8. Die Epoche der Romantik (1798-1835)
Übersicht romantische Literatur: Die romantische Poesie ist eine progressive
Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennten Gattungen
der Poesie zu vereinigen und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in
Berührung zu setzen. Sie will und soll auch Poesie und Prosa, Genialität
und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die
Poesie lebendig und gesellig und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen,
den Witz poetisieren und die Formen der Kunst mit gediegenem Bildungsstoff jeder
Art anfüllen und sättigen und durch die Schwingungen des Humors beseelen.
Sie umfaßt alles, was nur poetisch ist, vom größten, wieder
mehrere Systeme in sich enthaltenden Systeme der Kunst bis zu dem Seufzer, dem
Kuß, den das dichtende Kind aushaucht in kunstlosem Gesang.
Dieses programmatische 116. Athenaeum-Fragment von Friedrich Schlegel enthält
in nuce alle entscheidenden Aspekte der Welt- und Kunstauffassung, die jene
breite Bewegung kennzeichnen, mit der an der Schwelle zum 19. Jahrhundert nicht
nur eine neue literarische Strömung, sondern auch ein neues Lebensgefühl
sich Ausdruck verschaffte. Wie weit entfernt ist diese ästhetische Grundsatzerklärung
von dem, was als trivialisierter Begriff heutzutage unter dem Stichwort Romantik
in den Köpfen herumschwirrt! Der verkitschte See bei Mondschein, das für
zwei Personen gedeckte Tischlein mit Kerzenschimmer enthalten nur noch völlig
degenerierte Spuren jenes Kunst- und Lebenskonzeptes.
Von den Brüdern August Wilhelm und Friedrich Schlegel in ihrer Zeitschrift
Athenaeum (1798-1800) sowie in ihren Vorlesungen Über schöne Kunst
und Literatur (1802-1805) theoretisch begründet, sah die Romantik in der
Poesie mehr als bloße Dichtkunst: Poesie bedeutete Bewußtseinserweiterung,
Überwindung aller Grenzen, Versöhnung von Mensch und Natur. Als Gegenbewegung
zur rationalistischen Spätaufklärung und im Kontrast zur formalen
Strenge der Klassik steigerten die Romantiker, durchaus in der Tradition von
Empfindsamkeit und Sturm und Drang, das schöpferische Ich ins Universale:
ihm war es durch die Macht der Phantasie gegeben, Gegensätze zu vereinen,
Traum und Wirklichkeit miteinander zu verschmelzen und die empirische Realität
in einer höheren Wirklichkeit aufgehen zu lassen.
Doch ging es den Romantikern nicht darum, durch Literatur eine Welt der Illusion
entstehen zu lassen, sondern um eine ganzheitliche Poetisierung des Lebens,
die in den Biographien vieler Vertreter der Romantik in Briefen und Handlungen
ihren Ausdruck fand. So konvertierten z. B. Friedrich Schlegel, Clemens Brentano
und viele andere zum Katholizismus, als Zeichen für die Hinwendung zum
Metaphysisch-Religiösen, oder wurde Novalis' Krankheit und früher
Tod dahingehend gedeutet, er sei seiner dreizehnjährigen Braut, die drei
Jahre vor ihm verschied, »entgegengestorben«. Krasser war in der
Konsequenz ihres Handelns Karoline von Günderode, Verfasserin von diversen
Skizzen und Gedichten (darunter Poetische Fragmente, 1805) - eine der legendären
Frauen der Romantik: als ihr verheirateter Geliebter seine Scheidungsabsichten
aufgab, erstach sie sich auf einem Friedhof.
Novalis jedoch (eigentlich Friedrich von Hardenberg) kann nicht nur wegen seines
Lebenslaufes als der Romantiker par excellence angesehen werden. Seine Hymnen
an die Nacht (1797) sind reinster Ausdruck der romantischen Sehnsucht nach einer
höheren Welt: nach der Ewigkeit. Die Nacht, als Gegenstück zum klaren,
nüchternen, geschäftigen Tag, wird in der Romantik zum Sinnbild für
das Mysteriöse und Rauschhafte, für den Tod als Aufhebung aller Grenzen.
Ein anderes Symbol für dieses Streben nach Harmonie zwischen Vergangenheit
und Gegenwart, Endlichem und Unendlichem ist die Blaue Blume, jenes mythische
Objekt der Sehnsucht, auf dessen Suche der Titelheld in Novalis' Roman Heinrich
von Ofterdingen (1802), stellvertretend für den romantischen Künstler,
sich befindet. Die Unerreichbarkeit der Blauen Blume, die reale Unerfüllbarkeit
der Sehnsucht und das damit verbundene ewige Streben bestimmen das romantische
Denken und Fühlen, dessen Ziel nicht konkrete Veränderung, sondern
Eingehen in das All-Eine des Kosmos ist.
Diesem Selbstverständnis entspricht die Form der literarischen Werke, die
keine Geschlossenheit und Vollkommenheit wollen: sie sind offen, bruchstückhaft,
uneinheitlich. Vorbilder sind, neben Goethe mit seinem Wilhelm Meister, Shakespeare
und Cervantes, weil in ihrer Dichtung ein organischer, chaotischer Kosmos enthalten
ist, der als Verwirklichung der Einheit von Literatur und Leben verstanden wurde.
Nicht nur Novalis' Roman blieb Fragment; das Unabgeschlossene, Sprunghafte gehörte
zum Programm. Eine lose, völlig freie Aneinanderreihung von Briefen, Reflexionen,
Märchen und Allegorien bildet z. B. Friedrich Schlegels Roman Lucinde (1799),
der bei seinem Erscheinen für einen handfesten Skandal sorgte, da er sich
über die moralischen Vorstellungen seiner Zeit kühn hinwegsetzte.
Vor allem die frühe Romantik hatte eine sehr progressive Auffassung von
der Rolle der Geschlechter und der Form partnerschaftlicher Beziehungen. Zum
ersten Mal in der Geschichte der deutschen Literatur traten Frauen nicht mehr
als zufällige Einzelerscheinungen, sondern als gleichberechtigte, teils
sogar zentrale Gestalten des literarischen Lebens ins Rampenlicht: Karoline
Schlegel-Schelling (geb. Michaelis), die Frau von August Wilhelm Schlegel und
seit 1803 des Philosophen Wilhelm von Schelling, war der Mittelpunkt des romantischen
Zirkels in Jena und verkörperte das Bild der unabhängigen, selbstbewußten
Frau. Als ihr Berliner Gegenstück kann Rahel Varnhagen von Ense, geb. Levin
angesehen werden, deren Salon der Treffpunkt für alle Dichter, Künstler
und Philosophen der Romantik war; ihre Briefe (1834 von ihrem Mann herausgegeben
unter dem Titel Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde) sind ein
wertvolles Dokument der frühen Emanzipationsbewegung in Deutschland.
Dorothea Schlegel, die Tochter des Aufklärers Moses Mendelssohn, vor ihrer
Ehe mit Friedrich Schlegel mit dem Bankier Simon Veit verheiratet, war selber
als Schriftstellerin (Romanfragment Florentin, 1801) und Übersetzerin (Corinna
von Madame de Staël) tätig. Auch Bettina von Arnim, die Schwester
Clemens Brentanos, trat - allerdings erst nach dem Tod Achim von Arnims - literarisch
hervor und fand mit ihrem verklärenden, teils sehr frei umgearbeiteten
Band Goethes Briefwechsel mit einem Kinde (1835) große Beachtung. 1840
schrieb sie Die Günderode, eine Biographie über die tragischste Frau
der deutschen Romantik.
Wie Friedrich Schlegel und Novalis hat auch Ludwig Tieck in seinem Roman Franz
Sternbalds Wanderungen, eine altdeutsche Geschichte (1798) einen Künstler
in den Mittelpunkt gestellt, dessen Wandern ohne eigentliches Ziel ein weiteres
Beispiel für das romantische Ur-Konzept bietet, wie in Heinrich von Ofterdingen
ist der Schauplatz der Handlung das Mittelalter. Ein Jahr zuvor hatte Wilhelm
Heinrich Wackenroder mit den Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders,
an deren Entstehung Tieck beteiligt war, eine Bekenntnisschrift veröffentlicht,
die nicht nur eine durch und durch romantische Äußerung eines tief
erschütterten, ganz von subjektiver Innerlichkeit beherrschten Lebensgefühls
war, sondern auch - gewissermaßen als Gegenstück zu Winckelmanns
Erschließung der griechischen Antike für die Klassik - eine poetische
Entdeckung des Mittelalters.
Gerade von der Aufklärung als 'dunkel' herabgewürdigt, wurde diese
Epoche nun zum untergegangenen Zeitalter der noch bestehenden Harmonie verklärt.
Dabei ging es kaum um das historisch belegbare Bild des Mittelalters, das vielen
Romantikern weitgehend unbekannt blieb, sondern um eine idealisierte, aus der
Betrachtung gotischer Bauten und der Lektüre der Minnesänger geahnte,
letztlich zeitlose Ära, deren Verlust in der Gegenwart, die man als schnöde
und vom Philistertum beherrscht erlebte, beklagt und deren Wiederkehr mit Hilfe
der Poesie ersehnt wurde.
Dieses ganz aus einem poetischen Geist geborene Verständnis des Mittelalters,
das die Frühromantik (wegen ihres Hauptwirkungsortes auch Jenaer Romantik
genannt) prägte, wandelte sich in der zweiten Phase, der sogenannte Hoch-
oder Heidelberger Romantik. Nun wurde nach greifbaren Dokumenten der Vergangenheit
gesucht, das Historische gewann an Bedeutung, und besonders die Volksdichtung,
in der das verloren gegangene Urwissen um die Einheit aller Dinge vermutet wurde,
rückte in den Mittelpunkt des Interesses. Aus dieser Haltung heraus, die
auf wissenschaftlichem Gebiet die Begründung der Geschichtswissenschaft
und der Philologie in unserem heutigen Sinn zur Folge hatte, wurden Volkslieder,
Volksmärchen und Volkssagen zusammengetragen: die berühmtesten Sammlungen
sind Achim von Arnims und Clemens Brentanos Des Knaben Wunderhorn, alte deutsche
Lieder (1806-1808) und die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Jakob
und Wilhelm Grimm (1812-1814).
Das Märchen wurde zu einer der wichtigsten Gattungen der Romantik: neben
die aus der mündlichen Überlieferung gewonnenen und mehr oder weniger
bearbeiteten traten nach traditionellen oder exotischen Motiven erdichtete Märchen
oder märchenhafte Erzählungen. Vor allem Wilhelm Hauff hinterließ
mit seinem dreiteiligen Märchenalmanach auf das Jahr 1826 [-1828] für
Söhne und Töchter gebildeter Stände) ein umfangreiches Ouvre,
aber auch Brentano (Vom braven Kasperl und dem schönen Annerl, 1817, sowie
Gockel, Hinkel und Gackeleia und Märchen), von Arnim (Isabella von Ägypten,
1812), Friedrich de la Motte-Fouqué (Undine, 1811) und Adelbert von Chamisso
(Peter Schlemihls wundersame Geschichte, 1814) bereicherten dieses Genre, dem
E. T. A. Hoffmann mit seinen psychedelischen Kunstmärchen (u. a. Der goldene
Topf, 1815, Nußknacker und Mäusekönig, Klein Zaches, genannt
Zinnober, 1819) eine neue Dimension hinzufügte.
Ernst Theodor Amadeus Hoffmann, der auch wichtige musikkritische Schriften hinterließ
und dessen Kompositionen es verdienten, größere Beachtung im Konzertbetrieb
zu finden, war eine der beiden herausragenden Gestalten der Spätromantik.
Sein erzählerisches Werk konzentrierte sich auf das Phantastische und auf
das Unerklärliche, Verborgene, Bedrohliche - gewissermaßen als Fortsetzung
der ur-romantischen Faszination für die Nacht, die ein allgemeines Interesse
an paranormalen Phänomenen wie Magnetismus und Mesmerismus erregt hatte.
Mit seinen den Nachtseiten von Mensch und Natur zugewandten Werken wurde er
zum Romantiker mit dem größten Einfluß auf die außerdeutsche
Literatur; besonders in Frankreich gab es eine sehr intensive E.-T.-A.-Hoffmann-Rezeption.
Seine Erzählungen (Fantasiestücke in Callots Manier, 1814-15, Nachtstücke
- darin Der Sandmann -, 1816, Das Fräulein von Scuderi, 1820, Lebens-Ansichten
des Katers Murr nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Johannes
Kreisler, 1820-22) und sein Roman Die Elixiere des Teufels (1815-16) bilden
ohne Zweifel einen unübertroffenen Höhepunkt der romantischen Prosa.
Ähnliches läßt sich bezüglich der Lyrik Joseph von Eichendorffs
sagen. Ohne die Bedeutung seiner Romane (u. a. Ahnung und Gegenwart, 1815) und
Erzählungen (allen voran Aus dem Leben eines Taugenichts, 1826) zu verleugnen,
sind es seine Gedichte, die dem zweiten großen Spätromantiker eine
hervorragende Position im Kontext seiner Epoche, aber auch der gesamten deutschen
Literatur eingetragen haben. Die Musikalität der Sprache, die fast klassisch
zu nennende Schlichtheit und der volksliedhafte Ton haben bewirkt, daß
Texte wie Mondnacht (»Es war, als hätt' der Himmel ...«), Wem
Gott will rechte Gunst erweisen, O Täler weit, o Höhen und Wünschelrute
(»Schläft ein Lied in allen Dingen, / Die da träumen fort und
fort, / Und die Welt fängt an zu singen, / triffst Du nur das Zauberwort«)
von allen nachfolgenden Generationen, unabhängig von teilweise stark von
Eichendorff divergierenden weltanschaulichen und poetologischen Positionen den
hohen ästhetischen Rang seiner Lyrik fast ausnahmslos anerkannt haben.
Um Volksliedhaftigkeit hatte sich allerdings die gesamte Lyrik der Romantik
bemüht, und so sind zahlreiche Gedichte dieser Epoche weit über die
Grenzen von Literaten- und Wissenschaftlerkreisen hinaus bekannt geworden, etwa
Novalis' Wenn alle untreu werden, Brentanos Der Spinnerin Lied, Max von Schenkendorfs
Freiheit, die ich meine, Hauffs Morgenrot, Morgenrot, leuchtest mir zum frühen
Tod, und Ludwig Uhlands Ich hatt' einen Kameraden. Eine besondere Stellung nimmt
in dieser Hinsicht Wilhelm Müller ein, dessen Gedichte - nicht zuletzt
durch Schuberts Vertonungen - den Charakter echter Volkslieder angenommen haben,
so Das Wandern ist des Müllers Lust, Im Krug zum grünen Kranze, Am
Brunnen vor dem Tore, Ich schnitt' es gern in alle Rinden ein etc.
Ein weiteres Kennzeichen Müllers, seine Begeisterung für den damaligen
Freiheitskampf der Griechen (die ihm den Beinamen Griechenmüller eintrug),
stellt einen direkten Bezug zur europäischen Romantik her: diese z. T.
als Gräkomanie belächelte Haltung hatte prominente Vertreter: kein
geringerer als Byron rekrutierte Truppen, um in den Krieg gegen die osmanische
Herrschaft einzugreifen. Er starb in Mesolongion, am Golf von Piräus. Dies
zeugt vom politischen Protestpotential der romantischen Idee, die in Frankreich,
Italien und Spanien ebenso wie in Rußland und Polen eine Generation von
jungen, idealistischen Dichtern erfüllte.
Eine deutsche Sonderentwicklung besteht in der Geburt des Reaktionären
aus dem Geist der Romantik: auf der einen Seite mehrten sich die - ursprünglich
z. T. progressiv motivierten - nationalen Töne, die von Autoren wie Ernst
Moritz Arndt (Der Gott, der Eisen wachsen ließ, Was ist des Deutschen
Vaterland?) und Justinus Körner (Leyer und Schwert, 1814) zunehmend mit
einer konservativen Haltung verbunden wurden; der Publizist Joseph von Görres
etwa wirkte nach einer kurzfristigen Verbannung wegen seines Buches Deutschland
und die Revolution (1819) als christlich-konservativer Essayist und Herausgeber.
Im Vergleich zu anderen war Eichendorff trotz seiner unverhohlen anti-revolutionären
Gesinnung ein vergleichsweise eigenständiger und toleranter Geist. Brentano
glitt in einen mystischen Katholizismus, und Friedrich Schlegel, der im Athenaeum
die Französische Revolution noch als eines der herausragendsten Ereignisse
seiner Zeit bezeichnet hatte, wechselte nach einem Jahrzehnt ins katholisch-konservative
Lager und sah als dezidierter Anhänger der Restauration im monarchistischen
System den Garant aller christlich-abendländischen Werte.
So ging die deutsche Romantik nicht, wie im übrigen Europa, aufgrund ihres
inhärenten Protestpotentials in einen sozialkritisch eingestellten Realismus
über, sondern hörte mehr oder weniger auf zu sein. Aus dieser Entwicklungslinie
erklärt sich auch die 'Zweiteilung' der Folgezeit, in der das sogenannte
Biedermeier eine formale, allerdings apolitische Synthese und Weiterentwicklung
der klassischen und romantischen Position verwirklichte, während die revolutionären
Ansätze in radikalisierter, vorwiegend unpoetischer Version im literarischen
Vormärz wieder zum Ausdruck kamen.
Wortbedeutung - Der Begriff "romantisch" bzw. "Romantik"
hatte mehrere Bedeutungen:
- im 18. Jh.: - im Roman vorkommend (Romane wurden in den romanischen Volkssprachen
verfasst, nicht im Latein der Gelehrten), wunderbar, phantastisch, abenteuerlich,
erfunden / - wild-schöne Landschaft und die Empfänglichkeit des Menschen
dafür / - im Gegensatz zu "klassisch": mittelalterlich, neuzeitlich
- im 19. Jh. - Bezeichnung der kunstgeschichtlichen Epoche // - "Poesie",
"poetisch"
Allgemeines
- Bezeichnung abgeleitet von »Romanze? und »Roman?
- von England ausgehende geistliche Strömung, gegen Aufklärung gerichtet
- Sehnsucht nach Vereinigung von Natur und Geist
- blaue Blume als Symbol für romantische Poesie
Weltanschauung der Romantik Die Romantik lehnte die Wirklichkeit
des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jh. radikal ab. Sie sah die Gesellschaft
geprägt vom Gewinnstreben und vom bloßen Nützlichkeitsdenken
des beginnenden industriellen Zeitalters. Den aufblühenden Naturwissenschaften
warfen die Romantiker vor, sie würden alles mit dem Verstand erklären,
alles auf seine Nützlichkeit, Verwertbarkeit untersuchen und keine Geheimnisse
mehr lassen. Der bürgerliche Alltag erschien den Romantikern als grau,
ohne Abwechslung, "prosaisch", beherrscht vom eintönigen bürgerlichen
Berufsleben.
Gegenüber der so gesehenen Wirklichkeit feierte die Romantik die mythische
Welt der Religion, sah daher im Mittelalter die ideale Zeit der Geschichte,
da damals die Menschen im christlichen Glauben geeint gewesen seien. Die Romantik
glaubte an die Macht des Ahnens, Schauens, der Intuition, pries das Reich der
Phantasie und des Traums, bis hin zu den dunklen Bereichen der Seele. Die Romantiker
pflegten die abgeschlossene Welt des intakten Freundeskreises, sie verehrten
und sammelten die einfache Kunst des Volkes, da sie am ursprünglichsten
sei, sie begeisterten sich für die Schönheit und Wildheit der Natur.
All diese Gegenwelten fassten die Romantiker unter dem Begriff der "Poesie"
zusammen. Sie sei eine unermessliche, unerschöpfliche Kraft, ständig
wachsend ("progressiv"), die den Urgrund aller Dinge bilde ("universal").
In den frühen Zeiten der Menschheitsgeschichte, der Zeit des Mythos, und
im Mittelalter habe sie die Welt bestimmt, sei dann aber von der modernen Welt
(Reformation, Aufklärung) verdrängt worden und nur noch in der Volksliteratur,
der Natur, in einzelnen Momenten des Lebens (Liebe) und in bestimmten Personen
(v.a. Frauen, Kindern) zu entdecken. (Beeinflusst waren die Romantiker von den
Philosophen Johann Gottlob Fichte [1762-1814] und Friedrich Wilhelm Schelling
[1775-1854], die den Geist bzw. die Natur als grundlegendes Prinzip allen Seins
betrachteten.)
Zwischen Klassik und Romantik
- Nichteinhalten weder des klassischen noch des romantischen Programms einiger
Dichter, Entwicklung ganz persönlicher Eigenheiten, demnach keine Einordnung
- Johann Peter Hebel (Idylliker, mundartliche Dichtung Alemannische Gedichte,
Kalendergeschichten Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreundes)
- Jean Paul (bekannter Erzähler, schuf sonderbare Romanhelden unter dem
Einflu? englischer Romane, Auswirkungen auf den Realismus, Leben des vergnügten
Schulmeisters Maria Wuz in Auenthal, Leben des Quintus Fixlein, Erziehungsroman
Titan)
- Friedrich Hölderlin (Reimhymnen, Gedichte, Briefroman Hyperion)
- Heinrich von Kleist (damals unbeachteter Dramatiker, Studie Über das
Marionettentheater, schrieb über die Unfähigkeit der Unterscheidung
zwischen Wahrheit und Täuschung in Prinz Friedrich von Homburg, im Schauspiel
Amphitryon und im Lustspiel Der zerbrochene Krug)
Unterschied zur Klassik Auch die Klassik hatte die Nachteile
der bürgerlichen Ordnung (z.B. die Arbeitsteilung, die Spezialisierung
des Menschen), gesehen, aber an ihrem Ideal fest gehalten, der Mensch sei fähig,
all seine Kräfte in harmonischer Einheit zum Schönen, Wahren, Guten
auszubilden. Die Romantik vermochte diesen Glauben an die Veränderbarkeit
des Menschen und der Gesellschaft nicht aufzubringen. Sie stellte eigentlich
keine Ideale auf, entwarf kein Bildungsprogramm, mit dessen Hilfe die Ideale
verwirklicht werden sollten. Sie stellte der Wirklichkeit eher Gegenwelten gegenüber,
in die man flüchten konnte, zusammen mit gleich Gesinnten oder aber alleine,
wie es der Dichter Novalis mit Hilfe von Drogen versuchte. Daher ist es nicht
verwunderlich, dass Goethe die Romantik ablehnte, obwohl viele Romantiker ihn
und sein Werk verehrten.
Einschränkungen Die eher unpräzisen, nicht leicht
zu fassenden Vorstellungen der Romantik schlossen wissenschaftliches Denken
und Engagement in der Wirklichkeit nicht aus. Auch die Romantik hatte wissenschaftliche
Leistungen vorzuweisen, die das Ergebnis exakten Forschens darstellen.Die Gebrüder
Grimm z.B. begannen mit der Erforschung der deutschen Sprache und Literatur
(Anfang der Germanistik). Auch die Geschichtswissenschaft im heutigen Sinne
hatte ihren Ursprung in der Romantik. Einige Romantiker engagierten sich auch
politisch. Sie unterstützten das Streben der Deutschen nach einer einheitlichen
Nation zur Zeit der Befreiungskriege; andere wurden auch Anhänger der Restauration.
Rolle der Dichtung und des Dichters Von dieser allgemeinen
Poesie (auch "Naturpoesie") unterschieden die Romantiker die Poesie
im engeren Sinne, die "Kunstpoesie", wozu auch die Dichtung gehörte.
Die Dichtung galt als Teil der allumfassenden Poesie. Sie war also im Unterschied
zur Aufklärung kein bloßes Instrument und anders als in der Klassik
kein Erziehungsmittel und keine Vorwegnahme der idealen Welt, sondern Teil der
idealen Welt selbst. Trotzdem hatte sie eine Aufgabe. Die Dichtung sollte nämlich
die verschüttete Welt der Poesie bewusst machen und aufdecken, in der Hoffnung,
dass sie einmal wieder zur Herrschaft gelange. Der Dichter geriet dabei in die
Rolle des Priesters einer neuen, noch verborgenen Religion.
Wichtige Autoren und Werke Die romantischen Dichter und Philosophen
taten sich in Universitätstädten zu Freundeskreises zusammen. Mittelpunkt
ihrer Kreise waren oft Frauen: Karoline Schlegel, zunächst Ehefrau August
Wilhelm Schlegels, danach von Schelling; Elisabeth (genannt Bettina) von Arnim,
Ehefrau Achim von Arnims und Schwester dessen Freundes Clemens Brentano; Rahel
Levin und Henriette Herz, die in Berlin literarische Salons unterhielten.
Als Hauptgattung der Romantik galt ihren Vertretern selbst der Roman. Sie sahen
ihn als diejenige Textsorte an, in der alle Gattungsgrenzen aufgelöst werden
konnten, wo theoretische Reflexion, Erzählung, lyrische Stimmungen zusammentreffen
konnten, ohne in starre Formen gefasst zu sein.
Für die Nachwelt ist die romantische Lyrik die wichtigste literarische
Form. Der musikalische Charakter der Lyrik, ihre Bildlichkeit, die Möglichkeit,
Dinge auszudrücken, die anders nicht auszudrücken sind, passt zu der
Weltsicht der Romantik.
Ältere oder Frühromantik:
stark philosophisch, theoretisch orientiert (Jena, Berlin)
- Ideale wie die »Universalpoesie?, Vermischung aller Gattungen (Schlegel)
- Entgrenzung, Romantisierung nach Novalis
- Durch Nichterreichen dieser Ideale Entstehung des offenen Fragments und der
romantischen Ironie
- Johann Gottlieb Fichte (Schüler Kants, Wissenschaftslehre)
- Friedrich Schlegel (1772-1829): (Programm der Frühromantik im 116. Athenäum-Fragment)
Lucinde (Roman 1799)
- August Wilhelm Schlegel (1767-1845): gab zusammen mit seinem Bruder von 1798-1800
die Zeitschrift "Athenaeum" heraus (wie Friedrich Schlegel vornehmlich
Literaturtheoretiker, -historiker, -kritiker und Übersetzer)
- Ludwig Tieck (1773-1853): (romantische Auseinandersetzung mit der Kunst im
Roman-Fragment Franz Sternbalds Wanderungen, witzige, romantische Ironie in
der Märchenparodie Gestiefelter Kater) Der gestiefelte Kater (Drama 1797)
/ zusammen mit - Wilhelm Heinrich Wackenroder (1773-1798) (prägte den religiös-unkritischen
Erlebnisstil der Romantik, Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders)
Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders / Theoretische
Schriften (1796)
- Friedrich von Hardenberg [=Novalis] 1772-1801 (Preisung der Nacht als geheimnisvolle,
neue Welt in Hymnen an die Nacht, biographisches Romanfragment Heinrich von
Ofterdingen)
- Bonaventura (Darstellung der Nacht als sinnloses und groteskes Chaos (im Gegensatz
zu den »Hymnen an die Nacht?) in den Nachtwachen)
Jüngere, Hoch- oder Spätromantik (Heidelberg)
- Führungsübernahme einer etwas jüngeren Generation um 1805 in
Heidelberg
- Verzicht auf philosophische Spekulationen und theoretische Überlegungen
- Sammlung von Märchen, Sagen und Volksbüchern
- Patriotismus durch Napoleonische Fremdherrschaft
- Clemens Brentano 1778-1842 (Enkel Sophie La Roches, hervorragender Lyriker,
sehr bekannte Volksliedsammlung Des Knaben Wunderhorn, Kunstmärchen Gockel,
Hinkel und Gackeleia, realistische und märchenhafte Elemente in der Schicksalsnovelle
Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl) Gedichte / zusammen
mit Achim von Arnim (1781-1831) ab 1805 Des Knaben Wunderhorn (Volksliedsammlung)
- Jacob und Wilhelm Grimm (Sammlung und Herausgabe altdeutscher Texte, Kinder-
und Hausmärchen, das zweiunddreißigbändige Mammutwerk Das Deutsche
Wörterbuch (ab 1854, nach ihrem Tod fortgesetzt, 1961 abgeschlossen), Grammatik,
bedeutende Vorarbeiten zur Germanistik)
- Joseph Freiherr von Eichendorff (1788-1857): Gedichte / Aus dem Leben eines
Taugenichts (Novelle 1826) (einfache, volksliedhafte Gedichte, Romane Ahnung
und Gegenwart und Dichter und ihre Gesellen, Novellen Das Marmorbild, Aus dem
Leben eines Taugenichts, Das Schloß Dürande)
- Ernst Theodor Amadeus Hoffmann »Gespensterhoffmann? (E.T.A.) (1776-1822):
Das Fräulein von Scuderi (Novelle 1819) (Märchen ähnlich Eichendorffs
»Taugenichts? Der goldene Topf, die Kriminalnovelle Das Fräulein
von Scuderi und der Schauerroman Die Elixiere des Teufels mit viel Gruselwirkung)
- Friedrich de la Motte Fouqu? (Märchen Undine), Adelbert von Chamisso
(Peter Schlemihls wundersame Geschichte)
- Justinus Kerner (Die Seherin von Prevorst), Ludwig Uhland (Balladendichter),
Gustav Schwab (Die schönsten Sagen des klassischen Altertums), Wilhelm
Hauff (historischer Roman Lichtenstein, Märchen Die Karawane und Das Wirtshaus
im Spessart)
Heinrich Heine (1797-1856) Heinrich Heine nimmt eine besondere
Position in der Literaturgeschichte ein. Er war einerseits der populärste
romantische Lyriker. Seine Gedichte im "Buch der Lieder" (1827) hatten
eine große Wirkung über die Epoche der Romantik hinaus und wurden
vielfach zu Volksliedern (z.B. "Die Lorelei"). Auf der anderen Seite
distanzierte sich Heine vom Poesiebegriff der Romantiker. Er sah die Welt als
zerrissen an, kritisierte die Wirklichkeit wie die übrigen Dichter der
Romantik, glaubte aber nicht an den Urgrund der Poesie in allen Dingen. Der
Dichter habe die Aufgabe, diesen Riss zu zeigen und nicht vor ihm die Augen
zu verschließen. Wer vor ihm in die Gegenwelten flüchte, die Welt
als heil und als Ganzes zeige, der lüge.
In vielen Gedichten Heines wird ein Zwiespalt deutlich zwischen der schönen
Welt der Romantik, nach der auch Heine sich sehnte, und seiner Einsicht in die
Brüchigkeit der Welt und die Falschheit der romantischen Gegenwelten. Dieser
Zwiespalt äußert sich als Ironie, mit der Heine romantische Bilder
in seinen Gedichten gestaltet. Eine andere Möglichkeit, sich mit dem Riss
in der Welt auseinander zu setzen, sah er in politischer Dichtung ("Deutschland,
ein Wintermärchen", 1844), in der er in bissig-ironischen Versen die
sozialen und politischen Zustände Deutschland im Vormärz (1815-1848)
aufs Korn nahm.