Der Fuchs und der Zeigenbock
Meister Reineke ging an einem heißen Sommertag mit seinem Freund, dem
Ziegenbock, spazieren. Sie kamen an einem Brunnen vorbei, der nicht sehr tief
war. Der muntere Bock kletterte sofort auf den Brunnenrand, blickte neugierig
hinunter und sprang, ohne zu zögern, in das kühle Naß.
Der Fuchs hörte ihn herumplatschen und genüßlich schlurfen.
Da er selber sehr durstig war, folgte er dem Ziegenbock und trank sich satt.
Dann sagte er zu seinem Freund: "Der Trunk war erquickend, ich fühle
mich wie neugeboren. Doch nun rate mir, wie kommen wir aus diesem feuchten Gefängnis
wieder heraus?"
"Dir wird schon etwas einfallen", blökte der Bock zuversichtlich
und rieb seine Hörner an der Brunnenwand. Das brachte den Fuchs auf eine
Idee. "Stell dich auf deine Hinterbeine, und stemme deine Vorderhufe fest
gegen die Mauer", forderte er den Ziegenbock auf, "ich werde versuchen,
über deinen Rücken hinaufzugelangen."
"Du bist wirklich schlau", staunte der ahnungslose Bock, "das
wäre mir niemals eingefallen." Er kletterte mit seinen Vorderfüßen
die Brunnenwand empor, streckte seinen Körper, so gut er konnte, und erreichte
so fast den Rand des Brunnens.
"Kopf runter!" rief der Fuchs ihm zu, und schwupps war er auch schon
über den Rücken des Ziegenbocks ins Freie gelangt. "Bravo, Rotschwanz!"
lobte der Bock seinen Freund, "du bist nicht nur gescheit, sondern auch
verteufelt geschickt."
Doch plötzlich stutzte der Ziegenbock. "Und wie ziehst du mich nun
heraus?"
Der Fuchs kicherte. "Hättest du nur halb soviel Verstand wie Haare
in deinem Bart, du wärest nicht in den Brunnen gesprungen, ohne vorher
zu bedenken, wie du wieder herauskommst. Jetzt hast du sicher Zeit genug dazu.
Lebe wohl! Ich kann dir leider keine Gesellschaft leisten, denn auf mich warten
wichtige Geschäfte."