5. Sturm und Drang (1767 - 1785)
Der Wirrwarr: so hieß Friedrich Maximilian Klingers 1775 entstandenes
Drama ursprünglich, bevor es auf Anregung des damals in großem Ansehen
stehenden »Genieapostels« aus Winterthur, Christoph Kaufmann, in
Sturm und Drang umbenannt wurde. Diese (damals schon gebräuchliche) Wortfügung
hat einer Epoche der deutschen Literatur den Namen gegeben - oder genauer: einer
Bewegung, die die logische Folge des politischen und ideengeschichtlichen Wirrwarrs
ihrer Zeit und trotzdem von einzigartiger Einheitlichkeit der Zielsetzung und
des literarischen Ausdrucks gewesen ist.
Was macht die Besonderheit dieser sehr kurzen Periode aus, die mit dem Erscheinen
von Herders Journal meiner Reise im Jahre 1769 begann und der fluchtartigen
Abreise Goethes nach Italien 1786 endete? Sie war eine literarische Rebellion,
die mit einer solchen Radikalität in Deutschland noch nie stattgefunden
hatte. Während etwa der Übergang vom Barock zur Aufklärung 'sanft'
war, mehr Ablösung als Bruch, schockierte nun eine Gruppe 20- bis 30jähriger
Literaten die Öffentlichkeit mit Texten, die eine einzige Verletzung der
Geschmacks- und Moralvorstellungen bedeuteten.
Denn der Sturm und Drang war ein Frontalangriff gegen die zum kalten Rationalismus
verkommene, gesellschaftlich unproduktive Aufklärung. Die Vernunft war
dieser neuen Generation nicht mehr das Werkzeug zur Befreiung von Ohnmacht und
Aberglaube, sondern erschien ihnen als degenerierte Vernünftelei ein Joch,
das jegliche lebendige Regung der Seele unterdrückte. Im Mittelpunkt ihres
Denkens stand nun ein neuer Begriff: das Genie - ein großes, unabhängiges
Individuum, das in der Figur des Prometheus seinen vollkommenen Prototyp hatte
und in Goethes gleichnamiger Dichtung von 1773 besungen wurde.
Der neue Held war der große Kerl: vital, erdverbunden, aufbegehrend, oft
ungehobelt, stets unmittelbar. Gewiß auch edel und großmütig,
aber kraftvoll und kompromißlos. Entscheidend war die Tiefe seines Gefühls,
die sich ebenso in weltumfassender, schrankenloser Liebe wie in rasender Verzweiflung
offenbaren konnte - nur maßvoll und vorsichtig durfte er nicht sein. Alles
Laue und Elegante war den Stürmern und Drängern verhaßt, daher
erwuchs ihre Erzfeindschaft zu Christoph Martin Wieland, dem Vertreter des Rokoko.
Als »Geniesucht« bezeichnete selbst der Mitstreiter und spätere
Homer-Übersetzer Johann Heinrich Voß die Maßlosigkeit der damaligen
Avantgarde. Nicht nur der ausgeprägte Gruppencharakter (Kreise um Goethe
und Herder in Straßburg und um Goethe in Frankfurt und Darmstadt) machte
die Stürmer und Dränger zu einer solchen: vor allem die Zertrümmerung
der literarischen Formen als ästhetische Entsprechung zum geistigen Gehalt
wies sie als radikale Neuerer aus. Vornehmlich die aus dem französischen
Klassizismus verhaßten pseudoaristotelischen drei Einheiten der Zeit,
des Ortes und der Handlung im Drama wurden durch dauernde Schauplatzwechsel,
Massenszenen und Nebenepisoden aufgebrochen und malträtiert; die Sprache
bestand aus gestammelten Satzfetzen und unzähligen Kraftwörtern; nicht
mehr Furcht und Mitleid, sondern Wut und Schrecken waren die erstrebte Wirkung.
Der lang verpönte Shakespeare wurde - pikanterweise in Wielands Übersetzung
rezipiert - zum unumstrittenen Gott erhoben, wovon Goethes Rede zum Schäkespears
Tag (1771) und Herders Aufsatz in seiner Sammlung Von deutscher Art und Kunst
(1773) zeugen. Originalgenie war das Schlagwort: der Künstler schuf die
Welt nicht mehr nach, sondern stand als Neuschöpfer außerhalb des
überkommenen ethisch-ästhetischen Gefüges - diese Unabhängigkeit
konnte sogar, wie in Heinses Ardinghello, als moralische Ambivalenz zum Ausdruck
kommen.
Dieser Künstlerroman war neben den Leiden des jungen Werthers (1774) eines
der wenigen erzählenden Werke dieser Epoche, die - abgesehen von den sehr
wichtigen theoretisch-programmatischen Texten - im Drama ihren naturgemäßen
Ausdruck fand. Wie anders konnten die Zerrissenheit und die Spannung, die den
Sturm und Drang charakterisieren, künstlerische Gestalt gewinnen? Es war
eine Rebellion - eine Revolte, die auf das Literarische beschränkt blieb,
weil in Deutschland, im Gegensatz zu Frankreich, das Bewußtsein für
die Notwendigkeit des gesellschaftlichen Umbruchs breitere Bevölkerungsschichten
noch nicht erfaßt hatte. Aber es war keine elitäre Spielerei einiger
Intellektueller, sondern ein Reflex der sich anbahnenden großen Revolution,
die einige Jahre später mit dem Sturm auf die Bastille die Überwindung
des Feudalismus durch das Bürgertum einläutete.
Wie sehr auch eine politische Wirkung versagt blieb: das soziale Engagement
der Stürmer und Dränger, die in ihren Werken Gerechtigkeit und Freiheit
für das Individuum und die Gesellschaft einklagten und die Unterdrückung,
die Willkür und das Intrigantentum an den Höfen schonungslos denunzierten,
dieses Engagement war echt. Hier standen die jungen Literaten in einer Linie
mit mit dem bürgerlichen Trauerspiel Lessings, dessen Emilia Galotti unumstritten
war.
Daß der Sturm und Drang zugleich eine Rebellion gegen die Aufklärung
war, ist kein Widerspruch. Das in ihr angelegte bürgerlich-emanzipatorische
Gedankengut mußte zu einer Hinterfragung der eigenen Positionen und zur
Befreiung des Individuums aus der Erstarrung eines nur auf den Intellekt gestützten
Rationalismus führen. Schon die Phase der Empfindsamkeit hatte, als säkularisierte
Fortführung des deutschen Pietismus, das Private über das Öffentliche,
das Subjektive über das Objektive und das Gefühl über den Verstand
gestellt. Unter angelsächsischem Einfluß (Addison, Shaftesbury, Young)
waren Intuition und Genialität zu zentralen Begriffen geworden. Klopstocks
gefühlsbetonte Sprachkunstwerke bildeten hier den einen Höhepunkt,
den anderen der emotionsgeladene Göttinger Hainbund, dessen Schreiben und
Gebaren oft ins Tränenreich-Pathetische abglitt.
Von der Sprache her hatte bereits Johann Georg Hamann entscheidende Kritik am
vernunftsregierten Weltbild seines Königsberger Landsmanns Kant artikuliert;
seine Ansichten, besonders seine Definition der Poesie als »Muttersprache
der Menschheit«, hatten vor allem auf Herder große Wirkung. Noch
entscheidender aber waren die Schriften Rousseaus, dessen Zivilisationskritik
vom Sturm und Drang aufgegriffen und dramatisch umgesetzt wurde: der unlösbare
Konflikt zwischen Naturgenie und gesellschaftlichem Zwang ist das Thema dieser
Bewegung.
Goethes erste große Erfolge sind deutlicher Ausdruck dieser Entwicklung:
eröffnet sich im Werther die Tiefe des Gefühls als übermächtige
Triebfeder und unauslotbarer Abgrund, begegnet uns im Götz von Berlichingen
(1773) der große Kerl, der sich den politischen Zwängen widersetzt
- ebenso wie das Stück selbst den ästhetischen.
1776, im sogenannten »Dramenjahr«, folgte explosionsartig eine Reihe
von Bühnenwerken, die einer lang angestauten Aggression wie Urschreie Luft
verschafften. Friedrich Maximilian Klingers Die Zwillinge zeigt in dem haßerfüllten,
benachteiligten Bruder Guelfo den ersten durch und durch negativen Helden der
deutschen Literatur, der sich gegen die familiäre und biologische Ordnung
gewalttätig auflehnt. Das Bruderdrama blieb ein Sturm-und-Drang-Thema:
im selben Jahr erschien Johann Anton Leisewitz' Julius von Tarent, 1781 wurde
es in den Räubern wieder aufgenommen.
Als negativer Zwillingsbruder Goethes wird oft Jakob Michael Reinhold Lenz angesehen,
dessen in geistiger Umnachtung endendes Leben (dem später Büchner
ein literarisches Denkmal setzte) aus einem Stück des Sturm und Drang entsprungen
scheint. Seine Dramen Der Hofmeister (1774) und Die Soldaten (1776) sind illusionslose
Meisterwerke, die eine radikale Abrechnung mit dem vorgefundenen gesellschaftlichen
System bedeuten. Heinrich Leopold Wagner hinterließ mit dem Drama Die
Kindermörderin (1776) eine atmosphärisch dichte Schilderung kleinbürgerlichen
Milieus und verlogener Sexualmoral, deren literarischer Wert noch viel zu wenig
beachtet worden ist (wozu der Autor allerdings selber beitrug, indem er das
Stück umarbeitete und ihm nebst einem happy end den Titel Evchen Humbrecht
oder ihr Mütter merkt's euch verpaßte).
Nach der Eruption von 1776 schien die Bewegung zu verstummen, bis sich mit Friedrich
Schiller ein letzter, intensiver Höhepunkt ereignete. Zeitversetzt, geographisch
getrennt und ohne Verbindung zu den anderen Stürmern und Drängern,
die sich ganz entschieden als Gemeinschaft empfanden, gestaltete er mit den
Räubern, dem »republikanischen Trauerspiel« Die Verschwörung
des Fiesko zu Genua (1783) und Kabale und Liebe (1784) drei Dramen, die alle
Themen, von der politischen Revolte bis zur Freiheit der Leidenschaften, noch
einmal bühnenwirksam umsetzten und die Epoche zum Abschluß brachten.
Der Sturm und Drang war ein heftiges Gewitter. Es ging rasch vorüber, doch
sein Nachhall ist bis ins 20. Jahrhundert hinein zu vernehmen. Nicht nur die
personelle Identität von Goethe und Schiller als spätere Hauptvertreter
der Weimarer Klassik zeugt von der Wichtigkeit dieser Epoche: in dieser Zeit
entstand der Urfaust, und Schillers spätere Dramen Don Karlos, Die Jungfrau
von Orleans oder Wilhelm Tell tragen deutliche Reminiszenzen an die Empörerfiguren
der ersten Jahre. Hölderlins Freiheitsstreben und tragisches Lebensgefühl
lassen die Haltung des Sturm und Drang wieder anklingen, während die Romantik
die Auseinandersetzung mit der Aufklärung im vollen Umfang wieder aufnimmt.
Überhaupt sieht die Literaturgeschichte außerhalb Deutschlands diese
Zusammenhänge großzügiger und ordnet den Sturm und Drang als
frühen Ausdruck der Romantik ein - ist es Zufall, daß in Südeuropa
das Drama zu ihrer wichtigsten Gattung wurde und Victor Hugo in seinem Préface
zu Cromwell, dem Romantischen Manifest Frankreichs, gegen den Zwang der drei
Einheiten polemisierte?
Die Verwandschaft der Vormärz-Literaten zu den Stürmern und Drängern
ist nicht nur auf die politische Intention zu reduzieren; Büchners Werk
kann in mancher Hinsicht als poetische Vollendung jener frühen Dramen der
seelischen Zerrissenheit angesehen werden. Nietzsches Philosophie des Übermenschen
(vgl. der große Kerl), seine antirationalistische Grundtendenz sind Weiterentwicklungen
des Geniekults. Der Naturalismus - wieder eine Dramen-Periode! - schrieb die
minuziöse Schilderung sozialer Mißstände auf sein Programm;
viele seiner Vertreter beriefen sich ausdrücklich auf den Geist der Sturm-und-Drang-Generation
und nahmen besonders in der Diktion Anleihen aus ihrer Dramaturgie. Aber auch
der Expressionismus weist durch seine Betonung des Irrationalen, seine Unmittelbarkeit
und seine als Schrei (Edvard Munch) konzipierte Geste Parallelen zu jener Umbruch-Periode
auf. Und schließlich: mutet nicht auch, ob sie es nun wollte oder nicht,
die Gruppe 47 mit ihren Kahlschlag-Parolen und ihrer sozialkritischen Einstellung
wie eine moderne Version des Sturm und Drang an?
Name - Der Name
war ursprünglich der Titel eines Dramas von Friedrich Maximilian Klinger
(1752-1831); nach diesem Werk wurde die ganze Epoche genannt.
Allgemeines: - Gegenprogramm zur Aufklärung / - benannt
nach dem Drama Sturm und Drang von Friedrich Maximillian Klinger / - Johann
Georg Hamann gab Ansto? zur Entwicklung dieses Gegenprogramms
Grundcharakter Der Sturm und Drang war seinem Wesen nach eine
Protestbewegung und zugleich eine Jugendbewegung. Der Protest richtete sich
gegen dreierlei: 1. die absolutistische Obrigkeiten in den deutschen Staaten
sowie die höfische Welt des Adels, / 2. das bürgerliche Berufsleben,
das man für eng und freudlos hielt, ebenso wie die bürgerlichen Moralvorstellungen,
/ 3. - die überkommene Tradition in Kunst und Literatur.
In dem ersten Punkt stimmte man mit den Aufklärern überein, in dem
zweiten Punkt stand man in Widerspruch zu ihnen, und was den dritten Punkt anging,
so war man radikaler als die Aufklärer. Bei allen politischen Ideen war
der Sturm und Drang in erster Linie eine literarische Strömung.
Das neue Menschenbild: - Berufung auf Gefühle, Ahnungen,
Bilder, Naturverbundenheit im Gegensatz zur leichter verständlichen Aufklärung
/ - Shakespeare, Ossian und Klopstock als Vorbilder / - Originalität und
Genialität als Kriterien für echte Dichtung (»Genieperiode?)
/ - Auflehnung gegen den Absolutismus, Tyrannenha?
Historischer Hintergrund - Absolutismus, Soldatenhandel unter
Herzog Karl Eugen
Literarische Formen
- Drama als literarische Hauptform (bevorzugte Ausdrucksweise im Sturm und Drang)
- neue Form der Lyrik (Erlebnisdichtung, Gefühle, Ahnungen)
- Roman, Neuentdeckung der Ballade (z.B. Bürger)
- Volkslied, volkstümliches Lied
Der literarische Protest
Inhalte - Als Ideal galt nicht der Dichter, der hochgebildet
war und in jeder Gattung schreiben konnte bzw. der seine moralischen Lehren
zum Ausdruck brachte (poeta doctus). Gepriesen wurde vielmehr das Genie, das
sich seine Regeln und Gesetze selbst schafft. Im Genie äußerte sich
nach der Vorstellung des Sturm und Drang die schöpferische Kraft der Natur.
Die Natur wurde zum Inbegriff des Ursprünglichen, Elementaren, Göttlichen
und war nicht mehr das vernünftig Geordnete wie in der Aufklärung.
Als wahrer Mensch wurde der "Kraftkerl", der Selbsthelfer angesehen,
bei dem Denken und Handeln eine Einheit bilden, der Herr über seine geistigen,
seelischen und körperlichen Kräfte ist, der sich selbst treu bleibt
und sich nicht scheut, gegen eine ganze Welt anzutreten - selbst um den Preis
des Untergangs.
Das Gefühl, das eigene Ich wurde Gegenstand der Betrachtung; die Subjektivität
des Menschen sollte sich ausleben und in der Kunst ausdrücken.
Formen - Es ist verständlich, dass solch radikale Gedanken
schlecht zu den traditionellen Formen passten. Man verurteile daher die künstlerische
Konvention, die Regelpoetiken des Barock und der Aufklärung.
Im Drama konnten die Ideen des Sturm und Drang am besten Gestalt werden. Als
Hauptpersonen finden wir in ihnen Genies, Liebende, "Kraftkerle",
die kompromisslos gegen die Wirklichkeit anrennen. Die Vorschriften der Regelpoetiken
über die Einheit von Ort, Zeit und Handlung, über die klare Trennung
von Tragödie und Komödie, über den Aufbau eines Dramas werden
über den Haufen geworfen. Man folgte stattdessen dem Vorbild Shakespeares,
den schon Lessing gepriesen hatte. Man übernahm die markanten Charaktere,
die turbulente Handlung, die Mischung von tragischen und komischen Elementen
in ein und demselben Stück, den häufigen Wechsel von Ort und Zeit,
die Massenszenen.
Zum Schlüsselroman des Sturm und Drang und zum einzigen großen Erfolg
wurde Goethes "Die Leiden des jungen Werthers", ein "Kultbuch"
des 18. Jh., das nicht nur eine Modewelle verursachte, sondern sogar als Nachahmungstaten
einige Selbstmorde auslöste. In diesem Roman wird nicht ein junger Mann
zu moralischen Einsichten geführt wie im Roman der Aufklärung (s.
Wieland). Held des Romans ist vielmehr ein junger Mann, der eine verheiratete
Frau liebt und an dieser Liebe fest hält. Als er sein Ziel nicht erreichen
kann, begeht er Selbstmord.
Auf dem Gebiet der Lyrik markiert ebenfalls das Werk des jungen Goethe einen
entscheidenden Wandel.
Goethes frühe Jugendlyrik war noch dem Rokoko verhaftet. Rokokolyrik ist
die Fortsetzung der Liebesdichtung des mittleren Stils (s. Barock). Die Liebe
wird als scherzhaft erotisches Spiel dargestellt, in antikem Gewand, mit der
Natur als Szenerie oder mitspielendem Partner.
Um 1770 beginnt Goethe Gedichte einer neuen Art zu schreiben, die so genannte
"Erlebnislyrik". Den Gedichten liegen persönliche Erlebnisse
zu Grunde, die im Gedicht zu allgemeinen Aussagen erweitert werden. Dazu greift
Goethe aber nicht mehr auf die traditionelle Liebeslyrik zurück, sondern
sucht zu seiner Aussage die ihr angemessene, individuelle Form und Sprache.
Die Liebe teilt sich nicht in ernste-seelische oder scherzhafte-sinnliche Elemente
auf wie bei der traditionellen Liebesdichtung, sie wird vielmehr als etwas Totales
verstanden, umfasst Sinne und Seele. Sie ist ein persönliches Erlebnis
und eine überpersönliche Macht zugleich. Die Liebe, Natur, das Göttliche
und der Mensch bilden in diesen Gedichten eine unlösbare Einheit, einen
letztlich harmonischen Kosmos, der Liebesglück wie Liebesleid gleichermaßen
umschließt, dem einzelnen Geborgenheit bietet und die Quelle allen Lebens
und Schaffens ist.
Die Goethesche Art der Erlebnislyrik prägt die deutsche Natur- und Liebeslyrik
bis weit ins 19. Jh. hinein und bestimmt noch heutzutage das landläufige
Verständnis von Lyrik (Lyrik ist Ausdruck von Gefühlen).
Vorbilder und Anreger Auf Shakespeare
als Vorbild der Stürmer und Dränger wurde schon hingewiesen. Der Schweizer
Johann Kaspar Lavater (1741-1801) entwickelte den Geniebegriff. Johann Gottfried
Herder (1744-1803) machte auf die Volksdichtung aufmerksam und verdrängte
damit das Ideal der antiken Kunst. Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803)
war mit seiner gefühlsbetonten religiösen Dichtung "Der Messias"
(1748) ein Idol des Sturm und Drang.
Werke und Autoren Die Stürmer und
Dränger kamen vorwiegend aus dem Mittel- und Kleinbürgertum; ihre
literarischen Betätigungen suchten sie materiell durch Hauslehrer- oder
Pfarrstellen abzusichern, denn von der Literatur konnten sie nicht leben. Es
fehlte ihnen nämlich die soziale Resonanz, ihre Bewegung blieb auf die
Bekannten beschränkt, mit denen man sich zu Männerbünden zusammenschloss
(z.B. Göttinger Hain). (Goethes erwähnter Roman blieb eine Ausnahme.)
Hauptorte des Sturm und Drang waren Straßburg, Göttingen, Frankfurt
am Main. Für viele Dichter, v.a. Goethe und Schiller, war der Sturm und
Drang nur eine vorübergehende Phase ihres Lebens und Schaffens. Viele Autoren
und Werke waren nur zu ihrer Zeit den Interessenten bekannt und sind heute weit
gehend vergessen. Zu den bedeutendsten Schriftstellern und Werken gehören:
Johann Wolfgang Goethe (1749-1832) Zum Schäkespears-Tag
(Rede) 1771 / Sesenheimer Lieder 1770/71 / volkstümliche Lieder, Lyrik,
Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand (Drama) 1773 / Prometheus 1773/77,
Ganymed 1774 (Gedichte) / Die Leiden des jungen Werthers (Roman) 1774 , Clavigo,
Stella.
Friedrich Schiller (1759-1805) Die Räuber 1781 (Drama),
Fiesco, Höhepunkt der Sturm-und-Drang-Dramatik und erstes politisches Tendenzstück
Kabale und Liebe 1784 (Drama)
Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1805) Der Hofmeister 1774
(Drama) / Die Soldaten 1776 (Drama)
Göttinger Hain (Zeitschrift "Göttinger Musenalmanach"),
darunter: - Johann Heinrich Voss (1751-1826, Übersetzer von Homers "Odyssee"
und "Ilias" in deutsche Hexameter) / - Christoph Heinrich Hölty
(1748-1776)
- Johann Georg Hamann (Sokratische Denkwürdigkeiten)
- Johann Gottfried Herder (Von deutscher Art und Kunst, Stimmen der Völker
in Liedern)
- Heinrich Christian Boie, Johann Heinrich Voss (Homer-Übersetzung), Ludwig
Heinrich Christoph Hölty, Friedrich Leopold, Christian Stolberg
- Gottfried August Bürger (Schaffung der Kunstballade)
- Matthias Claudius (Der Wandsdecker Bote)
- Christian Friedrich Daniel Schubert (Zeitschrift Deutsche Chronik, Gedicht
Die Fürstengruft in Gefangenschaft des Herzogs Karl Eugen geschrieben)
- Heinrich Leopold Wagner (Die Kindermörderin)