klassik (Goethe, Schiller) wirkte auf die nachfolgenden Schriftstellergenerationen
normbildend.
- Bis 1871 war Deutschland in Kleinstaaten aufgesplittert, die Industrialisierung
setzte relativ spät ein, so dass lange provinzielle, ländliche, idyllische
Verhältnisse erhalten blieben.
Hauptvertreter: - Theodor Storm (1817-1888) Novellen (z.B."Der
Schimmelreiter")
- Gottfried Keller (1819-1890) "Der grüne Heinrich" (Roman),
Novellen (z.B. "Kleider machen Leute")
- Theodor Fontane (1819-1898) "Effi Briest", "Der Stechlin",
"Irrungen Wirrungen", "Frau Jenny Treibel"
- Wilhelm Raabe (1831-1910) "Der Hungerpastor"
Zu Drama und Lyrik
Die Lyrik als die subjektivste der drei literarischen Grundgattungen eignete
sich für die ästhetischen Prinzipien des Realismus am wenigsten. So
wirkte in der Lyrik der Realisten das Vorbild von Klassik und Romantik am deutlichsten
nach.
Das Drama entdeckte die Misere der gesellschaftlichen Realität als möglichen
Gegenstand erst im Naturalismus. Zu erwähnen ist für den Realismus
Friedrich Hebbel (1813-1863, "Maria Magdalena"), dem es aber mehr
um die Wiederbelebung traditioneller Gattungen (z.B. der Tragödie) ging
als um die Darstellung sozialer Probleme.
Auch Georg Büchner (1813-1837, "Dantons Tod", "Woyzeck")
kann dem Realismus zugerechnet werden. Sein Werk hat aber in vielerlei Hinsicht
Ausnahmecharakter.